Sachverständigenrat Gesundheit

Experten-Wissen für den Wandel

Bedarfsgerechte Versorgung, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Wettbewerb: Der Sachverständigenrat analysiert regelmäßig die Entwicklung des Gesundheitswesens und macht der Politik Vorschläge, was sich wie ändern sollte. Einblicke in die Arbeit der Gesundheitsweisen von Thomas Rottschäfer

Wenn die sieben Gesundheitsweisen wie geplant im Januar 2023 ihr neues Gutachten vorstellen, überreichen sie es voraussichtlich zum ersten Mal einem Gesundheitsminister, der selbst schon Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR Gesundheit) war. Von 1999 bis zu seinem Wechsel in die Politik 2005 gehörte Professor Karl Lauterbach dem Rat an. Grundsätzlich dürfte also die Chemie stimmen zwischen einem Minister, der sich nach eigenem Bekunden immer noch als Wissenschaftler sieht, und den drei Frauen und vier Männern aus der Wissenschaft – allesamt als Professorinnen und Professoren in Forschung und Lehre tätig und führende Köpfe ihrer Fachrichtungen.

Sieben Mitglieder hat der SVR Gesundheit. Aktuell gehören ihm die Mediziner Ferdinand M. Gerlach, Christof von Kalle und Petra A. Thürmann, die Pflegewissenschaftlerin Gabriele Meyer sowie die Gesundheitsökonomen Wolfgang Greiner, Beate Jochimsen und Jonas Schreyögg an (Hintergründe zu den Ratsmitgliedern siehe Kasten „Die sieben Gesundheitsweisen“). Ihre Stellenbeschreibung: „Die Ratsmitglieder müssen über besondere medizinische, gesundheits-, pflege-, wirtschafts- oder sozialwissenschaftliche oder besondere andere wissenschaftliche Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, die zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags des Rates wesentlich beitragen können.“

Porträt von Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Gesundheit

„Wir müssen an die Strukturen ran“

Für den Koalitionsvertrag hat die Ampel reichlich aus dem Gutachtenfundus des Sachverständigenrates für Gesundheit geschöpft, sagt Professor Ferdinand M. Gerlach. Zum G+G-Interview mit dem Ratsvorsitzenden

Aktuell arbeiten die Gesundheitsweisen am 22. Gutachten in der fast 37-jährigen Geschichte des Gremiums. Es geht um die Resilienz des deutschen Gesundheitswesens, um Lehren aus der Covid-19-Pandemie, in der wir noch mittendrin stecken. Die Sachverständigen begutachten gewissermaßen „am offenen Herzen“. Außerdem geht es um die Folgen des Klimawandels und die notwendigen Vorbereitungen auf Gesundheitsgefahren durch Hitze oder neue Erreger.

Corona-Pandemie macht Fehlentwicklungen deutlich.

Das Thema Pandemie lag nahe. Die Corona-Krise hat viele Stärken, vor allem aber die Schwächen des Gesundheitswesens offengelegt. In dieser Bewertung waren sich schon nach dem ersten Corona-Jahr 2020 alle Beteiligten einig. Das betrifft einen zunächst heillos überlasteten Öffentlichen Gesundheitsdienst, den Blindflug ohnehin nicht üppig vorhandener Versorgungsdaten, die generell stockende Digitalisierung und ein Nebeneinander der Versorgungsebenen, die sich auch nach 20 Jahren gesundheitspolitischer Brückenbauarbeiten am liebsten in ihren jeweiligen „Sektoren“ einigeln.

Vor allem die Defizite der Digitalisierung treiben den Rat um. Im jüngsten Gutachten „Digitalisierung für Gesundheit“ vom März 2021 haben die Gesundheitsweisen der Politik die gesammelten Defizite ins Stammbuch geschrieben: „Leben und Gesundheit der Menschen in Deutschland könnten besser geschützt werden, wenn endlich die Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen verantwortlich und wissenschaftlich sinnvoll genützt würden.“ Schon im April 2020 hatten die sieben Ratsmitglieder in einem „Weckruf“ im Magazin „Spiegel“ mit Blick auf die Corona-Krisenpolitik postuliert: „Falsch verstandener Datenschutz darf kein Tatenschutz sein und keine Menschenleben kosten.“

Der Sachverständigenrat ist interdisziplinär besetzt und hat sieben, vom Bundesgesundheitsminister berufene Mitglieder:
 

  • Professor Dr. Ferdinand M. Gerlach
    Der Allgemeinmediziner ist seit 2004 Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er gehört dem Rat seit 2007 an, seit 2012 ist er Vorsitzender. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Qualitätsförderung in der ambulanten Versorgung, die Umsetzung evidenzbasierter Medizin, Fehlerprävention und Risikomanagement sowie die strukturierte Versorgung chronisch Kranker.
     
  • Professor Dr. Wolfgang Greiner
    Der Gesundheitsökonom leitet die Arbeitsgruppe „Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement“ an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Er ist seit 2010 Ratsmitglied und seit 2019 stellvertretender Vorsitzender. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Finanzierung und Risikostrukturausgleich in Sozialversicherungssystemen, Disease-Management-Programme sowie Evaluation und Bewertung von Gesundheitsleistungen.
     
  • Professorin Dr. Beate Jochimsen
    Die Volkswirtin hat seit 2010 die Professur für allgemeine Volkswirtschaftslehre (insbesondere Finanzwissenschaft) am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin inne. Sie gehört dem Rat seit 2019 an. Die Gesundheitsökonomin beschäftigt sich unter anderem mit fiskalischem Föderalismus und Finanzausgleich, poli­tischer Ökonomie und Wohlfahrtsmessung.
     
  • Professor Dr. Christof von Kalle
    Der Krebsforscher wurde 2019 auf den Lehrstuhl für Klinisch-Translatio­nale Wissenschaften von Berlin Institute of Health und Charité berufen. Zuvor leitete er das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Der Onkologe ist seit 2019 Ratsmitglied. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Molekular- und Gentherapie für Krebs und vererbbare Erkrankungen, Krebsstammzellen, Retroviren und die digitale Medizin.
     
  • Professorin Dr. Gabriele Meyer
    Die Gesundheits- und Pflegewissenschaftlerin ist seit 2013 Professorin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Direktorin des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Medizinischen Fakultät. Sie wurde 2015 in den Rat berufen. Sie forscht unter anderem zu epidemiologischen und klinisch-epidemiologischen Fragestellungen des höheren Lebensalters, darunter Versorgung und Pflege bei Demenz.
     
  • Professor Dr. Jonas Schreyögg
    Der Gesundheitsökonom ist seit 2011 Wissenschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics an der Universität Hamburg und seit 2010 Lehrstuhlinhaber für Management im Gesundheitswesen. Er wurde 2014 in den Rat berufen. Er forscht insbesondere zu Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der stationären und ambulanten Versorgung auf Basis von GKV-Routinedaten.
     
  • Professorin Dr. Petra A. Thürmann
    Die Medizinerin leitet seit 2019 das Helios Center for Research and Innovation und ist Professorin für Klinische Pharmakologie an der Universität Witten/Herdecke. Sie befasst sich unter anderem mit Arzneimitteltherapien und deren Sicherheit, Pharmakovigilanz und Medikationsfehlern. Hinzu kommen unter anderem geriatrische Pharmakotherapie, Versorgungs­forschung und Gendermedizin.

Gerlach ärgert sich vor allem über den Hang zur Gründlichkeit: „Wir wollen die 100 Prozent beste und sicherste Lösung entwickeln. Erst wenn wir die haben, fangen wir an.“ Hinzu komme ein verkehrtes Verständnis von Digitalisierung: „Es geht nicht darum, analoge Tools zu digitalisieren, sondern darum, die Prozesse im Interesse der Patienten und des Versorgungsprozesses neu zu denken.“ Als Beispiel nennt er das E-Rezept: „Wir brauchen kein digitales Papierrezept, sondern einen optimalen Medikationsprozess, über den ich eine automatische Korrekturempfehlung der Dosis bekomme, wenn der Patient eine Nierenschwäche hat. Potenzielle Wechselwirkungen müssen automatisch erkannt werden.“

Finger in offene Wunden gelegt.

Mit dem Digitalgutachten haben die sieben Wissenschaftler wieder einmal den Finger in offene Wunden gelegt, die schon eine ganze Reihe von Ressortchefs schmerzten – von Ulla Schmidts Ringen um die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte bis zu Jens Spahns Versuch, den Aufbau der Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen durch Neuaufstellung der Gematik gmbH mit Stimmenmehrheit des Bundes voranzubringen. Als roter Faden ziehen sich zudem die Themen Bedarfsgerechtigkeit und „Über-, Unter- und Fehlversorgung“ durch die Gutachten. Es gehört zum gesetz­lichen Auftrag des Gremiums, „unter Berücksichtigung der finanziellen Rahmenbedingungen und vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven Prioritäten für den Abbau von Versorgungs­defiziten und bestehenden Überversorgungen zu entwickeln“.
 
Mit diesen Generalthemen ist ein weiterer roter Faden verwoben: Wie unermüdliche Mauerspechte arbeiten sich die Gesundheitsweisen an der unsichtbaren Wand zwischen der stationären und ambulanten Versorgung ab. Bei der Vorstellung des Gutachtens 2018 zur bedarfsgerechten Steuerung der Gesundheitsversorgung wies der damalige Rats-Vize Professor Eberhard Wille darauf hin, dass „seit mindestens 2003 einheitliche Rahmenbedingungen für den ambulanten und den stationären Sektor gefordert werden“. Zwar hat die trennende Mauer Risse bekommen, unter anderem durch den Aufbau von Praxisnetzen. Doch der Einsturz lässt auf sich warten. Gerlach ist vorsichtig optimistisch, dass die Ampel-Koalition die Abbrucharbeiten forcieren könnte. Der Finanzdruck lasse es schlicht nicht mehr zu, die überfälligen strukturellen Reformen weiter hinauszuschieben (siehe Interview „Wir müssen an die Strukturen ran“).
 
Auch wenn nicht alles eins zu eins umgesetzt wird: Die Gutachten des Rates sind wirkmächtig. Zum 30. Geburtstag des Gremiums 2015 hat Eberhard Wille nachgeprüft, wie viele zentralen Experten-Forderungen in unterschiedlicher Form Eingang in die Gesetzgebung gefunden haben. Wille, von 2002 bis 2012 Vorsitzender der Expertenrunde, kam auf 50 Prozent. „Eine starke Quote“, findet der amtierende Ratschef. Es könne auch gar nicht sein, dass die Politik alle Vorschläge umsetzt: „Sie muss Interessen abwägen, Mehrheiten organisieren, gegenüber dem Wähler Verantwortung übernehmen.“

Viele Vorschläge ihrer Zeit voraus.

Zu den Vorschlägen und Empfehlungen, die von der Gesundheitspolitik aufgegriffen wurden, gehören nach Darstellung des Gremiums zum Beispiel die freie Kassenwahl für gesetzlich Versicherte, die Einführung eines Risikostrukturausgleichs, die Förderung der ambulanten Pflege durch die Steigerung der Leistungsstufen und eine Dynamisierung der Leistungen, eine bessere Versorgung von Menschen mit Demenz oder der Ausbau von Präventions- und Rehabilitationsleistungen. Es gibt Vorschläge, „deren Zeit gekommen ist“, sagt Gerlach. „Viele Vorschläge waren ihrer Zeit voraus und wurden dann aber fünf oder zehn Jahre später umgesetzt.“ Im deutschen Gesundheitswesen gebe es eben keine Revolutionen, sondern allenfalls Evolution.

Struktur der Gutachten legt der Rat fest.

Zurück zur Arbeit am aktuellen Gutachten: Aus einer ganzen Reihe von Vorschlägen, darunter auch „Öffentlicher Gesundheitsdienst“ und „Pflegeversicherung“, haben sich die Ratsmitglieder schließlich für die interdisziplinäre Resilienz-Analyse im Krisen-Doppelpack entschieden: Pandemie und Klimawandel. Laut Gesetz kann das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Themen der Gutachten zwar näher bestimmen. In der Praxis legen jedoch die Wissenschaftler Inhalt und Struktur der Hauptgutachten fest, die der Rat im Zwei-Jahres-Rhythmus vorlegt.

Die Wissenschaftler stimmen sich für die Gutachten zeitlich eng getaktet ab.

Expertisen, die das BMG oder der Bundestag „zwischendurch“ zu bestimmten Themen in Auftrag geben, werden in der Reihe der inzwischen 21 SVR-Berichtsbände als Sondergut­achten geführt. Zuletzt bestellte der Bundestag 2015 angesichts un­gewöhnlicher Ausgabensteigerungen beim Krankengeld eine Analyse des Problems und Lösungsvorschläge. Ulla Schmidt gab 2009 ein Sondergutachten über die Folgen einer Gesellschaft des längeren Lebens in Auftrag.

Das Krankengeld-Sondergutachten haben die damaligen Ratsmitglieder in elf Monaten erstellt. Rekordzeit. Für die großen Gutachten braucht es nach Darstellung Gerlachs die im Gesetz verankerte Frist von zwei Jahren. „Wir machen das als Nebentätigkeit, die trotzdem viel Kraft und Zeit kostet.“ Über die zwei Jahre hinweg tagen die Ratsmitglieder regelmäßig mindestens einmal im Monat ganztägig, wenn es auf das Gutachten zugeht auch zweitägig. Darüber hinaus gibt es zusätzliche Videokonferenzen und Abstimmungen per E-Mail.

Unterstützt wird der Rat durch eine Geschäftsstelle mit derzeit sechs wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen in Berlin und am Hauptsitz des Bundesgesundheitsministeriums in Bonn, zugeordnet einem Ministeriums­referat unter der Leitung von Dr. Frank Niggemeier, der zugleich noch das Thema „Ethik im Gesundheits­wesen“ verantwortet. „Nach der Themenentscheidung erstellen wir die Struktur des Gutachtens und verteilen die Kapitel und Unterkapitel an Teams aus Ratsmitgliedern und Geschäftsstellenmitarbeitern“, berichtet Gerlach aus der Gutachten-Werkstatt. Die von den Sachverständigen jeweils federführend verfassten Entwürfe kommen dann in die „erste Lesung“. „Wir treffen uns und gehen alles Wort für Wort durch. Da wird manchmal über eine Formulierung eine halbe Stunde diskutiert“, erläutert der Vorsitzende.

Behörden und Institute liefern Zahlen zu.

Für ihre Arbeit ziehen die sieben Gesundheitsweisen alle verfügbaren Daten aus dem In- und Ausland heran. Darüber hinaus veranstaltet der Rat auch eigene Expertenanhörungen oder informiert sich vor Ort, zum Beispiel in Dänemark und in Estland über Krankenhausreformen und Digitalisierung. Fast in jedem Gutachten sind zudem Verbände- und Experten-Befragungen sowie eigene Datenerhebungen oder Ergebnisse aus extern vergebenen Forschungsaufträgen enthalten. Behörden oder Forschungseinrichtungen liefern Daten auf Anfrage zu, darunter das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information, das Statistische Bundesamt, das Bundesamt für Soziale Sicherung oder das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Die Zuarbeit ist nicht verpflichtend, wird aber in der Regel erfüllt. „Der Sachverständigenrat musste noch niemals jemanden nötigen“, schmunzelt Gerlach.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, kurz Sachverständigenrat Gesundheit (SVR Gesundheit) hat im Abstand von zwei Jahren Gutachten zur Entwicklung der gesundheitlichen Versorgung mit ihren medizinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu erstellen. Dabei soll der Rat unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Möglichkeiten und Wege zur Weiterentwicklung aufzeigen sowie Empfehlungen zur Behebung von Versorgungsdefiziten und zum Abbau bestehender Überversorgungen entwickeln. Dieser Auftrag ist im Sozialgesetzbuch (Paragraf 142 SGB V) verankert.

Die Gutachten werden in der Regel dem Bundesministerium für Gesundheit übergeben sowie Bundestag und Bundesrat vorgelegt. Bisher sind 21 Gutachten erschienen. Zahlreiche Vorschläge des Rates sind aufge­griffen worden, darunter zum Beispiel die Kassenwahlfreiheit, die Einführung eines Risikostrukturausgleichs oder der Ausbau von Präventions- und Rehabilitationsleistungen. Der Rat legt die Themen der Gutachten in der Regel selbst fest. Das Bundesministerium für Gesundheit kann den Gegenstand jedoch näher vorgeben und die Sachverständigen zusätzlich mit Sondergutachten beauftragen.

Das Gremium wurde 1985 als „Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen“ gegründet und 2004 in „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“ umbenannt. Seit 1991 werden die Mitglieder des Rates vom Bundesminister für Gesundheit berufen – zuletzt 2019 durch Gesundheitsminister Jens Spahn. Die einzelnen Mitglieder können dem Rat über mehrere Perioden angehören. Der interdisziplinär besetzte SVR Gesundheit hat sieben Mitglieder, darunter derzeit drei Gesundheitsökonomen, drei Mediziner und eine Pflegewissenschaftlerin.

Organisatorisch werden die nebenamtlich tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch eine Geschäftsstelle in Berlin und Bonn unterstützt.

 Weitere Informationen über den Sachverständigenrat Gesundheit

Neue Erkenntnisse, Zahlen, Daten und Quellen fließen in die Entwürfe ein. Es folgen Überarbeitungen, zweite Lesung und weiterer Feinschliff. Dann gibt es eine dritte und vierte, manchmal auch eine fünfte und sechste Lesung. Zum guten Schluss stellt eine Endredaktion die Querverbindungen zwischen den vielen Kapiteln und Unterkapiteln her und verwandelt die wissenschaftliche Fleißarbeit in ein aussagekräftiges Gutachten aus einem Guss. Angesichts des Zeit- und Organisationsaufwandes nimmt sich das Budget des Sachverständigenrates eher bescheiden aus. Personal- und Sachkosten im Zusammenhang mit der Arbeit des Rates werden nach Angaben des BMG mit etwa 700.000 Euro pro Jahr aus Steuermitteln finanziert.

Gutachten mit Öffentlichkeit diskutiert.

Mit der Übergabe des kiloschweren Gutachtens an den Bundesgesundheitsminister und der Vorstellung der Empfehlungen in der Bundespressekonferenz ist es längst nicht mehr getan. In den vergangenen Jahren hat der Rat seine öffentliche Präsenz und Wirkung nach und nach erweitert. Zum Sondergutachten 2009 zur „Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens“ gab es erstmals ein öffentliches Symposium. Zum Gutachten 2018 „Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung“ schlossen sich dem Symposium in Berlin erstmals vier Regionalkonferenzen in Hamburg, Frankfurt am Main, Halle an der Saale und Düsseldorf an. Dabei diskutierten die Gesundheitsweisen unter anderem mit zwölf der 16 Landesgesundheitsminister über ihre Vorschläge für die Reform der Notfallversorgung und der Krankenhausstrukturen. Zudem lud der Rat erstmals schon während der Gutachtenerstellung zu einem „Werkstattgespräch“ zur Neuordnung der Notfallversorgung ein.

  • 2021: Digitalisierung für Gesundheit – Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems
  • 2018: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung (unter anderem mit Empfehlungen zur Reform der Notfallversorgung und der Krankenhausversorgung)
  • 2015: Krankengeld – Entwicklung, Ursachen und Steuerungsmöglichkeiten (Sondergutachten)
  • 2014: Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche
  • 2012: Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung (Sondergutachten)
  • 2009: Koordination und Integration – Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens (Sondergutachten)
  • 2007: Kooperation und Verantwortung – Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung
  • 2005: Koordination und Qualität im Gesundheitswesen
  • 2003: Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität
  • 2000/2001: Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit.
    Band 1: Zielbildung, Prävention, Nutzerorientierung und Partizipation
    Band 2: Qualitätsentwicklung in Medizin und Pflege
  • 1996/1997: Gesundheitswesen in Deutschland. Kostenfaktor und Zukunftsbranche (Sondergutachten)
    Band 1: Demographie, Morbidität, Wirtschaftlichkeitsreserven und Beschäftigung
    Band 2: Fortschritt, Wachstumsmärkte, Finanzierung und Vergütung

 Weitere Informationen: SVR – Publikationen

Ein solches war auch für das Gutachten zur Digitalisierung geplant, musste aber wegen der Pandemie ausfallen. Seine zentralen Thesen und Lösungsvorschläge stellte der Rat dann im März 2021 in einem gestreamten Online-Symposium vor. Überdies sind die sieben Expertinnen und Experten nach der Vorlage ihrer Gutachten gefragte Vortrags- und Diskussionsgäste bei vielen Fachveranstaltungen im Gesundheitswesen. Für Breitenwirkung ist also gesorgt.

Unabhängigkeit des Rates gesetzlich vorgegeben.

Es hätte daher wenig Sinn gehabt, wenn zuletzt Ulla Schmidt, Philipp Rösler, Daniel Bahr, Hermann Gröhe und Jens Spahn die in der Regel für eine Bundesregierung nicht schmeichelhaften Analysen nach der feierlichen Übergabe in einem Stahlschrank im Keller des Ministeriums weggeschlossen hätten. Zumal die Sachverständigen zwar vom jeweiligen Bundesgesundheitsminister berufen werden, ihre Ratschläge aber als offizielle Drucksachen des Bundestages allen Abgeordneten und dem Bundesrat zur Verfügung stehen. Gerlach legt Wert auf die Feststellung, dass der SVR nicht der Rat des Ministeriums oder des Ministers sei: „Im Sozialgesetzbuch V ist das Gremium als unabhängiger Rat konzipiert, und wir berichten den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes und der Länder.“ Der Gesundheitsminister ist zudem gehalten, von allen vom Thema betroffenen Abteilungen und Referaten seines Hauses Stellungnahmen einzuholen.

Twitter und Talkshows sind dagegen nicht das Ding der Gesundheitsweisen. Es gehe dem Rat nicht darum, „zu irgendwelchen Fragen aktuelle Meinungen zu vertreten“, betont ­Gerlach. „Wir leisten fundierte, unabhängige wissenschaftliche Politikberatung mit Langfristperspektive. Das ist unser „Markenkern“, und den möchte ich auch in dieser Form bewahrt wissen.“

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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