Pflichtjahr für junge Leute?
Aus der CDU kommt die Forderung nach einem Pflichtdienst für junge Leute – wahlweise im sozialen und gemeinnützigen Bereich oder bei der Bundeswehr. Sollte es einen solchen Dienst geben?
Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Unsere Gesellschaft lebt von Menschen, die sich freiwillig einbringen. Mit Zwang und Pflicht lässt sich nur wenig erreichen. Abgesehen davon stehen einer Dienstpflicht für alle hohe verfassungsrechtliche Hürden entgegen. Ich schlage deshalb vor, die Jugendfreiwilligendienste zu einem Jugendfreiwilligenjahr weiterzuentwickeln. Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit sich mehr junge Menschen für einen Freiwilligendienst entscheiden. Dazu gehören ein höheres Taschengeld, Vergünstigungen für die Fahrkarte im Nahverkehr und ein Zertifikat für den Lebenslauf, das später an Unis auf Wartesemester angerechnet wird.
Professorin Dr. Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe:
Das Soziale Jahr oder der Bundesfreiwilligendienst bieten bereits eine Möglichkeit, sich sozial einzubringen. Allerdings sind nicht genügend Stellen vorhanden. Ein verpflichtendes Jahr für alle jungen Menschen würde den Arbeitsmarkt belasten. Es besteht zudem die Gefahr, dass Menschen Aufgaben übernehmen, die eine besondere soziale Kompetenz von ihnen verlangen, über die sie nicht verfügen oder bereit sind, diese einzubringen. Ehrenamtliches Engagement sollte insgesamt gefördert werden. Auch muss die Begleitung von jungen Menschen, die sich freiwillig engagieren, finanziert werden.
Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages:
Grundsätzlich ist die Idee, nach der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen, ein sympathischer Gedanke. Allerdings stößt man an verfassungsrechtliche Grenzen: Im Moment ist eine Verpflichtung zum Dienst, wenn es nicht um existentielle Fragen wie die Verteidigung geht, mit unserem Grundgesetz nicht zu machen – es gilt das Verbot der Zwangsarbeit. Ein sozialer, ökologischer oder entwicklungspolitischer Dienst muss wohl auf Freiwilligkeit basieren. Aber der Staat könnte jeder und jedem Freiwilligen einen durchfinanzierten Platz garantieren. Das wäre neu.
Professor Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands:
Es ist wertvoll, wenn junge Menschen vor Einstieg in Berufsausbildung oder Studium Erfahrungen in sozialen Einrichtungen sammeln und dadurch vielleicht sogar eine berufliche Perspektive für sich entdecken. Aber man kann und sollte auch keinen Menschen zu einem Sozialdienst zwingen. Wer sich mit Kindern, mit Pflegebedürftigen oder mit Menschen mit Behinderung beschäftigt, muss dies wollen, braucht Empathie, braucht persönliche, soziale und materielle Unterstützung, muss Freude dabei empfinden. Alles andere wäre eine Zumutung für alle Beteiligten. Und: Unsere Verfassung verbietet aus gutem Grund einen allgemeinen Zwangsdienst.