Debatte: Corona trifft Arbeitslose doppelt
Die Pandemie reduziert die Chancen am Arbeitsmarkt und belastet die Gesundheit von Arbeitslosen, sagt Prof. Dr. Alfons Hollederer. Der Versorgungsforscher empfiehlt vergleichende Analysen auf Basis von Kassendaten, um Präventionsstrategien für diese Zielgruppe abzuleiten.
Die Corona-Pandemie hat massive Auswirkungen
auf die Gesundheit der Bevölkerung und das Versorgungssystem. Die Übersterblichkeit manifestiert sich bereits statistisch in stagnierender Lebenserwartung. Die Gesundheitskrise führt darüber hinaus zu Verwerfungen in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt. Sie trifft aber nicht alle gleichermaßen: Arbeitslose sind doppelt betroffen. Sie weisen zum einen höhere Krankheitsrisiken auf. Zum anderen reduzieren sich ihre Wiedereingliederungschancen am Arbeitsmarkt, wenn die Corona-Pandemie nicht unter Kontrolle gebracht wird. Über die Zeit drohen berufliche Qualifikationen und Berufserfahrungen zu verfallen. Unter den Lockdown-Bedingungen wurden außerdem wichtige Arbeitsförderungsmaßnahmen ausgesetzt und Vermittlungs- und Beratungsleistungen nur digital angeboten.
Der Arbeitsmarkt hat sich in Deutschland zwischen den Corona-Wellen etwas erholt. Aber insgesamt hat die Pandemie zu einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit geführt. Im Vergleich zum Vor-Corona-Zeitraum stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen stark an. Im Dezember 2021 war fast eine Million Menschen mit einer Arbeitslosigkeitsdauer von mindestens zwölf Monaten gemeldet. Die Lage am Ausbildungsmarkt ist ebenfalls problematisch. Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen und die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber sind gesunken.
Kritische Lebensphase wirkt sich negativ auf die Psyche aus.
Die Gesundheit von Arbeitslosen wird durch die kritische Lebensphase belastet. In der Corona-Pandemie spitzt sich die Situation zu. Die Studienlage zeigt, dass Einsamkeit und Isolation von Arbeitslosen zunehmen. Arbeitslosigkeit ist verbunden mit Zukunftsängsten, Erlebnissen des Scheiterns am Arbeitsmarkt, Stress, Stigmatisierungen, Identitätsproblemen und Ausgrenzung. Sie kann sich daher vor allem auf die psychische Gesundheit negativ auswirken.
Ein niedriger sozio-ökonomischer Status erhöht das Risiko einer Corona-Infektion.
Darüber hinaus ist Arbeitslosigkeit ein Hauptrisikofaktor für Armutsgefährdung. Rund 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren sind auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen haben schlechtere Chancen, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.
Internationale Studien belegen außerdem, dass Menschen mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status ein höheres Risiko haben, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Darüber hinaus sind die Krankheitsverläufe im Durchschnitt schwerwiegender. Eine Studie von Wahrendorf et al. zeigt anhand von Daten der AOK Rheinland/Hamburg aus der ersten Jahreshälfte 2020, dass Langzeitarbeitslose im Vergleich zu Beschäftigten ein rund doppelt so hohes Risiko tragen, wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden zu müssen.
Routinedaten der Kassen auswerten.
Zur Gesundheit von Arbeitslosen besteht ein Informationsdefizit in Deutschland. Einen Beitrag zur Minimierung dieses Defizits können auch regelmäßige Auswertungen von Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) leisten. Für die Gesundheitsberichterstattung bei Arbeitslosen hat der Gesundheitsreport 2021 des BKK-Dachverbandes methodisch Vorbildcharakter. Er analysiert umfassend Indikatoren zur Gesundheit von Arbeitslosen im Vergleich zu den gesetzlich versicherten Beschäftigten anhand des Arbeitsunfähigkeitsgeschehens, der ambulanten ärztlichen Versorgung, der Krankenhausbehandlungen und der Arzneimittelverordnungen nach sozio-demografischen Merkmalen. Über vergleichende Analysen können Bedarfslagen ermittelt und Präventionsstrategien für arbeitslose Menschen abgeleitet werden.
Alfons Hollederer (Hrsg.): Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen, FHV, Ffm 2021.
Mit dem Präventionsgesetz 2015 wurden wichtige Grundlagen zum Strukturaufbau und zur Ausweitung der Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen geschaffen. Demnach sollen die Leistungen der Krankenkassen zur Prävention und Gesundheitsförderung nicht nur zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen beitragen, sondern auch die Bundesagentur für Arbeit, die Jobcenter und die GKV intensiver im Interesse der Arbeitslosen zusammenarbeiten. Unter der Federführung des GKV-Spitzenverbandes wurde eine Reihe von Kooperationsprojekten zur Verzahnung von Gesundheits- und Arbeitsförderung initiiert. Das Engagement ist aber regional unterschiedlich groß, und die Angebotsstrukturen für Arbeitslose in der Gesundheitsförderung sind nicht flächendeckend aufgebaut. Arbeitslosigkeit und Gesundheit(sförderung) ist weiterhin eine wichtige gesamtgesellschaftliche Zukunftsaufgabe – auch in der Corona-Pandemie.