Debatte: Spitzenfrauen für die Gesundheit
Eine Frauenquote ist Mittel zum Zweck, um das Gesundheitswesen gerechter und klüger zu gestalten, sagt Dr. Kirsten Kappert-Gonther. Die Grünen-Politikerin erläutert, warum Gendermedizin und Gleichstellung Leben retten.
Zwei Drittel der Beschäftigten
der gesetzlichen Krankenversicherung sind weiblich. In den Vorständen der Krankenkassen liegt der Frauenanteil – sofern sie überhaupt vertreten sind – nur bei maximal 21 Prozent. Das ist auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens so: Die Expertise von Frauen wird in den Entscheidungsgremien nach wie vor zu wenig gehört.
Diese und viele weitere Zahlen finden sich in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen von Anfang 2018. Die Zahlen sind erschreckend. Meine Fraktion hat deshalb einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der eine Frauenquote für die Führungspositionen in den Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens fordert. Anfang Juni hat eine Anhörung von Sachverständigen im Gesundheitsausschuss einhellig bestätigt, dass aktive Maßnahmen zur Verbesserung der Repräsentanz von Frauen ergriffen werden müssen. Viele Gremien der Selbstverwaltung haben sich inzwischen glaubhaft auf den Weg gemacht.
Eine Quote ist Mittel zum Zweck, um das Gesundheitswesen gerechter und klüger zu gestalten. Viel zu oft werden Posten nicht nach Kompetenz besetzt. Manchmal reicht es offenbar aus, ein Mann zu sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Mehrheit der Kassenärztlichen Vereinigungen bundesweit kein einziges weibliches Mitglied im Vorstand hat.
Gleichberechtigung nützt allen.
Die gläserne Decke ist im Gesundheitswesen genauso dick wie in DAX-Konzernen. Das ist nicht nur ungerecht – es ist vor allem unklug. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob Frauen mitentscheiden. Wir brauchen auch im Gesundheitswesen die Vollständigkeit der Wahrnehmung, verschiedene Blickwinkel und Kompetenzen. Eine Quote führt zu besseren Ergebnissen – nicht nur, weil gemischte Teams erfolgreicher arbeiten.
Gerade im Gesundheitswesen ist die Perspektive von Frauen entscheidend, um die Qualität der Versorgung zu verbessern. So sind Frauen von fehlerhaften Medizinprodukten und Implantaten besonders häufig betroffen. Prothesen werden überwiegend an Männern getestet. Gleiches gilt für Medikamente, obwohl Frauen Arzneimittel langsamer und langanhaltender aufnehmen. In der Forschung ist noch immer ein erwachsener männlicher Normkörper das Maß der Dinge. 90 Prozent der Lehrstühle und Klinikdirektionen sind von Männern besetzt. Herzinfarkte werden bei Frauen später erkannt, zudem haben Herzpatientinnen eine deutlich höhere Überlebenschance, wenn sie von einer Ärztin behandelt werden.
Viel zu oft werden Posten nicht nach Kompetenz besetzt.
Andersrum besteht der Effekt nicht. Bei einem Herzstillstand sterben Frauen häufiger, weil die Wiederbelebung nur an Dummys ohne Brüste geübt wird. Zudem ist es Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaft, typische Frauenberufe geringer zu bewerten und die Geburt als „Entbindung“, also als einen passiven Vorgang darzustellen. Die Bezahlung von Hebammen und die Situation in den Kreißsälen könnten besser sein, wenn Frauen mitentscheiden. Überdies sehen Medizinstudierende die Lehrinhalte zu Schwangerschaftsabbrüchen als unzureichend an. Sie wünschen sich mehr Lehrinhalte zu rechtlichen und medizinischen Aspekten. Der Zugang zu einem medizinisch sicheren Schwangerschaftsabbruch ist nicht mehr überall gewährleistet. Eine höhere Anzahl von Frauen in den Entscheidungsgremien wird dazu beitragen, diese Themen in den Fokus zu rücken. Auch Männer profitieren davon, wenn an sie keine stereotypen Erwartungshaltungen gerichtet sind. Auch sie leiden unter gesundheitlichen Folgen des Status quo. Depressionen werden bei Männern später und seltener diagnostiziert.
Verbindliche Regelungen für die Parität.
Die Diskussion um ein Parité-Gesetz für den Bundestag ist in vollem Gange. Dabei geht es darum, dass die Abgeordnetenmandate paritätisch an Frauen und Männer vergeben werden. Auch im Gesundheitswesen rumort es kräftig. Die Initiative „Spitzenfrauen Gesundheit“ schaffte es im Februar 2019 aus dem Stehgreif, eine Veranstaltung mit weit über hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf die Beine zu stellen, an der auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn teilnahm. Ebenso viele beteiligen sich an der gleichnamigen Kampagne in sozialen Netzwerken. In der begleitenden Resolution stellen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner fest, dass Jahrzehnte der Appelle und Selbstverpflichtungen nicht den gewünschten Effekt gehabt hätten. Jetzt müsse es verbindliche Regelungen für die paritätische Besetzung geben.
Bei der Festveranstaltung zum 100-jährigen Bestehen des Frauenwahlrechts sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im November 2018: „Das Ziel muss Parität sein, Parität überall – ob in der Politik, in der Wirtschaft, in der Verwaltung.“ Das gilt auch für das Gesundheitswesen.