Upgrade der Gesundheitsämter
Unterbesetzt und finanziell vernachlässigt: Viele Jahre war der Öffentliche Gesundheitsdienst ein Stiefkind der Politik. Das rächte sich in der Corona-Pandemie. Doch inzwischen ist ein Förderprogramm angelaufen. Was davon bereits in der Praxis angekommen ist, hat sich Thomas Rottschäfer in den Gesundheitsämtern des Landkreises Oldenburg und des Kreises Soest angeschaut.
Die zwei größten Putenschlachthöfe Europas stehen im Landkreis Oldenburg. 55.000 Tiere werden pro Tag „verarbeitet“. Am 25. Juni 2020 ist für einen von ihnen vorerst Schluss. Der damalige Landrat Carsten Harings schließt ihn nach 46 Covid-19-Fällen für vier Wochen. „Zum Schutz der Gesundheit der Menschen in der Region“ schickt er rund 1.100 Beschäftigte für zwei Wochen in Quarantäne. Der Betrieb der PHW-Unternehmensgruppe (Wiesenhof) wird verpflichtet, Luftfilter einzubauen, Desinfektionsmaßnahmen zu verbessern, Abstände einzuhalten und die Unterbringung der zahlreichen Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa zu verbessern. Der harten Entscheidung der Kreisverwaltung mit Sitz in Wildeshausen sind zahlreiche Kontrollen des Gesundheitsamtes vorangegangen.
Krisenstab eingerichtet.
Für den Ärztlichen Leiter Dr. Leonhard Hamschmidt und sein Team ist das eine weitere „Großbaustelle“ im anstrengenden ersten Jahr der Pandemie. Ende Februar schwappt die Pandemie nach Niedersachsen. Auch der Landkreis Oldenburg richtet früh einen Krisenstab ein. Es geht zunächst darum, Pflegeheime und Krankenhäuser mit Schutzausrüstung zu versorgen, Beatmungsgeräte zu beschaffen und sich gemeinsam mit den Krankenhäusern auf eine steigende Zahl von Corona-Patienten vorzubereiten. „Am 15. März fand im Kreis die erste Abstrich-Aktion bei einer Reisebusbelegschaft aus Südtirol statt“, erinnert sich Hamschmidt. Am 27. März folgte der erste Corona-Ausbruch in einem Pflegeheim. Der Landkreis ordnete die bundesweit erste Evakuierung einer Pflegeeinrichtung an. „In der Bevölkerung gab es große Angst. Das Gesundheitsamt wurde regelrecht überrannt mit Anfragen. Wir haben sehr schnell ein Bürgertelefon eingerichtet“, blickt Amtsleiterin Petra Debbeler zurück.
Kommunikationsplattform fehlte.
Wie in den anderen 377 Gesundheitsämtern zwischen Flensburg und Garmisch trifft Covid-19 auch in Wildeshausen mit voller Wucht auf eine durch jahrzehntelange Sparpolitik personell und technisch geschwächte Infrastruktur. Zwar funktioniert fast überall schon die elektronische Übermittlung meldepflichtiger Infektionsdaten an die zuständigen Landesstellen und an das Robert-Koch-Institut (RKI). Doch es gibt weder eine direkte digitale Verbindung zwischen den Gesundheitsämtern untereinander noch zu Krankenhäusern, Arztpraxen oder Gemeinschaftseinrichtungen. Als Rückgrat der Krisenbewältigung erweist sich neben dem unentbehrlichen Telefon allerorten das gute alte Faxgerät.
Das Fehlen einer eigenen Kommunikationsplattform für die Gesundheitsämter erschwert im Krisensommer 2020 auch die Arbeit der Leitenden Ärztin des Kreisgesundheitsamtes Soest, Dr. Andrea Gernun. Im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück wird noch einige Tage vor dem Wiesenhof-Fall ein Tönnies-Großschlachthof für Schweine geschlossen. 1.400 Mitarbeiter haben sich mit Covid-19 infiziert. Zu den überlasteten Kollegen im zuständigen Kreisgesundheitsamt Gütersloh ist kaum Kontakt möglich. „Da haben sie keinen ans Telefon gekriegt, und auch E-Mails wurden sehr zögerlich bedient“, erinnert sich Gernun. Es ging darum, schnell die im Kreis Soest wohnenden Tönnies-Beschäftigten und die über die ganze Region verteilten Unterkünfte der Werkvertragsarbeiter zu ermitteln. „Wir haben uns dann entschlossen, unabhängig von Gütersloh zu ermitteln und zu handeln.“
Digitaler Austausch im Aufbau.
Um solche Situationen künftig zu vermeiden und über einzelne Länderlösungen hinaus auch einen bundesweiten Austausch zwischen den Gesundheitsämtern zu ermöglichen, baut der Bund derzeit eine neue Onlineplattform für die Zusammenarbeit aus. „Agora“ solle es den Beschäftigten ermöglichen, „sich untereinander besser auszutauschen und Wissen gemeinsam über den gesamten Öffentlichen Gesundheitsdienst hinweg aufzubereiten“, bewirbt das Bundesgesundheitsministerium das kostenlose Angebot.
Finanzmittel für die Digitalisierung.
Inzwischen piepst das Fax seltener. Der von Bund und Ländern im „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ vom 29. September 2020 beschlossene Ausbau der Digitalisierung ist ein gutes Stück vorangekommen. So hat der Landkreis Oldenburg aus der ersten Tranche des auf sechs Jahre angelegten Paktes rund 80.000 Euro für Maßnahmen zur Digitalisierung des Gesundheitsamtes erhalten. „Etwa die Hälfte haben wir für die Hardware-Ausstattung der Arbeitsplätze ausgegeben, die andere Hälfte für Softwareverbesserungen und Schulungen“, erläutert Debbeler. Wie in Wildeshausen wurde auch in Soest die Anbindung des lokalen IT-Systems an das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (Demis) eingeführt und fortlaufend verbessert.
Das Kreisgesundheitsamt nahm Mitte 2020 am Pilotprojekt zur Demis-Einführung teil. Das bundesweite System soll in der Endstufe für einen reibungslosen Informationsaustausch zwischen Laboren, Ärzten, Gesundheitsämtern, Landesbehörden, Gemeinschaftseinrichtungen und dem RKI sorgen. „Von Juli bis Herbst 2020 wurde das Programm ausgerollt. Der Anfang war holprig, aber inzwischen funktioniert Demis sehr gut“, erläutert die Leitende Ärztin. Bis zur Vernetzung aller Beteiligten ist es allerdings ein weiter Weg. Inzwischen sind alle Labore verpflichtet, Testergebnisse über Demis zu melden. Ab Januar 2023 kommen die Krankenhäuser hinzu.
Unterschiedliche Software im Einsatz.
Die Amtschefinnen Debbeler und Gernun benennen unabhängig voneinander fast wortgleich das größte IT-Problem in der Pandemie: Zentrale Software-Initiativen treffen auf eine Vielzahl individueller IT-Lösungen vor Ort. „Die EDV-Ausstattung im ÖGD ist bisher nie gesteuert worden“, sagt Debbeler. Deshalb habe sich jedes Amt „auf den Weg gemacht und eigene Lösungen entwickelt“. Bis heute nutzen nach Einschätzung Gernuns nur etwa 40 Prozent der Ämter die vom RKI zur Verfügung gestellte Software SurvNet zur Erfassung, Auswertung und Weiterleitung von meldepflichtigen Daten. „Man war sich nicht des Problems bewusst, dass in den Ämtern mit so unterschiedlicher Software gearbeitet wird, für die es Schnittstellen geben muss.“
Da ist zum Beispiel „Sormas“, eine 2014 vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung im Zusammenhang mit der Ebola-Krise entwickelte Software zum Epidemie-Management. Nach Beginn der Corona-Pandemie dockten die Entwickler ein Modul für Covid-19 an, das es den Gesundheitsämtern erleichtern sollte, Kontaktpersonen zu identifizieren und zu überwachen. Eigentlich seien Kreise und Kommunen verpflichtet, mit Sormas zu arbeiten, sagt Gernun. „Wir haben uns dagegen entschieden. Und das war auch gut so, denn die Schnittstellenprobleme sind immer noch nicht behoben.“ Inzwischen sei es still geworden um das Programm, andere Lösungen seien auf dem Weg. „Das braucht seine Zeit, aber sicher werden wir auf die nächste Krise besser vorbereitet sein“, betont die Ärztin.
„Die Stärkung ist dringend geboten“
Der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst enthält ein Förderprogramm von rund vier Milliarden Euro über sechs Jahre. Ute Teichert erläutert, was bereits umgesetzt ist und was noch ansteht. Sie ist Abteilungsleiterin im Bundesgesundheitsministerium.
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„OctoWare®TN“ heißt das Programm mit dem sie in Wildeshausen arbeiten. Über die Programmschnittstelle zu Demis fließen die täglichen Infektionszahlen über das niedersächsische Landesamt für Gesundheit in der Nacht an das RKI in Berlin. Drei Tage nach dem langen Osterwochenende meldet Chefmediziner Hamschmidt eine Sieben-Tage-Inzidenz von 1.600 an das RKI – der zweithöchste Wert bundesweit. Die Omikron-Variante sorgt nach den Feiertagen für einen Rekord im Landkreis: 840 Neuinfektionen an einem Tag. Zur Erinnerung: In der hitzigen Debatte um den von Bundeskanzlerin Angela Merkel angeregten und dann wieder zurückgenommenen „Oster-Lockdown“ im vergangenen Jahr ging es um einen Sieben-Tage-Schwellenwert von 100; im Infektionsschutzgesetz waren bis Herbst 2021 Werte von 50 oder 35 Fällen als Grenzen für Corona-Lockerungen verankert.
Aufgaben wegen Personalmangels ausgesetzt.
Neben der technischen Infrastruktur erschwert die ausgedünnte Personaldecke den Gesundheitsämtern die Bewältigung der Pandemie. Viele Aufgaben müssen über lange Strecken eingeschränkt oder ganz ausgesetzt werden, darunter auch die Schuleingangsuntersuchungen oder der sozialpsychiatrische Dienst. In Soest und Wildeshausen springen Beschäftigte anderer Dezernate und Sachgebiete ein. Das mühsame Nachverfolgen der Kontakte von Erkrankten wird durch „RKI-Scouts“ unterstützt. Bei Abstrichaktionen und später in den Impfzentren werden Hilfsorganisationen eingebunden. Im Landkreis Oldenburg koordiniert Hamschmidt zwischenzeitlich eine Mannschaft von bis zu 65 Helfern, aufgeteilt in drei Schwerpunktteams: „Pflegeheime und Krankenhäuser“, „Schule und Kindergarten“, „Schlachtbetriebe und Gemüse“. Nach dem Einsetzen der Omikron-Welle helfen in Wildeshausen auch Bundeswehrsoldaten aus.
Befristete Stellen eingerichtet.
Auch der Kreis Soest stockt im ersten Lockdown schnell personell auf. Gernun: „Nachdem klar wurde, dass wir Mann und Maus brauchen, um diese Pandemie zu bewältigen, hat unsere Landrätin Eva Irrgang 15 Mehrstellen befristet bewilligt, ohne dass vorab die Kostenfrage geklärt war.“ Gernun konnte so medizinisches Personal und Honorarkräfte aufstocken. Anekdote am Rande: Ein Orthopäde, der sich eigentlich seinen Schiffsarzt-Traum erfüllen wollte, konnte wegen der in den Häfen festsitzenden Kreuzfahrtriesen nicht in See stechen und heuerte für zwei Jahre beim Kreis an. 25 Soldaten sind in der ersten Welle mit im Team, das in der Spitze bis zu 215 Köpfe mit unterschiedlicher zeitlicher Einbindung umfasst.
Neue Teamstrukturen geschaffen.
Die in kürzester Zeit anschwellenden Belastungen durch das Nachverfolgen der Corona-Kontakte, das Anordnen und Überwachen von Quarantäne, Kontrollieren von Gesundheitseinrichtungen und Betrieben fängt auch das Kreisgesundheitsamt Soest durch eine neue Team- und Arbeitszeitstruktur auf. Die Teams werden von Koordinatoren geleitet und bearbeiten jeweils kleine, definierte Teilprozesse. „Es ging uns auch darum, Fachfremde schnell einbeziehen zu können, ohne sie mit Detailkenntnissen zu überfordern“, erklärt Gernun. „Mit dieser Struktur haben wir bis August 2020 mehr als 20.000 Datensätze bewältigt – normalerweise fallen in einem ganzen Jahr rund 2.000 meldepflichtige Erkrankungen an.“ Am 8. September 2020 stellt die Leitende Ärztin das Krisenkonzept als „Best-Practice-Beispiel“ in einer Videokonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Kanzleramtschef Helge Braun vor. Die Onlinekonferenz ist der Auftakt zum ÖGD-Pakt, den Bund und Länder wenig später unterzeichnen.
Mehr Personal in Aussicht.
Neben der Digitalisierung ist die „personelle Ertüchtigung“ der zweite Schwerpunkt des ÖGD-Paktes. Bis Ende 2021 sollten „mindestens 1.500 neue, unbefristete Vollzeitstellen für Ärztinnen und Ärzte, weiteres Fachpersonal sowie Verwaltungspersonal“ geschaffen und besetzt werden. Wenigstens weitere 3.500 Vollzeitstellen sollen bis Ende 2023 folgen. Das Etappenziel für 2021 wurde nach Angaben von Dr. Ute Teichert übertroffen. Die Ärztin war in den vergangenen zwei Jahren das „ÖGD-Gesicht“ der Corona-Krise. Als Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD) legte die Leiterin der Akademie für das öffentliche Gesundheitswesen in Düsseldorf medienwirksam den Finger in die Wunden. Anfang dieses Jahres holte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sie als Abteilungsleiterin in sein Ministerium. Dort soll sie die Neuaufstellung des ÖGD seitens des Bundes koordinieren (siehe Interview „Die Stärkung ist dringend geboten“).
Einwohnerzahl als Maßstab.
Die im Pakt verankerte Personalaufstockung erfolgt über einen Einwohnerzahlen-Schlüssel. Der Landkreis Oldenburg mit rund 131.500 Einwohnern konnte bis Ende vergangenen Jahres zwei neue dauerhafte Stellen im Gesundheitsamt einrichten, darunter eine EDV-Position speziell für das Gesundheitsamt. Bis 2023 sind 5,5 weitere neue Stellen eingeplant: Eine Teamleitung für den sozialpsychiatrischen Dienst, eine zusätzliche halbe Arztstelle, eine Sozialarbeiter- und eine Verwaltungsstelle sowie eine Medizinisch-Technische Assistentin. Bis zur Krise gab es 35 Vollzeitstellen, verteilt auf bis zu 45 Köpfe.
Um die 378 Gesundheitsämter in Deutschland für künftige Krisen besser aufzustellen, haben Bund und Länder am 29. September 2020 den „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ vereinbart. Die personelle Aufstockung, Digitalisierung und Modernisierung wird über sechs Jahre mit vier Milliarden Euro gefördert. Ein Expertenbeirat begleitet die Umsetzung.
Weitere Informationen über den „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“
Der Kreis Soest hat knapp 302.000 Einwohner und erhält 16,5 neue Stellen für die unterschiedlichen Aufgabenbereiche des Gesundheitsamtes; fünf wurden bis Ende 2021 bereits besetzt. Die Chefin ist sicher, dass sie alle Stellen schon vor Ablauf der Frist Ende 2023 besetzen kann. Dann werden es 83 volle Stellen sein. Vor der Pandemie waren es 66,5 Vollzeitstellen, umgelegt auf 91 Köpfe.
Hilfen zeitlich begrenzt.
Doch der ÖGD-Pakt ist auf sechs Jahre begrenzt. Nach der Anschubfinanzierung schlagen die Personalkosten in den Kreis- und Kommunalhaushalten zu Buche. Der Deutsche Landkreistag hat deshalb gefordert, den Pakt zu entfristen. Bisher vergeblich. Die neuen Stellen dürfen zwar befristet ausgeschrieben werden, „aber für fünf Jahre bewirbt sich niemand auf eine hochwertige Stelle“, sagt Petra Debbeler. Mediziner schon gar nicht. Der Arbeitsmarkt für Ärzte ist leergefegt. In Wildeshausen ist die Psychiaterstelle seit zehn Jahren unbesetzt. „In Niedersachsen haben höchstens 30 Prozent der Gesundheitsämter noch einen Psychiater“, erläutert Hamschmidt. Abwerbeversuche und Personalwettbewerb um Ärzte und Führungskräfte zwischen den Gesundheitsämtern seien „gang und gäbe“, sagt Debbeler. Der neue BVÖGD-Vorsitzende Johannes Nießen spricht gar von einem „Hauen und Stechen“.
Amtsärzte unterbezahlt.
Es habe sich beim Gehalt zwar „ein bisschen was getan“, sagt Debbeler. Das ÖGD-Gehaltsgefüge liege aber immer noch unter dem Ärzte-Tarifvertrag für die kommunalen Krankenhäuser. Das mache „im Vergleich zu einer Oberarztstelle im Krankenhaus zwischen drei- und viertausend Euro monatlich aus“, rechnet Hamschmidt vor. „Wir brauchen vernünftige Bezahlsysteme, sei es beamtenrechtlich oder tarifrechtlich“, so Debbeler. Im ÖGD-Pakt heißt es dazu: „Die Länder streben unter Beachtung der Tarifautonomie für das ärztliche Personal im ÖGD eine attraktive Bezahlung an – etwa im Rahmen bestehender Tarifverträge.“ Der „bestehende Tarifrahmen“ reiche aber nicht, kritisiert Hamschmidt. Der BVÖGD fordert schon lange einen eigenen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte im ÖGD. Doch bisher sträuben sich die kommunalen Arbeitgeber. Mit Blick auf eine mögliche neue große Krise sieht Amtschefin Debbeler deshalb schwarz: „Ein Gesundheitsamt ohne Ärzte funktioniert nicht. Dann können wir nur noch einen Teil unserer Aufgaben wahrnehmen. Da hilft auch keine Digitalisierung.“
Nachwuchs fehlt.
Die prekäre Personalsituation dürfte sich verschärfen. Viele leitende Amtsärzte gehen auf den Ruhestand zu. „Es kommen kaum junge Kräfte nach“, sagt Hamschmidt. Er selbst ist 59. „Ich würde mich freuen, wenn ich meinen Nachfolger ausbilden kann, aber das sehe ich nicht. Und das geht vielen so.“ Zumindest ein wichtiger Schritt in Sachen Nachwuchswerbung ist getan: Im vergangenen Herbst hat der Bundesrat eine Änderung der Approbationsordnung für Ärzte verabschiedet. Medizinstudierende können künftig Famulatur und einen Ausbildungsabschnitt des Praktischen Jahres in einer ÖGD-Einrichtung absolvieren. ÖGD-Kenntnisse und Bevölkerungsmedizin gehören zum Ausbildungsziel und sind prüfungsrelevant.
Als Arbeitgeber punkten können die Gesundheitsämter mit vergleichsweise regelmäßigen und planbaren Arbeitszeiten und mehr Möglichkeiten zu familienfreundlicher Teilzeitarbeit als in den Kliniken. Obschon die Pandemie auch in den Ämtern die Arbeitsroutinen gehörig durcheinandergewirbelt hat. Bisher nicht übliche Bereitschafts- und Wochenenddienste sind zumindest vorübergehend hinzugekommen. Hamschmidt schiebt 1.400 Überstunden vor sich her. Bei Andrea Gernun haben sich 1.800 Mehrstunden angesammelt.
Schluss mit Faxen.
Gezählt sind dagegen die Tage der Telefaxgeräte in den Gesundheitsämtern. In Soest ist schon Ende 2022 definitiv Schluss mit Faxen. „Unser Anbieter stellt die Leistung ein“, berichtet die Amtsleiterin. Im Zuge der allgemeinen Digitalisierung sind die öffentlichen Verwaltungen verpflichtet, bis Ende dieses Jahres Alternativlösungen zu entwickeln und einzurichten. Dazu gehört das De-Mail-System mit Behördenpostfächern. Für einen sicheren Datenverkehr sollen die „Netze des Bundes“ sorgen. Das Aus für das Fax hat Corona ausnahmsweise nicht zu verantworten.
Lesen Sie auch in dieser Ausgabe:
In der Pandemie mussten die Gesundheitsämter viele Aufgaben zurückfahren. Der ergänzende Beitrag „Vieles lässt sich nicht mehr aufarbeiten“ beschäftigt sich mit den Folgen.