Porträt
Kommentar

Aus Fehlern lernen

Die Politik muss aus der zweiten Coronawelle Konsequenzen für die Zukunft ziehen, fordert Rainer Woratschka. Eine Verdrängung wie nach der ersten Phase dürfe es nicht geben.

Bloß kein Zurücklehnen,

wenn die zweite Coronawelle überstanden ist: Das muss, über alle Impf-Geschäftigkeit hinaus, die große Lehre für die Zukunft sein. Denn dass das Virus in der trügerischen Ruhe des Sommers nur auftanken und dann nochmal mit weit größerer Wucht zuschlagen würde, hätte jeder wissen können. Und entsprechende Vorbereitungen treffen.

Tatsächlich haben bei den Verantwortlichen nach dem Frühjahr vor allem die Verdrängungsmechanismen funktioniert. Weshalb etwa wurden die besonders Gefährdeten nicht über die Arztpraxen systematisch mit Atemschutz ausgestattet, der auch vor Ansteckung schützt? Wieso wurde dieser, als noch Zeit war, nicht wenigstens flächendeckend an alle Pflegeheime verteilt? Die nötigen FFP2-Masken waren vorhanden, eine Viertelmilliarde wurde allein ins Ausland verschenkt.

Kliniken müssen Kursänderung hinbekommen.

Oder die Schulen. Warum gab es keinen Kraftakt zur Umstellung auf Digitalunterricht? Weshalb schickte man diesbezüglich unbedarfte Lehrer in die Ferien statt in entsprechende Crash-Kurse? Wieso wurden rückständige Gesundheitsämter nicht mit IT-Experten geflutet, um für die zweite Runde besser gerüstet zu sein?  

Zum Jahresbeginn holperte es bei den Impfungen, die Aufregung war groß. Doch Anlaufschwierigkeiten waren erwartbar, sie sind nicht das Problem. Es geht um längerfristige Weichenstellungen: effektivere Strukturen durch Digitalisierung und Vernetzung, verlässlicheres Zusammenspiel zwischen ambulant und stationär, mehr Arznei- und Impfsicherheit durch zurückverlagerte Produktion. Lieferengpässe in diesem sensiblen Sektor können und dürfen wir uns nicht leisten. Der öffentliche Gesundheitsdienst muss zügig aufgerüstet werden. Und die Kliniken haben sich nicht nur stärker zu spezialisieren. Sie müssen eine Kursänderung hinbekommen, die politisch zu begleiten, notfalls zu erzwingen ist: von der bisherigen Fixierung auf Personaleinsparung und kurzfristige Gewinne zu einer wirklich patientenorientierten Versorgung.

Die kaputtgesparte Pflege, die es nun mühsam wieder aufzupäppeln gilt, zeigt exemplarisch, wie die Akteure in die falsche Richtung gelaufen sind. Und wie im Gesundheitssystem eins ins andere greift. Jens Spahn hat recht: Nach der Pandemie werden wir einander viel zu verzeihen haben. Vor allem aber wird es um eines gehen: aus den Fehlern und Versäumnissen nachhaltige Konsequenzen zu ziehen.

Rainer Woratschka ist gesundheitspolitischer Redakteur beim Berliner Tagesspiegel.
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