Pflege auf Wanderschaft
Deutschlands Kliniken, Heime und Haushalte suchen händeringend nach Pflegekräften – immer öfter auch im Ausland. Martina Merten beschreibt Wege und Trends der Migration einer gefragten Berufsgruppe.
Wenn Marie-Luise Eßrich von ihrer Arbeit als Integrationsmanagerin an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin spricht, schwingt Stolz in den Worten der jungen Frau mit. Sie freut sich darüber, dass der Geschäftsbereich Pflegedirektion einen besonderen Weg gefunden hat, ausländische Pflegefachkräfte in den Arbeitsalltag und auch in den Alltag in Deutschland einzubinden. Mit Erfolg: Die meisten der aus Mexiko und Albanien stammenden Pflegefachkräfte wollen in Berlin bleiben, so Eßrich. Ab Herbst sollen sie Unterstützung von Fachkräften aus den Philippinen bekommen.
Die Integration unterstützen.
Schon lange arbeitet das größte Universitätsklinikum Deutschlands mit Pflegenden mit Migrationshintergrund zusammen. Menschen aus 61 Nationen sind an der Charité beschäftigt. Der zunehmende personelle Engpass in der Pflege, verbunden mit neuen Auflagen für die Besetzung auf verschiedenen Stationen durch neue Tarifverträge im Jahr 2016, zwang den Großversorger dazu, verstärkt Fachkräfte auch im Ausland zu rekrutieren. „Nur mit Pflegekräften vom deutschen Markt konnten wir diese neuen Auflagen nicht erfüllen“, berichtet die Integrationsmanagerin. 2017 startete die Charité ihr Konzept des Integrationsmanagements. Seitdem koordiniert Marie-Luise Eßrich gemeinsam mit einer Kollegin alle Prozesse, die den Pflegefachkräften das Eingewöhnen in Deutschland erleichtern – vom Abholen am Flughafen über Behördengänge bis hin zur Beschaffung der Erstwohnung.
- Vincent Horn, Cornelia Schweppe, Anita Böcker, Maria Bruquetas: Live-in migrant care worker arrangements in Germany and the Netherlands: motivations and justifications in family decision-making. International Journal of Ageing and Later Life 5/2019. DOI: 10.3384/ijal.1652-8670.18410
- Robert Pütz, Maria Kontos, Christa Larsen, Sigrid Rand und Minna-Kristiina Ruokonen-Engler: Betriebliche Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland. Hans-Böckler-Stiftung, Study Nr. 416, Februar 2019. Download
- Nadine-Michèle Szepan: Fahrplan für die Pflege. G+G 9/2019, Seite 36–41
- Weltgesundheitsorganisation: Women on the move. Migration, care work and health. 2017. Download
- Bundesgesundheitsministerium: Konzertierte Aktion Pflege; dort auch: Anlage 1, AG5, Faktenpapier
- AOK-Bundesverband: Echter Schub für die Pflege
Darüber hinaus bereitet das Integrationsteam die künftigen Stationen der ausländischen Pflegerinnen und Pfleger auf ihre neuen Kollegen vor. Agenturen wie DEKRA und die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) übernehmen die Vorauswahl der Pflegefachkräfte und überprüfen deren Ausbildungsgrad. Die Pflegedirektion der Charité fliegt einmal in die Herkunftsländer und wählt die finalen Kandidaten aus. Später führen diese Kandidaten Bewerbungsinterviews per Skype mit ihren künftigen, potenziellen Arbeitgebern. Wer genommen wird, bekommt nicht nur viel Hilfe bei der Integration, sondern hat auch gute Arbeitsbedingungen: 39 Stunden Woche, 30 Urlaubstage, flexible Schichten, tarifliche Entlohnung, Zuschläge für Nacht- und Spätschichten, Feiertage sowie kurzfristiges Einspringen in Notfällen.
Die Zahl offener Stellen steigt.
Personalmangel mit Hilfe ausländischer Pflegerinnen und Pfleger abzufedern, ist längst keine Seltenheit mehr in Deutschland. Kamen 2012 lediglich 1.500 Fachkräfte für Gesundheits- und Krankenpflege aus dem Ausland nach Deutschland, waren es 2017 bereits 8.800, so die Autorinnen und Autoren einer Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2019 (siehe Lese- und Webtipps). Der Anteil der Pflegefachkräfte, die ihre Ausbildung im Ausland erworben haben, lag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge 2018 bei acht Prozent – Tendenz steigend.
- Wer steht hinter Triple Win? Triple Win ist eine Kooperation der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
- Was ist das Ziel? Gut ausgebildete, internationale Pflegefachkräfte für den deutschen Markt zu gewinnen und zu vermitteln
- Aus welchen Ländern kommen die Pflegefachkräfte? Serbien, Bosnien, Herzegowina, Philippinen, Tunesien – allesamt Länder, die einen Überschuss an gut ausgebildeten Pflegefachkräften aufweisen
- Wie läuft der Prozess ab? Die Fachkräftegewinnung erfolgt in enger Abstimmung und unter Beteiligung der nationalen Arbeitsmarktservices beziehungsweise zuständigen Ministerien der Partnerländer sowie den Deutschen Botschaften im Herkunftsland. In den Herkunftsländern der Fachkräfte werden rund zwei Mal jährlich Stellenausschreibungen veröffentlicht. Die Bewerber reichen ihre Unterlagen ein. Es folgen Auswahlgespräche im jeweiligen Herkunftsland. Anschließend werden die Bewerber interessierten Arbeitgebern in Deutschland vorgeschlagen. Die Vorstellungsgespräche finden entweder per Skype oder persönlich im Land des Bewerbers statt. Der Arbeitsvertrag richtet sich nach Mindestarbeitsentgelten, die sich an den tariflichen Standards in der Pflegebranche in Deutschland orientieren. Die GIZ unterstützt die Bewerber bei der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt. Dazu zählen: Erreichen des notwendigen Sprachniveaus, viertägiger Pflegefachkurs, Unterstützung bei der Anerkennung der im Herkunftsland erworbenen fachlichen Qualifikationen, Hilfe bei Behördengängen, Vorbereitung der Belegschaft des künftigen Arbeitgebers, Integrationsworkshop, Bereitstellung einer Telefon-Hotline.
- Wie viele Pflegefachkräfte sind über Triple Win bislang nach Deutschland gekommen? Seit 2013 sind 2.130 über Triple Win vermittelte Pflegefachkräfte nach Deutschland eingereist – davon 656 aus Serbien, 526 aus Bosnien-Herzegowina, 931 von den Philippinen und 17 aus Tunesien (Stand 15. Oktober 2019).
Weitere Informationen über das Projekt Triple Win
Zusammenstellung: Martina Merten;
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
So schnell wie der Bedarf an Pflegepersonal aufgrund der demografischen Entwicklung steigt, können die Pflegemigrantinnen und -migranten aber gar nicht nach Deutschland kommen. Immer mehr Stellen bleiben offen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit kamen im Jahr 2018 auf 11.100 arbeitslose Krankenpflegefachkräfte 15.700 gemeldete Arbeitsstellen für diese Berufsgruppe. Die Zahl der in diesem Bereich gemeldeten Stellen ist seit 2014 stark gestiegen: Vor vier Jahren lag sie bei 9.800, also um fast 6.000 niedriger als 2018.
Das Image verbessern.
Um weiterhin offene Stellen in der Pflege besetzen zu können, verstärkt auch der Klinikkonzern Helios seine Anstrengungen zur Nachwuchsgewinnung. Unter dem Titel „Der wichtigste Job der Welt“ startete das Unternehmen im April 2019 eine Kampagne zur Anwerbung von Gesundheits- und Krankenpflegern, Altenpflegern und verwandten Berufsbildern wie beispielsweise Medizinischen Fachangestellten. Sie soll sich mehr an den Bedürfnissen der Pflegerinnen und Pfleger zu orientieren und das Image der Berufsgruppe aufpolieren. Bis Ende Mai verzeichnete der Klinikkonzern nach eigenen Angaben bereits rund 420 Bewerberinnen und Bewerber. Helios hat den Bewerbungsprozess umgestellt. Auf „Blitzbewerbungen“ erhalten die Bewerberinnen und Bewerber innerhalb von einer Stunde Rückmeldung. Eine eigene Agentur kümmert sich ausschließlich um die neuen Stellenanwärter. Die 86 Helios Kliniken sollen schrittweise Möglichkeit erhalten, auch an ihren jeweiligen Standorten zu rekrutieren. Langfristig will das Unternehmen nach dem Vorbild von „Triple Win“ (siehe Kasten) zudem Fachkräfte im Ausland rekrutieren.
Die Einwanderung fördern.
Abhilfe vom akuten Mangel an qualifiziertem Personal in der Pflege soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz schaffen. Damit sollen auch Fachkräfte aus Drittstaaten, also aus Staaten außerhalb der Europäischen Union wie Mexiko oder den Philippinen, verstärkt auf dem deutschen Markt tätig sein dürfen. Voraussetzung ist, dass sie über einen Arbeitsvertrag und eine anerkannte Qualifikation verfügen. Die Bundesregierung, die das Gesetz vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels vor allem in der Gesundheits- und Pflege branche, aber auch im Handwerk und in naturwissenschaftlichen Fächern auf den Weg gebracht hat, zählte im Frühjahr 2019 1,2 Millionen offene Stellen in diesen Berufen. Neu ist am Gesetz, dass die vorherige Beschränkung auf besonders vom Fachkräftemangel betroffene „Engpassberufe“ entfällt. Auch auf die Vorrangprüfung, ob für eine ausgeschriebene Stelle nicht auch Deutsche oder EU-Bürger infrage kommen, soll bei Fachkräften vorerst im Grundsatz verzichtet werden. Für Fachkräfte mit Berufsausbildung soll zudem die Möglichkeit zur befristeten Einreise zur Arbeitsplatzsuche analog zur Regelung für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung geschaffen und für fünf Jahre befristet erprobt werden.
Agenturen vermitteln Betreuungskräfte.
Für Isabell Halletz löst das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nur einen Teil der Probleme. Schließlich gebe es in dem Gesetz „keinen Passus zu Betreuungskräften in der häuslichen Betreuung“, so die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Ausländische Pflegekräfte (BAGAP). Und gerade in diesem Bereich klafften doch die größten Lücken. Während es Halletz zufolge halbwegs konkrete Zahlen zur Anzahl von sozialversicherungspflichtig angestellten ausländischen Pflegekräften in Heimen und Krankenhäusern gebe – nämlich nach der Statistik der Arbeitsagentur im Jahr 2017 rund 128.000 –, könne man im häuslichen Bereich nur schätzen. Laut eigenen Angaben der Branche ist die Rede von 300.000 bis 400.000 Menschen, die als ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten arbeiten. Die meisten von ihnen sind über Agenturen vermittelt worden. Wie viele solcher Agenturen es auf dem deutschen Markt gibt, auch darüber herrscht Ungewissheit. Gewiss ist lediglich, kritisieren Halletz und auch Friedhelm Fiedler, Vizepräsident beim Arbeitgeberverband Pflege, dass „es Schwarze Schafe unter den Agenturen gibt“.
Zum Arbeiten nach Deutschland: In der Altenpflege hat sich die Zahl der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den vergangenen vier Jahren mehr als verdoppelt. So hatten 2013 von 433.339 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 31.646 einen ausländischen Pass. Ende 2017 waren es bereits 67.961 von insgesamt 513.015. Damit stieg der Anteil von rund sieben auf rund 13 Prozent.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
Die Autoren der WHO-Studie „Women on the move: Migration, Care Work and Health“ aus dem Jahr 2017 schätzen, dass weniger als 15 Prozent der in Privathaushalten beschäftigten Kräfte aus dem Ausland regulär angestellt sind. Das bedeutet konkret: Sie haben weder Anspruch auf Sozialversicherung wie im Integrationskonzept der Charité, noch Arbeitnehmerrechte. Nicht nur das: Der Studie zufolge gibt es häufig Probleme bei der Anerkennung der Ausbildung und Zeugnisse der Pflegefachkräfte. Nicht selten gingen ausländische Fachkräfte genau deshalb einer Tätigkeit nach, die weit unter ihrer eigentlichen Qualifikation liegt, heißt es in der Studie.
Pflegearrangements bleiben Flickwerk.
Bestätigt haben sich die Angaben der WHO-Studie in einem dreijährigen Forschungsprojekt zur „Entwicklung und Bedeutung transnationaler Altenpflegearrangements“, dessen Ergebnisse dieses Jahr vorgestellt worden sind. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt der Arbeitsgruppe Sozialpädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Universität Nijmegen in den Niederlanden. Für die qualitative Studie, berichtet Studienleiterin Professorin Dr. Cornelia Schweppe von der JGU, führten die Universitäten Interviews mit Familienangehörigen über die Arten der Pflegearrangements. „Heraus kam ein Flickwerk aus Betreuungs- und Haushaltskräften in privaten deutschen Haushalten“, so Schweppe. Die Kräfte seien überwiegend informell beschäftigt. Zum Teil arbeitete eine ungelernte Kraft allein in einem Haushalt, zum Teil zwei parallel. Wiederum in anderen Haushalten wechselten sich wochenweise oder monatsweise zwei Kräfte ab. Die Familienangehörigen waren meist weiterhin involviert. Die Arbeitsbelastung war hoch, der Lohn gering. Die Pflegekräfte nicht selten überfordert mit der Art an Tätigkeiten, so das Ergebnis der Befragungen. „Das Ganze hat uns ratlos zurückgelassen“, sagt Erziehungswissenschaftlerin Schweppe. Im Grunde genommen, ergänzt sie, müsse das gesamte deutsche Pflegesystem umgestellt werden. Davon, ergänzt Friedhelm Fiedler vom Arbeitgeberverband Pflege, sei man weit entfernt.
In Haushalten ist Schwarzarbeit weit verbreitet.
Für Pflege- oder Betreuungskräfte, die aus dem Ausland in deutsche Haushalte kommen, gibt es verschiedene Varianten: Eine deutsche Agentur vermittelt einem Pflegebedürftigen eine ausländische Kraft über eine Partneragentur in dem jeweiligen Land. Die Kraft ist über eine Gruppenversicherung der vermittelnden Agentur versichert. Die private Versicherung läuft meist über mehrere Monate. Daneben gibt es auch selbstständig tätige Pflegekräfte aus dem Ausland. Theoretisch versichern sie sich selbst. Beim sogenannten Entsendemodell bleiben die entsandten Kräfte aus anderen EU-Ländern in ihren heimatlichen Sozialversicherungen bis zu zwei Jahre weiter pflichtversichert, während sie in Deutschland tätig sind. Die Versicherung wird über ein Formular nachgewiesen. Dieses Formular sollten sich der Pflegebedürftige beziehungsweise seine Angehörigen zeigen lassen. Die vierte Variante ist die der Schwarzarbeit – die am weitesten verbreitete, wie Nicole Heidt sagt.
Mit einem Ausländeranteil von etwas mehr als zehn Prozent in der häuslichen Pflege liegt Deutschland im Ländervergleich relativ weit hinten. So kommen beispielsweise in Luxemburg etwa die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der häuslichen Pflege aus einem anderen Land; in Israel sind es sogar 90 Prozent.
Quelle: Weltgesundheitsorganisation, 2015
Heidt leitet die Abteilung Marketing bei der Agentur Sofiapflege. Das Unternehmen vermittelt seit zwölf Jahren Betreuungskräfte in Privathaushalte und arbeitet dabei mit Partnern in verschiedenen osteuropäischen Ländern zusammen. Sofiapflege nutzt das Entsendemodell. Pro Jahr verzeichnet das Unternehmen rund 1.500 Wechsel der Betreuungskräfte. 600 Frauen und Männer sind derzeit im Einsatz. Während die Nachfrage nach ausländischen Betreuerinnen und Betreuern hierzulande ungebrochen ist, wird das Anwerben Heidt zufolge immer schwerer. „Andere Länder zahlen besser“, sagt sie. In Österreich zum Beispiel könnten die Kräfte mehr verdienen, weil sie dort über die Pflegeversicherung abgerechnet würden. Zudem werde Deutschland in Ostereuropa als zunehmend unsicher für Frauen wahrgenommen, so Heidt.
Manchmal fehlt es an Respekt.
Gleichzeitig fühlen sich einige Kräfte aus dem Ausland bei ihrer Tätigkeit in Deutschland nicht ausreichend wertgeschätzt. Zum Beispiel Peter, 38: Er hat in der Slowakei Sozialarbeit studiert. Der Lohn für seine Arbeit an einem slowakischen Krankenhaus entsprach 40 Prozent von dem, was er heute als Betreuungskraft in Privathaushalten in Deutschland verdient – und auch das ist nicht viel. Über eine slowakische Agentur, die Peter im Internet fand, nahm er vor fünf Jahren Kontakt zu einer deutschen Vermittlungsagentur auf. Seine Deutschkenntnisse reichten gerade so aus, um den Schritt hierhin zu wagen. Was Peter in den letzten fünf Jahren als Betreuungskraft in Deutschland erlebt hat, war phasenweise alles andere als schön. „Manchmal haben mich die alten Leute wie einen Sklaven behandelt. Sie wollten, dass ich 24 Stunden am Stück zur Verfügung stehe.“ Schließlich, unterstrichen sie immer wieder, hätten sie doch eine Betreuungskraft für 24 Stunden bestellt – also für rund um die Uhr.
Dass Peter in der Betreuung eines durch eine Demenz beeinträchtigten Mannes nach anstrengenden Tagen und Nächten mit stündlicher Unterbrechung des Schlafes auch Phasen der Ruhe brauchte, dafür habe es wenig Verständnis gegeben, berichtet Peter. Dasselbe gilt für seinen kulturellen Hintergrund: Manchmal sei er von älteren Menschen, die er betreute, gefragt worden, ob es bei ihm zu Hause in der Slowakei schon Strom gebe. „Sie glaubten, wir leben 100 Jahre zurück, nur weil wir aus Osteuropa kommen.“ Inzwischen ist Peter für die sechste Familie tätig. Er lebt im Haus eines alten Mannes, dessen Frau verstorben ist. Hier fühlt Peter sich wohl, er wird respektvoll behandelt. Die Haushalte, in denen er arbeitet, zahlen 2.000 Euro für eine Betreuungskraft. „Davon kommen etwa 55 Prozent bei mir an.“ Er sei allerdings froh, dass er über seine slowakische Agentur versichert sei, sagt Peter.
Reguläre Kosten sind für manche Familien zu hoch.
Wünschen sich Familien Arbeitserfahrung und sprachliche Qualifikation bei Betreuungskräften, müssen sie heute mehr dafür zahlen als vor einigen Jahren. Über die Agentur Sofiapflege haben Privathaushalte für die Arbeit einer Betreuungskraft, wie erwähnt, mindestens 2.000 Euro pro Monat zu zahlen. Vor wenigen Jahren waren es noch 1.500 Euro. „Der Mindestlohn, die Konkurrenz: Das alles hat die Preise in die Höhe getrieben“, sagt Nicole Heidt. Aber auch die Kosten für einen Platz in einem Pflegeheim sind mittlerweile stark angestiegen. So liegt der Eigenanteil für die pflegebedürftigen Heimbewohner inzwischen bei durchschnittlich rund 1.800 Euro im Monat. Vor diesem Hintergrund sei es nicht erstaunlich, dass sich viele Familien für die illegale Beschäftigung einer Kraft entschieden, meint die Marketingleiterin der Agentur. Sie könnten sich die Kosten der regulären Pflege schlichtweg oft nicht leisten.
So schnell wie der Bedarf steigt, können Pflege-Migranten gar nicht nach Deutschland kommen.
Die Pflegekammer Niedersachsen kritisierte die gängige Praxis in Privathaushalten und in der ambulanten Pflege grundsätzlich. Fach-, nicht Hilfskräfte müssten die ambulante Versorgung von Pflegebedürftigen gewährleisten. Die Patientensicherheit sei in Gefahr, wenn ungelernte Hilfskräfte in Niedersachsen nun auch Behandlungspflege abrechnen dürfen.
Konzertierte Aktion Pflege liefert Ideen.
Die Herausforderungen, die sich insbesondere für die Politik in der Pflege stellen, sind immens. Allein das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird nicht reichen, um den Bedarf an Pflegefachkräften in Zukunft zu decken. Deshalb hat sich die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) des Gesundheits-, Arbeits- und Familienministeriums unter anderem auch mit der Gewinnung von Pflegefachkräften aus dem Ausland beschäftigt. Im Sommer 2019 ist der Ergebnisbericht der KAP erschienen. Die Beteiligten vereinbarten, mithilfe einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit sowie Informations- und Beratungsangeboten mehr Fachkräfte aus dem Ausland für eine Tätigkeit in Deutschland zu motivieren. Bund und Länder erarbeiten Vorschläge, um die Verfahren zur Anerkennung der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsabschlüsse zu vereinheitlichen und zu beschleunigen. Der Bund strebt die Einrichtung einer zentralen Servicestelle an, um interessierte ausländische Fachkräfte vorab über die Möglichkeiten der Anerkennung zu beraten.
Die Bedingungen für eine Ausbildung in Deutschland sollen durch Öffnung der Berufsausbildungsbeihilfe für ausländische Auszubildende verbessert werden. Zudem wird durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der rechtliche Rahmen weiterentwickelt, heißt es von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Um die Qualität der Dienste privater Vermittler ausländischer Pflegefachkräfte sicherzustellen, soll ein Gütesiegel entwickelt werden. Gesundheitsminister Jens Spahn war zudem im September in Mexiko und warb dort um Pflegefachkräfte für deutsche Kliniken und Heime.
Zu den Mitgliedern der KAP-Arbeitsgruppe gehörte auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Ausländische Pflegekräfte. Nach Angaben von BAGAP-Sprecherin Isabell Halletz plant das BMG, zunächst weitere Länder zu identifizieren, aus denen Pflegefachkräfte gewonnen werden können und dürfen. Auch an einer schnelleren Visavergabe für Pflegefachkräfte will man feilen.
Die Geschäftsführerin des Zentrums für Globale Gesundheit der Technischen Universität München, Katharina Klohe, fasst die Sachlage so zusammen: „Ziel muss es langfristig sein, die Pflegekräfte aus dem informellen Sektor herauszuholen und eine Anerkennung dieses wichtigen Berufsstandes zu erreichen.“ Denn Anerkennung und Wertschätzung seien doch letztlich für das Wohlergehen von Abertausenden migrierenden Pflegekräften am wichtigsten.