Einwurf

HIV-Pandemie im Blick behalten

Weltweit leben 38 Millionen Menschen mit einer HIV-Infektion. Doch die Corona-Pandemie erschwert Präventions- und Behandlungsprogramme. Dr. Kristel Degener sieht bei der Bekämpfung des Virus die reichen Länder in der Verantwortung.

Porträt von Dr. Kristel Degener, Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Deutschen AIDS-Stiftung

Jedes Jahr sterben

weltweit 700.000 Menschen mit einer HIV-Infektion. Und es könnten wieder mehr statt weniger werden. Nicht nur Fachleute von UNAIDS, Weltgesundheitsorganisation und dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria warnen vor den Folgen von Covid-19 für die Bekämpfung der Krankheit. Auch Nichtregierungsorganisationen wie die Deutsche AIDS-Stiftung sehen schon jetzt die negativen Auswirkungen und wissen von enormen Anstrengungen in Programmen und Projekten, die sich um HIV-positive Menschen und gefährdete Gruppen kümmern.

Einem Bericht des Globalen Fonds zufolge ist die Zahl der Menschen, die mit Aids-Präventionsprogrammen 2020 erreicht wurden, im Vergleich zu 2019 um elf Prozent zurückgegangen, die Zahl der HIV-Tests um 22 Prozent. Doch mehr als sieben Millionen Menschen wissen gar nicht, dass sie erkrankt sind. Das könnte gravierende Folgen haben. Nach wie vor bleibt für den Verlauf der Krankheit entscheidend, ob sie frühzeitig erkannt wird. Das bestimmt letztlich die Chance, mit HIV zu überleben. Medikamente können nur dann erfolgreich wirken, wenn sie zu einem frühen Zeitpunkt gegeben und danach regelmäßig eingenommen werden.

Aus unseren Partnerprojekten in Mosambik und Südafrika wissen wir, wie herausfordernd es ist, Menschen zum Test zu motivieren, sie über HIV, Aids und die Therapie aufzuklären und sie bei der Einnahme der Medikamente zu unterstützen. Covid-19 und die damit einhergehenden Beschränkungen haben dies noch schwieriger gemacht. Ausgangssperren, Versammlungsverbote, Jobverlust: Wer zum Test, zur Medikamentenvergabe, zu Gesprächen wollte, stand auch in Südafrika und Mosambik vor Hürden. In der Folge könnte es deutlich mehr Aids-Todesfälle geben, wenn HIV-Patienten ihre Therapie unterbrechen und sich Menschen insgesamt weniger testen lassen.

Fortschritte dürfen nicht als letztes in den Armutsländern ankommen.

Weiterhin gilt: Ohne Behandlung ist Aids fast immer tödlich. Zuallererst bleibt es deshalb wichtig, HIV- und Aids-Programme sowie Projekte vor Ort weiter zu sichern. Projektmitarbeiter kennen sich am besten mit praktischen und kulturellen Barrieren für Aufklärung und medizinische Unterstützung aus und wissen durch ihren direkten Kontakt, wie sie gefährdete Gruppen erreichen können. Die Deutsche AIDS-Stiftung beispielsweise trägt mit ihrer Förderung zur Basisversorgung in Projekten bei. Noch mehr in der Pflicht sind, neben den engagierten Nichtregierungsorganisationen, vor allem die Regierungen der reichen Länder. Ihre soziale Verantwortung ist jetzt gefragt. Corona hat die großen Unterschiede zwischen reichen und armen Ländern deutlich gemacht. Auch Aids gilt als eine Krankheit der Armen. Geringe Einkommen, prekäre Beschäftigung und Hunger sind eine große Herausforderung in Ländern, die eine hohe HIV-Infektionsrate haben.

Länder mit einem insgesamt fragilen Gesundheitssystem und unzureichender medizinischer Grundversorgung geraten schon bei der Bekämpfung von HIV und Aids an ihre Grenzen. Es gibt Prognosen, dass durch eine HIV-Therapieunterbrechung von drei Monaten gerade in armen Ländern die Zahl der HIV-assoziierten Tode viel höher ausfallen könnte als die durch Covid-19 verursachten. Das gilt es zu verhindern. Wenn die Ressourcen für beide Epidemien nicht ausreichen, sollten die reichen Länder Unterstützung leisten.

Eine besondere Verantwortung haben sie bei der Forschung und Medizin. Fortschritte dürfen nicht als letztes in den Armutsländern ankommen. Ein Beispiel sind lang wirkende Medikamente, die derzeit entwickelt werden und die Therapie vereinfachen. In den Ländern, die besonders stark von HIV betroffen sind, sollten diese Medikamente rasch zur Verfügung stehen. Seit Jahrzehnten hofft die Welt auf einen HIV-Impfstoff, um die Pandemie zu beenden. Ende 2019 bekamen 12,6 Millionen Menschen mit HIV keine Medikamente. Auch deshalb gehört es zur sozialen Verantwortung, die Suche nach einem Impfstoff zu beschleunigen.

Weitere Informationen über die Deutsche AIDS-Stiftung

Kristel Degener ist Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Deutschen AIDS-Stiftung.
Bildnachweis: Barbara Frommann