Schutz versus Teilhabe?
Pflegebedürftige Menschen vor Corona schützen und nicht vom gesellschaftlichen Leben ausschließen – wie kann das gelingen?
Dr. Manfred Stegger, Vorsitzender des BIVA-Pflegeschutzbundes e. V.:
Einseitiger Schutz vor Ansteckung durch Kontaktverbote birgt schwere psychische wie physische Gefahren. Wir erfahren immer wieder drastische Folgen sozialer Isolation – vom Verlust von Fähigkeiten bis hin zu Depressionen und Selbstmordgedanken. Die einzige Lösung liegt in einer von Menschlichkeit geprägten Abwägung zwischen Schutz und Selbstbestimmung. Voraussetzungen hierfür sind ein effizientes und praktikables Hygienekonzept, regelmäßige Testungen aller Beteiligten sowie transparente Kommunikation zwischen Personal, Bewohnern und Angehörigen. Die Einrichtungen müssen alles in ihren Kräften stehende tun, um sichere Besuche zu ermöglichen.
Nadine-Michèle Szepan, Abteilungsleiterin Pflege im AOK-Bundesverband:
In der Pandemie bezahlen Pflegebedürftige einen hohen Preis. Teilhabe am sozialen Miteinander wurde durch die drastische Reduzierung von physischen und damit auch sozialen Kontakten weitestgehend eingeschränkt. Es wurde in Kauf genommen, dass damit gegen kodifizierte Rechte wie Selbstbestimmung und Teilhabe verstoßen wurde. Der Preis dieser Sicherheit ist die Einsamkeit. Es ist nun gesamtgesellschaftlicher Einfallsreichtum gefragt, um in diesen besonderen Zeiten Zugänge zu Pflegebedürftigen zu finden. Erste Leuchttürme lassen hoffen, dass wir auf einem guten Weg sind.
Prof. Dr. Gabriele Meyer, Leiterin des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg:
Haftähnliche Bedingungen in Heimen sind unzulässig und verletzen Menschlichkeit, Rechte und Perspektive der Bewohner. Strenge Hygienemaßnahmen sind natürlich geboten und gelten vor allem für die ein- und ausgehenden Pflegenden. Flexible Lösungen müssen gelebt werden, zum Beispiel Bewohner, die temporär aus- oder umziehen oder mit Angehörigen im Heim zusammenleben. Differenzierte, bedürfnisgerechte Beherbergungsbereiche sind einzurichten. Begegnungen, auch kultureller Art, sind in distanzierter Präsenz und mittels Technik zu ermöglichen.
Thomas Meißner, AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen e. V.:
Durch die Arbeit ambulanter Pflegedienste soll Teilhabe so lange wie möglich erreicht beziehungsweise wiederhergestellt werden. Dies war vor Corona so und ist immer noch so. Der Gesundheitsschutz ist ein hohes Gut, denn ohne ihn ist Teilhabe schwierig. Die Verantwortung für ambulante Pflegedienste besteht vor allem in der Einhaltung hygienischer Regeln und Vorgaben. Dies stellt uns vor enorme Aufgaben, zumal auch oft eine Betreuung durch Angehörige und Nachbarn stattfindet, die Hygieneregeln unterschiedlich handhaben. Für uns gilt der Grundsatz: maximale Teilhabe unter maximaler Einhaltung gesundheitshygienischer Maßnahmen.