G+G-Wissenschaft

Adieu, männliche Norm

Corona hat es gezeigt: Infizierte Männer landen häufiger auf den Intensivstationen, infizierte Frauen entwickeln häufiger Long Covid. Die medizinischen Geschlechterunterschiede sind offensichtlich – und werden dennoch oft ignoriert. Von Ines Körver

Den alten Griechen

sprechen wir gewöhnlich zu, ein Ausbund an Weisheit und Scharfsinn zu sein. Manchmal täuschen wir uns da aber kräftig, denn in der Antike wurde einiges an Unsinn behauptet, auch Dämliches über Damen.

Beispiel Aristoteles: In seinem Text „Über die Zeugung der Geschöpfe“ qualifiziert der Philosoph Frauen als verkrüppelte Männer ab. Der Zweck des Geschlechterunterschieds bestehe in der Zeugung, so der Platon-Schüler, und der Mann spiele dabei die wichtigere Rolle, schließlich steuere er den Samen bei. Dieser sei übrigens aus warmer Atemluft aufgeschäumtes Blut – zu Aristoteles' Zeiten vertraten einige Menschen die Ansicht, Nahrung würde in Blut und ein Teil davon im männlichen Körper in Samen umgewandelt. Frauen seien zur Samenbildung nicht fähig und damit defizient, so Aristoteles.

Bis in die Neuzeit

wurde das weibliche Geschlecht am männlichen gemessen, wobei das männliche die Norm vorgab. Eierstöcke wurden lange als nach innen gestülpte weibliche Hoden, der Uterus als im Inneren befindlicher weiblicher Hodensack interpretiert. Noch 2008 zeigte eine Studie, dass zur Illustration des Körpers und seiner Teile dreimal mehr männliche als weibliche Modelle benutzt wurden. Eine andere Untersuchung zeigte im gleichen Jahr, dass längst bekannte geschlechtsspezifische Unterschiede bei Erkrankungen in Universitätslehrbüchern oft ungenannt bleiben beziehungsweise nur die für Männer typischen Symptome aufgeführt werden. Auch bei Arzneimitteln ist die Norm immer noch der 70 Kilo schwere weiße Mann.

Es gilt also noch einiges geradezurücken, in der Medizin und in unseren Köpfen. Wichtige Impulse haben in den vergangenen Jahren schon Bücher wie „Invisible Women. Exposing Data in a World Designed for Men“ (2019) von Caroline Criado-Perez und „Unwell Women. A Journey Through Medicine and Myth in a Man-Made World” (2021) von Elinor Cleghorn gegeben.

Einen Beitrag zur Diskussion

leistet auch die aktuelle G+G-Wissenschaft mit ihren drei Analysen. Darin gibt Regine Rapp-Engels einen fundierten Überblick über die nicht nur medizinischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Medizinerin und frühere Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes plädiert dafür, den biopsychosozialen Differenzen zwischen den Geschlechtern mehr Rechnung zu tragen. Doch Frauen sind natürlich nicht nur (potenzielle) Patientinnen im Gesundheitssystem, sie behandeln auch selbst Kranke. Barbara Puhahn-Schmeiser von der Universitätsklinik Freiburg hat daher Ärztinnen ins Visier genommen und geht der Frage nach, ob sie ihren Job sogar besser erledigen als ihre Kollegen. Wer noch etwas tiefer gehen will, erfährt in einer exklusiven Sonderauswertung der sogenannten KarMed-Studie für die G+G-Wissenschaft von Rüya-Daniela Kocalevent und Hendrik van den Bussche vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, unter welchen Umständen Fachärztinnen mit ihrer Weiterbildung zufrieden sind.