Porträt
Kommentar

Mehr unabhängige Expertise

Gesundheitsbehörden wie das Robert-Koch-Institut haben in der Pandemie teils eine wichtige Rolle gespielt. Sie brauchen eine größtmögliche Distanz zur Politik, mahnt Hajo Zenker.

Karl Lauterbach

scheint gerade im Reformrausch zu sein: Umbau der Krankenhauslandschaft, Sicherung der Finanzen von gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung, Durchbruch bei der Digitali­sierung, Beseitigung der Lieferengpässe bei Medikamenten, Neuordnung der Notfallversorgung, mehr ambulante Operationen, Legalisierung von Cannabis – nicht weniger steht auf dem Programm des Bundes­gesundheitsministers aus den Reihen der SPD. Dass bei alldem der aufs Sparen bedachte Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP mitspielt, ist eher fraglich. Corona jedoch, die Pandemie, die dem Experten und Mahner Lauterbach ins Amt verholfen hat, scheint selbst für diesen abgehakt.

Dass es „Schwachsinn“ bei den Corona-Maßnahmen gegeben habe, weist Lauterbach den Ländern zu. Dabei hätte der Bund allen Grund, nach der Pandemie in sich zu gehen und sich beispielsweise zu fragen: Wie halten wir es mit wissenschaftlicher Expertise? Lauterbach spricht immer gern von „wissenschafts­basierter Politik“. Doch er unterschlägt dabei, dass es die eine Wissenschaft nicht gibt, sondern höchst verschiedene Stimmen. Bei der Vorbereitung von politischen Entscheidungen dürfen nicht nur die Lauterbachs und Drostens zu Wort kommen, sondern müssen auch die Streecks und Stöhrs gehört werden.

Die nächste Gesundheitsgefahr kommt früher oder später.

Unabhängigere, pluralere Beratung muss institutionell abgesichert sein. Dazu würde gehören, dass etwa das Robert-Koch-Institut (RKI) nicht mehr dem Bundesgesundheitsministerium untersteht, sondern autonom agiert. Es spricht Bände, dass der langjährige RKI-Chef Lothar Wieler, der monatelang bei den Corona-Pressekonferenzen quasi als Echo des jeweiligen Ministers fungierte, aber intern wohl mehrmals mit Lauterbach aneinandergeriet, lieber ins private Hasso-Plattner-Institut wechselt. Und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung war in der Pandemie gar ein Totalausfall.

Wie groß der Wunsch der Politik ist, Wissenschaft zu instrumentalisieren und sie als Alibi für die eigenen Wünsche zu nutzen, ließ sich unter anderem beobachten, als Karl Lauterbach die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission durch öffentlichen Druck in seinem Sinne zu beeinflussen suchte. Größtmögliche institutionelle Distanz zur Politik tut daher Not, um besser aufgestellt zu sein für die nächste große Gesundheitsgefahr. Denn die kommt früher oder später.

Hajo Zenker ist Wirtschaftskorrespondent der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft.
Bildnachweis: privat