Raus aus alten Denkmustern: Die Corona-Pandemie hat zu einem regen Austausch über Forschungsergebnisse zu Covid-19-Wirkstoffen geführt.
Arzneimittel

Kostentreiber Patentpräparate

Die Kosten für patentierte Medikamente sind mit 21 Milliarden Euro auf einem Höchststand. Von Wissenschaftlern gibt es Vorschläge, wie neue Arzneien bezahlbar bleiben – und kommen in der Corona-Krise zum Einsatz. Von Dr. Melanie Schröder und Jonas Lohmüller

Die Kosten der gesetzlichen

Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel schnellen weiter in die Höhe. Sie stiegen im Jahr 2019 um rund sechs Prozent auf 44 Milliarden Euro. Bei dem Kosten­anstieg spielt erneut der Patentmarkt eine gewichtige Rolle. Das belegt der aktuelle Arzneimittelbericht des Wissenschaft­lichen Instituts der AOK (WIdO). Danach erreichten die Kosten für patent­geschützte Arzneimittel 2019 mit 21 Milliarden Euro – das sind sechs Prozent mehr als 2018 – erneut einen Höchststand und machen fast die Hälfte (47,8 Prozent) der GKV-Arzneimittelkosten aus. Dabei decken sie lediglich 6,5 Prozent der Versorgung ab.

Verantwortlich für den Kostenanstieg ist – wie schon in den Vorjahren – ins­besondere der Trend zu hochpreisigen patentgeschützten Präparaten. Deren Kosten je Verordnung sind im Schnitt rund sieben Mal höher als für andere Arzneimittel. Dass die Grenzen nach oben offen zu sein scheinen, zeigt allein schon der Packungspreis von 1,95 Millionen Euro für das jüngst zugelassene Patent-Arzneimittel Zolgensma.

Medikamente müssen bezahlbar sein.

Solche Mondpreise rufen nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern Besorgnis hervor, sondern auch in den Industriestaaten. So soll das von Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides vorgestellte EU-Gesundheitsprogramm für die Jahre 2021 bis 2027 die Verfügbarkeit von bezahlbaren Medikamenten sicherstellen. Für einige Experten ist klar: Oft übersteigen die Preise nicht nur den Wert eines Arzneimittels, sondern auch die angemessene Belohnung eines Unternehmens für seine Forschungs- und Entwicklungsarbeit (Morgan et al. 2020, siehe Lese- und Webtipps).

Öffentliche Mittel für die Forschung.

Die Wissenschaft geht einen Schritt weiter und fragt, wie die Bezahlbarkeit berücksichtigt werden kann. Ein Anfang 2020 im British Medical Journal veröffentlichter Artikel (Suleman et al. 2020, siehe Lese- und Webtipps) beschreibt Ansätze für eine alternative Forschungs- und Entwicklungslandschaft für Arzneimittel: Demnach soll eine breite öffentliche Finanzierung die Forschungsaktivitäten anstoßen (Push-Mechanismus).

Grafik: Immer mehr Geld für immer weniger Verordnungen - Verordnungen in Tagesdosen und Nettokosten im Patentmarkt seit 2010

Die Kassenkosten für patentgeschützte Arzneimittel sind zwischen 2010 und 2019 von rund zwölf Milliarden Euro auf 21 Milliarden gestiegen. Gleichzeitig ging die Anzahl der Verordnungen nach Tagesdosen von rund vier Milliarden im Jahr 2010 auf rund drei Milliarden leicht zurück.

Quelle: WIdO 2020

Im Gegenzug sollen die unterstützten Unternehmen die Bezahlbarkeit der Präparate sicherstellen. Würde ein Unternehmen der Anforderung nach einem angemessenen Preis nicht nachkommen, könne ein behördlicher Eingriff in die Preis­setzung erfolgen und im Extremfall sogar die behördliche Übernahme des geistigen Eigentums – im Prinzip also eine produktspezifische Enteignung des Unternehmens. Um die Effizienz der Forschungsaktivitäten insgesamt zu steigern und somit Kosten zu reduzieren, sollten zudem Daten, Ergebnisse und Informationen der Forschungsarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg geteilt werden (Pooling-Mechanismus).

Mit Milliarden gegen Corona.

Dieser Vorschlag aus der Wissenschaft wird nun angesichts der Covid-19-Pandemie Wirklichkeit: Auf Initiative der EU-Kommission haben Regierungen, Organisationen und Privatleute mehrere Milliarden Euro für die Covid-19-Forschung gesammelt. Damit sollen allen Ländern ein Impfstoff, Medikamente und Testmaterial bereitgestellt werden. Auch die EU investiert Milliardenbeträge. Zudem gibt es intensive Kooperationen über Unternehmensgrenzen hinweg. Es werden Daten, Informationen und vorläufige Studienergebnisse öffentlich zur Verfügung gestellt, um Arzneimittel zu finden, die die Pandemie beenden könnten. Ein Gesundheitsdatenraum Europa ist Bestandteil des Programms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Der Austausch von Informationen macht Forschung effizienter und senkt Kosten.

Auch wenn die breite Finanzierung und das Teilen der Informationen die Arzneimittelentwicklung beschleunigen, ist die Frage der Bezahlbarkeit nur in Ansätzen geklärt. Die Organisation ­Ärzte ohne Grenzen fordert die Aufhebung des Patentschutzes. Dies scheint in einigen Ländern auch denkbar zu sein. In den USA etwa ist im Falle der Finanzierung durch das National Institute of Health der Eingriff in die Eigentumsrechte unter gewissen Umständen möglich. Dies allerdings wäre ein Präzedenzfall. Hier­zulande hat seit dem Frühjahr 2020 das Bundesgesundheitsministerium zusätzliche Kompetenzen und kann anordnen, dass eine patentierte Erfindung bei besonderem Interesse der Allgemeinheit ausnahmsweise benutzt werden darf. Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden muss, bleibt abzuwarten.

Hohe Gewinnmargen.

Wissenschaftler schlagen zudem Anreize für „gute“ Forschung und Entwicklung in Form von zusätzlichen Belohnungen (Pull-Mechanismen) wie Steuererleichterungen oder Geldpreise vor. Auch wenn sich dadurch starke Forschungsanreize setzen ließen, ist hier aber Vorsicht geboten, da nicht alle Anreize kompatibel mit dem Ziel der Bezahlbarkeit sind (Suleman et al. 2020). Angesichts der traumhaften EBIT-Margen der Pharmaindustrie im Jahr 2018 von durchschnittlich 21 Prozent – ein Wert, der weit über dem anderer profi­tabler Branchen wie der Telekommunikation und der Informationstechnologie mit 14 Prozent liegt – bedarf es wohl keiner zusätzlichen Anreize (Ernst & Young 2019, siehe Lese- und Webtipps).

Informationsaustausch erhöht Effizienz.

Welche Lehren können wir aus der Pandemie in Bezug auf die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln ziehen? Zunächst scheint es möglich, Effizienzsteigerungen durch das Teilen von Informationen und Forschungskooperationen über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg zu erzielen. Zudem wird die Erforschung von Impfstoffen und Medikamenten gegen Covid-19 öffentlich finanziert. Allerdings werden ohnehin schon im Schnitt rund 30 Prozent der Ausgaben für Forschung und Entwicklung durch die öffentliche Hand bezahlt (Røttingen et al. 2013, siehe Lese- und Webtipps).

Insgesamt ist durch die Corona-Krise die Bezahlbarkeit der Arzneimittel stärker in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Damit die Gesellschaft bei öffentlich finanzierter Forschung nicht doppelt zur Kasse gebeten wird, können diese An­sätze wichtige Impulse für eine Bezahlbarkeit von Arzneimitteln – nicht nur zur Bewältigung von Covid-19 – geben. Damit könnte die Pandemie mit all ihren dramatischen Auswirkungen wenigstens einen kleinen positiven Nutzen stiften.

Melanie Schröder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Arzneimittel des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Jonas Lohmüller ist ebenfalls als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Arzneimittel des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) tätig.
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