Seit Mitte März dürfen Menschen auf den Philippinen ihr Zuhause nur mit einem Quarantäne-Pass verlassen. Jeder Haushalt erhält genau einen dieser Pässe. In Antipolo City wacht ein Freiwilliger über die Einhaltung der Vorgaben.
Gesundheit Global

Philippinen im Lockdown

Gut erreichbare Krankenhäuser, genügend Intensivbetten, ausreichend Beatmungsplätze – daran mangelt es auf den Philippinen. Gegen Corona kämpft das Land daher im Alltag mit harten Bandagen, wie Martina Merten in der Hauptstadt Manila beobachtet hat.

Anfang Februar trugen plötzlich

etliche Menschen auf den Straßen Manilas Schutzmasken. Einige von ihnen, so schien es, aus echter Besorgnis. Bei anderen wirkten sie fast wie ein modisches Accessoire. Der Anblick dieser Masken in den Gesichtern der Filipinos hatte etwas Unheimliches, Unwirkliches.

Doch es gab einen Grund, wenngleich er damals aus europäischer Perspektive vernachlässigbar schien: Am 30. Januar hatte das philippinische Gesundheits­ministerium den ersten Covid-19-Fall im Land identifiziert. Glücklicherweise, so berichteten die lokalen Medien, war das Virus nicht bei Einheimischen nachgewiesen worden, sondern bei einem chinesischen Paar. Sie 38 Jahre alt, der Partner 44 Jahre alt. Beide stammten aus Wuhan. Sie hatten einige Zeit auf der philippinischen Insel Dumaguete verbracht. Waren umhergeflogen. Die Frau war am 25. Januar wegen leichten Hustens in ein Krankenhaus der Hauptstadt Manila gebracht worden. Dort stellte man die Diagnose Covid-19. Die Frau und ihr Mann starben.

Leben in der Geisterstadt.

Auf den Phi­lippinen, einem krisengebeulten Land, ging die Nachricht von dem chinesischen Paar schnell unter. Es schienen keine weiteren Fälle auf dem Archipel zu folgen. Die Gesichter mit den komisch anmutenden Masken verschwanden. Doch plötzlich waren sie wieder da. Am 7. März bestätigte das Gesundheitsministerium die erste lokale Übertragung des neuartigen Corona-Virus. Keine 24 Stunden später schien die Gegend, aus der der infizierte Filipino stammte, Greenhills, wie eine Geisterstadt. Sämtliches Leben war aus der sonst beliebten Einkaufsgegend gewichen. Die Straßen um die Mall herum wie leergefegt.

Lockdown bedeutet auf den Philippinen: totale Ausgangssperre – ohne Waldspaziergänge oder Familienausflüge.

In den Folgetagen herrschte eine Stimmung in der Hauptstadt Manila, die schwer in Worte zu fassen ist: Einerseits versuchten die Menschen Normalität zu leben. Doch aufgrund der nun langsam steigenden Infektionszahlen schien diese Normalität von Tag zu Tag gefährdeter.

Am Donnerstag, den 12. März, schnellten innerhalb von 60 Minuten die Preise für eine Taxifahrt in gigantische Höhen. Später stellte sich heraus, warum dies passiert war: Aus internen Quellen war durchgesickert, dass der Präsident des Landes, Rodrigo Duterte, noch am selben Abend Ausgangssperren über Manila zu verhängen plante. Auch ging aus einem noch nicht veröffentlichten Dokument hervor, dass Inlandsflüge nur noch in den nächsten 48 Stunden erlaubt sein würden.

Ein Passierschein pro Haushalt.

Am 15. März begann auf der größten der philippinischen Inseln, Luzon mit der Hauptstadt Manila als Knotenpunkt, die „enhanced community quarantine“. Die restlichen Provinzen des Archipels folgten in den Tagen danach. Lockdown bedeutet auf dem Archipel: totale Ausgangssperre – ohne Waldspaziergänge, Familienausflüge in Parks oder Treffen mit dem besten Freund im Zweimeter-Abstand.

Seit 15. März darf nur noch eine Person pro Haushalt das Zuhause verlassen. Um dies zu tun, bedarf es eines Quarantäne-Passes. Die Kommunalverwaltungen haben einen einzigen Pass an jeden Haushalt ausgegeben. Wer ohne diesen Pass das Haus verlässt, dem drohen Strafen. Menschen, die aus Hunger und Not ihre in Teilen denkbar einfachen Unterkünfte dennoch verlassen haben, drohte Präsident Duterte in einer Rede damit, von der Polizei „totgeschossen“ zu werden. Solche Drohungen sind ihm erlaubt, denn seit Ende März verfügt er per Gesetz über „Notstandsbefugnisse“. Er darf nun nahezu alles: Menschen bestrafen, die gegen die Regeln verstoßen oder falsche Informationen verbreiten, er darf das Militär bemühen, seine Absichten durchzusetzen. Er hat die Pressefreiheit Ende März eingeschränkt. Es dürfen mit Fortbestand der Quarantäne nur noch Regierungsmedien zu den Pressekonferenzen im Präsidentenpalast. Anfragen werden so gut wie gar nicht mehr beantwortet.

Krankenhäuser sind ungleich verteilt.

Wie auf der Seite des Gesundheitsministeriums zu lesen ist, wurden bis 21. April 6.599 Fälle bestätigt. 437 Personen sind bislang verstorben. 654 haben sich von einer Covid-19-Infektion erholen können. Das Land zählt 110 Millionen Einwohner, Tendenz stark steigend. Gemessen daran und gemessen an Entwicklungen in vielen europäischen Ländern scheinen die Philippinen also gar nicht so schlecht dazustehen. Warum also ein solch massives Durchgreifen?

Der Anteil der Ausgaben für Gesundheit gemessen am Bruttoinlandsprodukt lag dem Philippines Health Systems Review zufolge 2014 bei 4,7 Prozent. Damit befinden sich die Philippinen verglichen mit anderen asiatischen Ländern noch immer eher im Mittelfeld. Auch die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind auf den Philippinen mit rund 330 US-Dollar im Jahr recht gering. Das Philippine Institute für Development Studies schreibt in einem jüngst veröffentlichen Papier, dass die derzeitigen strikten Maßnahmen unumgänglich sind, um das philippinische Gesundheitssystem nicht zum Einsturz zu bringen.

Kliniken auf den Philippinen stehen schon ohne eine drastische Zunahme von Covid-19-Patienten vor Herausforderungen.

Die Krankenhäuser sind auf dem Archipel sehr ungleich verteilt. Von den insgesamt 1.224 Kliniken zählen nur rund zehn Prozent zu den Level-3-Häusern mit besserer Ausstattung. 64 Prozent sind Level-1-Häuser mit weniger als 50 Betten, die nur die Grundausstattung und keine Spezialabteilungen vorhalten. Während die Bettendichte in und um Manila herum mit 23 Betten für 10.000 Einwohner vertretbar ist, sinkt die Bettendichte im Rest Luzons und in den Regionen Visayas und Mindanao auf unter zehn pro 10.000.
 
Gleichzeitig sind viele der Stufe 1- und 2-Krankenhäuser unzureichend ausgestattet. Die Masse der Häuser könnte Covid-19-Patienten also nicht intensivmedizinisch behandeln. In den ersten Wochen der Zunahme von Covid-19-Fällen zeigte sich, dass die wenigen guten Kliniken, meist private in und um Manila, schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stießen, berichtet Professor Dr. Marife Yap, langjährige Gesundheitsexpertin und Mitbegründerin der Ateneo School of Medicine, Manila. Gepaart mit dem Mangel an Ausstattung – seien es Test-Labore innerhalb der Kliniken, Beatmungsgeräte oder ausreichende Schutzkleidung einschließlich Masken – stehen die Krankenhäuser schon ohne eine drastische Zunahme von Covid-19-Patienten vor Herausforderungen, unterstreicht die leitende Politikberaterin innerhalb des Philippinen-Büros des von der Gates Stiftung geförderten Think Tanks „Think Well“.

Mit der Geduld am Ende.

Die fehlenden Testkapazitäten lassen zudem Zweifel an den Infektionszahlen aufkommen. Bis Ende März gab es nur ein einziges Labor innerhalb des Research Institutes of Tropical Medicine, das auf Covid-19 testen konnte. Inzwischen arbeiten immerhin fünf Testlabore über das Land verteilt. Die Kapazitäten in diesen kleineren, neuen Laboren liegen allerdings nur bei 120 Tests pro Tag. Landesweit können derzeit 2.000 bis 2.500 Menschen getestet werden. Wünschenswert, sagt die Regierung, seien 10.000 Tests pro Tag.

Auch der Mangel an Fachpersonal kann den Philippinen zu schaffen machen. Ähnlich wie bei der Betten- und Krankenhausdichte verhält es sich grundsätzlich auch mit dem Fachpersonal: Während es in Manila recht gut aussieht, fehlen in vielen lokalen Gesundheitseinrichtungen und kleineren Praxen Ärzte.

Unabhängig von den schlechten Ausgangsbedingungen im Gesundheitssektor, die das drastische Vorgehen der Regierung erklären, leiden viele Menschen auf den Philippinen unter der fehlenden Transparenz. Tägliche Updates der Ministerien: Fehlanzeige. Pressekonferenzen? Nur für einige wenige. Gespräche mit Gesundheitsexperten? Schwierig, an diese heranzukommen. Viele von ihnen dürfen zudem nicht reden.
 
Die Geduld der Filipinos und ihr sonst unerschütterlicher Humor gehen nach vielen Wochen in engen Räumen, mit vielen Kindern in katastrophalen Behausungen, langsam verloren. Denn anders als in Deutschland und in vielen anderen Ländern der Welt, erleben sie einen Lockdown ohne Ausnahmen.

Martina Merten ist Global-Health-Spezialistin und publiziert regelmäßig über Themen globaler Gesundheit. Die Autorin lebte beruflich bedingt von Anfang Januar bis Ende März 2020 auf den Philippinen.
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