Medizininformatik im Einsatz fürs Leben
An der Schnittstelle von Medizin und Informationstechnologie: Medizinische Informatiker wie Antje Wulff an der MH Hannover analysieren, verarbeiten und verknüpfen medizinische Daten. Die Ergebnisse helfen dabei, Arbeitsabläufe zu optimieren, Ärzte und Pflegekräfte zu unterstützen und die Versorgung der Patienten zu verbessern. Von Christoph Fuhr (Text) und Werner Krüper (Fotos)
Sie sitzen den ganzen Tag am Computer und arbeiten still und hoch konzentriert vor sich hin – Medizininformatiker haben sich für ein extrem anspruchsvolles, absolut zukunftsträchtiges, aber zugleich auch einsames Berufsleben entschieden. Trifft diese Beschreibung zu? „Nein“ widerspricht Antje Wulff. „Ich kenne diese Klischees. Aber sie stimmen nicht, so kann man meinen Beruf nicht charakterisieren.“ Die Arbeit am PC sei wichtig, bestimme aber längst nicht ausschließlich den Berufsalltag. In der Medizininformatik sei immer wieder Teamarbeit gefragt. Und dazu gehöre die Bereitschaft, im intensiven Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen aus derselben Berufsdisziplin, aber auch speziell mit Ärztinnen und Ärzten nach konkreten digitalen Lösungen in einer zunehmend komplexer werdenden medizinischen Versorgungslandschaft zu suchen.
Informatik für Patienten nutzen.
Antje Wulff (27) hat Wirtschaftsinformatik studiert. Während des Bachelor-Studiums bekam sie bei der IBM einen Einblick in den Arbeitsbereich „Healthcare and Life Sciences“. „Das hat mir gut gefallen, und so bin ich bei der Medizin geblieben“, sagt sie. Ihren Master machte sie dann am Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI) der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Dort ist sie jetzt wissenschaftliche Mitarbeiterin. Antje Wulff lässt keinen Zweifel, was sie in ihrem Beruf antreibt: „Es geht darum, dass die Medizininformatik Menschen helfen muss.“
Wie das funktionieren kann, soll eine Studie zeigen, die an der Pädiatrischen Intensivstation der MHH realisiert worden ist. Diese Station setzt bundesweit Maßstäbe. Sie ist deutschlandweit die größte ihrer Art, die kleinen Patienten kommen oft von weit her, und das Spektrum der Diagnosen ist groß: komplizierte Herzfehler, multiples Organversagen, schwere Infektionen, Lebertransplantationen. Oft ist der Rettungshubschrauber im Einsatz. Wer hier aufgenommen wird, der schwebt meist in akuter Lebensgefahr.
Mehr Sicherheit für Diagnose und Therapie.
Antje Wulff trifft sich an diesem Tag mit dem Pädiater und Oberarzt Dr. Thomas Jack. Mit ihm hat sie an dieser Studie gearbeitet, und dabei stand eine zentrale Frage im Blickpunkt: Kann die Medizininformatik dazu beitragen, dass Ärzte mit Hintergrundinformationen versorgt werden, die ihnen mehr Sicherheit für diagnostische und therapeutische Entscheidungen geben – nicht morgen, nicht in einer oder zwei Stunden, sondern sofort, weil jede Sekunde zählt?
Vitalwerte in Echtzeit digital überwachen.
Eine der wichtigen und schwerwiegenden Komplikationen in der pädiatrischen Intensivmedizin ist das Systemische Inflammatorische Response-Syndrom (SIRS). Es ist eng verwandt mit der Sepsis und führt zu Organversagen. SIRS kann durch Monitoring der richtigen Parameter frühzeitig erkannt werden. Abhängig vom Alter des Patienten gelten bestimmte Grenzwerte, etwa bei der Anzahl der Leukozyten, der Körpertemperatur, der Herz- und Atemfrequenz. Die Grenzwerte variieren allerdings, und die Datenlage ist hoch komplex. Es gab bisher kein digitales System, das in der Lage gewesen wäre, in Echtzeit die Vitalwerte zu überwachen, um im entscheidenden Moment Alarm zu schlagen.
Ist der Aufbau eines solchen Systems in der Intensivmedizin möglich? Das wird an der MHH in der so genannten CADDIE-Studie erforscht. CADDIE ist die Abkürzung für Cross-institutional and data-driven decision-support for intensive care environments. Computerbasierte Systeme, die Ärzte bei therapeutischen Entscheidungen unterstützen, sind keine neue Erfindung, es gibt eine Vielzahl an Ansätzen. Das Kernproblem: In aller Regel werden sie isoliert von anderen Systemen verwendet und immer der jeweils eigenen Versorgungswelt mit ihren lokalen Infrastrukturen angepasst. Die Integration in andere Systemlandschaften würde einen hohen technischen, finanziellen und personellen Aufwand erfordern.
Datenabfrage unabhängig vom Ort.
Die Studien-Designer an der MHH hatten von Anfang an ein ehrgeiziges Ziel: Das CADDIE-System soll im Idealfall in jedem Krankenhaus der Welt für komplexe und wissensintensive Anwendungsfälle eingesetzt werden. Deshalb wird es in ein sogenanntes openEHR-basiertes Konzept integriert. Das ist ein offener Standard für die Entwicklung von elektronischen Patientenakten und freien Plattform-Architekturen, der den Ausbau von interoperablen Anwendungs- und Forschungssystemen für das Gesundheitswesen erleichtert. Für dieses Konzept gibt es einen weltweiten Konsens, es bietet die Chance, medizinische Daten in Zukunft auch international abzufragen.
Heterogenes Datenmaterial zusammenführen.
Für außenstehende Beobachter entsteht der Eindruck, dass die meisten Akteure bei der Entwicklung von Datensystemen in der Medizin – ob in der eigenen Klinik, lokal, überregional oder international – prinzipiell ihr eigenes Süppchen kochen. Antje Wulff kann diese Wahrnehmung aus eigener Erfahrung bestätigen: Der Sinn für die Suche nach gemeinsamen oder austauschbaren Lösungen ist bisher nur begrenzt vorhanden. Dabei sind diese Daten ein ungehobener Schatz. Millionen Patienten könnten profitieren, wenn die Systeme harmonisiert würden. Und vieles schlummert – womöglich bis in alle Ewigkeit – immer noch in Papierakten. „Die Datensilos der Kliniken sind für uns wertvoll“, sagt Wulff, „sie müssen aber harmonisiert und computerlesbar gemacht werden, um sie nutzenbringend mit IT-Werkzeugen analysieren zu können.“
Dabei müsste die Harmonisierung eigentlich an der Basis beginnen, weiß die Informatikerin. Aber schon dort hapert es an allen Ecken und Enden: Jede Klinik beliefert aus ihrer Erfahrung Informationssysteme tagtäglich mit unterschiedlichsten Daten aus der Versorgungsroutine – Laborwerte, Röntgenbilder, Arztbriefe. Doch dieses Material ist sehr heterogen. Selbst vermeintlich einfach strukturierte Blutdruckwerte werden in einer Klinik oft unterschiedlich dokumentiert. Das hat auch die Arbeit von Antje Wulff bei der CADDIE-Studie erschwert.
Die Medizinische Informatik ist die Wissenschaft der systematischen Erschließung, Verwaltung, Aufbewahrung, Verarbeitung und Bereitstellung von Daten, Informationen und Wissen in der Medizin und im Gesundheitswesen. Ihr Ziel ist es, zur Gestaltung der bestmöglichen Gesundheitsversorgung beizutragen.
Zu diesem Zweck setzt sie Theorien und Methoden, Verfahren und Techniken der Informatik und anderer Wissenschaften ein und entwickelt eigene. Mittels dieser beschreiben, modellieren, simulieren und analysieren Medizinische Informatikerinnen und Informatiker Informationen und Prozesse mit dem Ziel, Ärzte, Pflegekräfte und andere Akteure im Gesundheitswesen sowie Patienten und Angehörige zu unterstützen, Versorgungs- und Forschungsprozesse zu gestalten und zu optimieren sowie zu neuem Wissen in Medizin und Gesundheitswesen beizutragen.
Damit die hierzu nötigen Daten und Informationen und das benötigte Wissen fachgerecht erfasst, aufbewahrt, abgerufen, verarbeitet und verteilt werden können, entwickeln, betreiben und evaluieren Medizinische Informatiker Infrastrukturen, Informations- und Kommunikationssysteme einschließlich solcher für medizintechnische Geräte.
Die Medizinische Informatik versteht diese als sozio-technische Systeme, deren Arbeitsweisen sich in Übereinstimmung mit ethischen, rechtlichen und ökonomischen Prinzipien befinden.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Für die Diagnose SIRS wurden nach umfangreichen Vorrecherchen mit Experten fast 100 Regeln aufgestellt, die das neue System als Vorgabe bekam. Kleine Patienten mit Herzrythmusstörungen zum Beispiel liegen oft auf einer Kühlmatte. Damit soll die Körpertemperatur gesenkt werden, erläutert Jack. Ohne die Zusatzinformation „Achtung: Maßnahme von außen“ würde das System bei Untertemperatur einen falschen Alarm auslösen. „Der Aufwand, um alle wichtigen Behandlungsdetails zu integrieren, damit alles funktioniert, war gigantisch“, sagt der Oberarzt. Am Ende hat sich der große Einsatz beim aufwendigen Sammeln und Verarbeiten der Daten auch aus Sicht von Antje Wulff gelohnt. Noch ist die Auswertung der Ergebnisse nicht abgeschlossen, doch die Zwischenbilanz fällt überaus positiv aus.
Frühwarnung im richtigen Moment.
Was kann dieses System bewirken, wenn es die vielen hohen Zulassungshürden überspringt und tatsächlich einmal eingeführt werden sollte? Thomas Jack entwickelt ein Szenario aus dem Arbeitsalltag auf der Kinder-Intensivstation: „Da liegen vielleicht vier kleine Patienten in einem Zimmer, es gab an diesem Tag drei Herzoperationen, dazu noch eine Lebertransplantation bei einem Jungen, der mit dem Rettungshubschrauber gekommen ist. Und dann ist vielleicht kein erfahrener Oberarzt im Einsatz, sondern ein Assistent, der bis zu neun Kinder parallel zu betreuen hat. Der steht extrem unter Druck und verliert aus dem Blick, dass für einen dieser jungen Patienten SIRS innerhalb kürzester Zeit zu einem großen Problem werden könnte. Und das, obwohl Monitore über den Betten die relevanten Daten anzeigen. Genau dann schlägt das System im richtigen Moment Alarm – und das ist haargenau das, was wir erreichen wollen.“
Kein Ersatz für ärztliche Erfahrung.
Antje Wulff hat die Erfahrung gemacht, dass insbesondere Ärzte ihre Arbeit zuweilen kritisch sehen. Sie befürchten, dass mit der wachsenden Bedeutung der Medizininformatik Arbeitsplätze abgebaut werden. „Solche Ängste sind unbegründet“, sagt die Nachwuchswissenschaftlerin: „Wir wollen kein System etablieren, dem wir am Ende einen weißen Kittel überstülpen und sagen, das ist jetzt ein neuer Arzt.“
Medizininformatik kann niemals all das ersetzen, was ein Mediziner im Laufe eines Berufslebens an Erfahrung aufgebaut habe. Sie weiß: Algorithmische Systeme haben keine empathischen Fähigkeiten, sie haben kein eigenes Bewusstsein, und das berühmte Bauchgefühl, auf das nicht wenige Ärzte nach einem langen Berufsleben als echte Hilfe vertrauen, können diese Systeme niemals entwickeln. Deshalb werde der direkte Arzt-Patienten-Kontakt immer eine fundamentale Bedeutung haben, die nicht zu ersetzen sei. Die junge Wissenschaftlerin ist sicher: Wenn algorithmische Systeme einen Teil der ärztlichen Arbeit übernehmen, dann haben Mediziner mehr Zeit für das, was Patienten immer wieder anmahnen: Gespräche, Zuwendung und Menschlichkeit.
Entlastung für Ärzte und Pflegekräfte.
Auch Oberarzt Jack kann nicht erkennen, dass Medizininformatik tendenziell Arbeitsplätze gefährdet. Aus seiner Sicht ist genau das Gegenteil der Fall. Er erläutert, welche grundsätzlichen Auswirkungen die Informatik auf die Arbeit in der Kinderintensivmedizin haben kann: „Wir haben früher mit 12 Betten auf unserer Station 700 bis 800 Patienten im Jahr betreut. Heute haben wir wegen des Pflegemangels noch zehn bis 14 Betten und betreuen über 1.000 Patienten pro Jahr“. Auf der Station bedeute das: eine gravierende Arbeitsverdichtung, überarbeitete Mitarbeiter, eine höhere Belastung mit steigender Gefahr, individuelle Fehler mit womöglich fatalen Folgen zu machen, die nicht mehr korrigiert werden können. Der Oberarzt ist sicher: Alles, was an überzeugenden digitalen Möglichkeiten entwickelt wird, um die Arbeit auf der Station zu erleichtern, wird sich am Ende durchsetzen.
Die Medizininformatik-Initiative (MII) ist ein bundesweites Förderprojekt, bei dem Wissenschaftler aus Medizin, Informatik und weiterer Fachrichtungen der deutschen Universitätskliniken zusammenarbeiten. Ihr Ziel ist es, die Patientendaten, die während eines Klinikaufenthalts entstehen, bundesweit digital zu vernetzen. So kann mit diesen Daten geforscht werden, um Krankheiten zukünftig schneller und besser heilen zu können. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Medizininformatik-Initiative zunächst bis 2021 mit rund 160 Millionen Euro.
Alle deutschen Universitätskliniken haben sich inzwischen in der MII zusammengeschlossen und bereits erste Datenintegrationszentren eingerichtet. Darin werden Versorgungs- und Forschungsdaten dezentral am jeweiligen Uniklinikstandort zusammengeführt, standardisiert und für den standortübergreifenden Austausch aufbereitet.
Weitere Informationen über die Medizininformatik-Initiative
Vor zwei Jahren war die MHH-Intensivstation überregional in die Schlagzeilen geraten, weil wegen wachsendem Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal Betten abgebaut werden mussten. Seitdem werden zwangsläufig immer wieder kleine Patienten abgewiesen – allein 2018 musste die Kinderintensivstation der MHH trotz freier Betten die Übernahme von über 400 Kindern aus anderen Kliniken ablehnen. Und nicht selten muss verzweifelten Eltern erklärt werden, dass der geplante OP-Termin für ihr Kind wieder einmal verschoben wird, weil kleine Patienten mit noch größeren Gesundheitsproblemen eingeliefert wurden.
Es gibt Gründe für den Pflege-Notstand auf der Station. Für die Intensiv-Krankenpflege wird eine aufwendige Zusatzausbildung benötigt, die nicht jeder machen will – und das liegt aus Sicht von Pädiater Jack nicht nur am Gehalt. „Es handelt sich um eine noch junge Disziplin mit jungen Kollegen, die sich bewusst einer Herausforderung stellen, die größer ist als die im klassischen Pflegeberuf“, sagt er. Wenn klar sei, dass diese Arbeit auf hohem Niveau digital unterstützt werde, dann werde auch das Interesse steigen. Jack: „Diese Unterstützung ist ja ein Signal. Sie bedeutet: Du wirst als Pfleger Zeit haben, dich intensiv um die jungen Patienten zu kümmern, und nicht um zeitraubende formale Aufgaben, die mit den Möglichkeiten der Medizininformatik viel effizienter zu bewältigen sind.“
Medizinische Datenzentren im Aufbau.
Antje Wulff hat als Medizininformatikerin an der MHH viele andere Arbeitsprojekte. Dabei geht es zum Beispiel auch um die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Medizininformatik-Initiative (siehe Kasten). Dieses bundesweite Förderprojekt soll Wissenschaftler aus Medizin, Informatik und weiterer Fachrichtungen der deutschen Universitätskliniken zusammenführen. Ziel ist es, Patientendaten, die während eines stationären Aufenthalts entstehen, bundesweit digital zu vernetzen. So kann mit den Daten geforscht werden, um Krankheiten künftig schneller und besser heilen zu können. „Viele der Unikliniken, die sich daran beteiligen, bauen medizinische Datenintegrationszentren auf. Sie führen Patientendaten aus verschiedenen Klinikbereichen zusammen und machen sie maschinenlesbar“, erläutert Wulff. Für den Aufbau des Integrationszentrums an der MHH koordiniert sie die institutionsübergreifende Modellierung von Daten für eine spätere Datenbank.
Darüber hinaus koordiniert Antje Wulff eine Arbeitsgruppe im Rahmen des bundesweiten Konsortiums HiGHmed, die nicht nur an der MHH, sondern auch an anderen Universitätsstandorten in Deutschland IT-Lösungen für konkrete Anwendungsfälle im Bereich der Kardiologie, Onkologie und Infektionskontrolle entwickelt. Sie soll exemplarisch die Möglichkeiten moderner digitaler Dienstleistungen und Infrastrukturen im Gesundheitsbereich zeigen. Die 27-Jährige arbeitet in diesem Teamprojekt im Bereich Infektionskontrolle an der technischen Umsetzung eines automatisierten Frühwarnsystems, das bei Häufungen von Erregern Alarm schlägt. Dabei werden Informationen über die Aufenthaltsorte der Patienten mit ihren mikrobiologischen Befunden zusammengeführt: „Wer war wann auf welcher Station und wurde wann wohin verlegt?“, und „Welche Erreger wurden wann bei welcher Person nachgewiesen?“
Die junge Medizininformatikerin ist überzeugt, dass die Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin ihren Platz finden wird. Dabei ist es ihr wichtig, auf Unterschiede hinzuweisen. Bei der CADDIE-Studie handelt es sich um ein wissensbasiertes Modell. Das System kennt die exakt definierten Regeln für ein konkretes Krankheitsbild und überprüft dann jeweils, ob die gelieferten Daten in dieses Regelwerk passen.
Die Technologie erklärbar machen.
Zunehmend in den Fokus rücken aber datenbasierte Modelle als selbstlernende Programme. „Wenn man sie beispielsweise mit radiologischen Bildern und dazugehörigen Befunden trainiert, lernen sie, solche Bilder eigenständig zu bewerten.“ Diese Systeme liefern aus Sicht von Antje Wulff hervorragende diagnostische Ergebnisse – schneller und zuverlässiger als ein Mensch das schafft. Sie sind aber aus Sicht der Nachwuchswissenschaftlerin oft eine Black Box: Vorne kommen Daten hinein, hinten ein Ergebnis heraus. Was dazwischen passiert, ist oft nicht klar.
„Das halte ich in der Medizin für ziemlich problematisch“ sagt Wulff. „Wenn der Arzt dem Patienten eine Diagnose erklärt, und der will dann wissen, wie er auf diese Diagnose kommt, dann ist es schwierig, wenn der Arzt einräumen muss, dass nicht er, sondern das System diese Diagnose gestellt hat.“ Für ihre eigene Tätigkeit gelten Regeln, bei denen eine Black Box wenig Chancen hat: „Wir achten bei unserer Arbeit immer darauf, dass wir Dinge, die wir tun, auch erklären können.“ Überzeugt von der Künstlichen Intelligenz ist Antje Wulff dennoch: „Wenn wir harmonisierte Daten erst einmal standortübergreifend analysieren können, ergeben sich großartige Einsatzmöglichkeiten.“
Arbeitsabläufe und Ressourceneinsatz besser planbar.
Auf der Kinderintensivstation der MHH werden bereits Visionen entwickelt, wie sich Arbeitsabläufe mit den Möglichkeiten der Medizininformatik in Zukunft entwickeln werden. Konkret könnte das so aussehen: Ärzte und Pflegekräfte vom Frühdienst kommen morgens auf die Station, ihr Blick fällt auf einen Monitor, und die Algorithmen auf dem Bildschirm sagen, was an diesem Tag für jeden einzelnen Patienten zu erwarten ist: Bei einem der operierten Kinder etwa wird sich der Gesundheitszustand anders als erwartet deutlich verschlechtern, beim anderen schreitet der Prozess der Genesung schneller voran. Mit diesem Hintergrundwissen könnten die Ressourcenplanung deutlich verbessert und die Arbeit effizienter gestaltet werden. „Ich bin optimistisch, dass sich die Dinge genau so entwickeln werden,“ sagt Antje Wulff: „Medizininformatik soll Menschen helfen – und das wird in Zukunft immer besser gelingen.“