Interview

„Die Seele bleibt“

Menschen mit Demenz erreicht man am besten auf der Herzensebene, sagt Sophie Rosentreter. Für die Regisseurin, die ihre Großmutter gepflegt hat, ist beim Umgang mit demenziell Erkrankten die innere Haltung das A und O.

Frau Rosentreter, Sie engagieren sich für Menschen mit Demenz. Wie kam es dazu?

Sophie Rosentreter: Zusammen mit meiner Mutter habe ich sieben Jahre meine Großmutter gepflegt, die eine Alzheimer-Demenz hatte. Dabei sind wir sehr über unsere Grenzen gegangen. Die letzten zwei Jahre ihres Lebens hat sie im Heim verbracht. Die Wucht der Symptomatik einer Demenz im Endstadium hat mich tief erschüttert. Damals hätte ich mir gewünscht, dass mir die Pflegenden die Hand gereicht hätten. Aus Unwissenheit heraus beschweren sich Angehörige oft. Das ist für das Verhältnis aller Betroffenen hinderlich. Mir ist es deshalb ein großes Anliegen, Brücken zu bauen.

Porträt von Sophie Rosentreter, Demenz-Aktivistin und Regisseurin

Zur Person

Sophie Rosentreter ist Demenz-Aktivistin und Regisseurin. Im Jahr 2010 gründete sie die Firma „Ilses weite Welt“ und produziert seither Aufklärungsfilme für Pflegende sowie Erinnerungsfilme für Menschen mit Demenz.

 Weitere Informationen über Sophie Rosentreter

In Ihren Vorträgen klären Sie über den Umgang mit demenziell Erkrankten auf. Welche Ansätze verfolgen Sie?

Rosentreter: Wenn ich sage, wir sollten Demenz mit Leichtigkeit begegnen, meine ich die Leichtigkeit des Wissens. Sehr hilfreich ist zum Beispiel die Kommunikation nach Erich Schützendorf, die über das Gefühl und die Achtsamkeit geht. Demenziell Erkrankte sind auch gut über die Kunst erreichbar, etwa mit Hilfe von Musik oder Ergotherapie. Menschen mit fortgeschrittener Demenz können aber auch aktiv teilhaben, beispielsweise indem sie Äpfel schneiden oder Servietten zusammenlegen. Im Alltag sind Hilfsmittel wichtig, vom richtigen Besteck bis hin zum Badewanneneinstieg.

Wie können Angehörige von Demenzkranken zu einem sorgenfreieren Alltag zurückfinden?

Rosentreter: Die innere Haltung ist das A und O. Wenn ich heute ins Heim gehe, suche ich die Begegnung zu demenziell Veränderten auf Augenhöhe und Herzensebene. Ich sehe nicht mehr, dass sie vielleicht nicht richtig angezogen oder die Haare nicht schön sind. Was zählt, sind die ruhigen Momente, in denen man sich berührt und ein Lächeln entsteht. Das ist Medizin für die Seele des Erkrankten, aber auch für die eigene. Es ist zudem wichtig, regelmäßig aus dem Pflegealltag auszutreten, um Kraft zu tanken.

Was zählt, sind die ruhigen Momente, in denen man sich berührt und ein Lächeln entsteht.

Sie drehen Filme für Menschen mit Demenz. Inwiefern erleichtern bewegte Bilder das Leben mit der Krankheit?

Rosentreter: Die Filme arbeiten mit langsamen, ruhigen Bildern. Sie gehen nicht über die kognitive Ebene, sondern über das Gefühl. Die Kameraeinstellung zeigt zum Beispiel aus der Ich-Perspektive, wie ein Hund gestreichelt wird. Das gibt dem demenziell Erkrankten Zeit, sich einzufühlen, zu erinnern und ins Gespräch zu kommen. Für mich ist Demenz kein langer Abschied, sondern eine Veränderung. Wenn wir lernen mit dieser individuell mitzugehen, können wir viel über das Menschsein und Mitgefühl lernen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Umgang mit Demenz?

Rosentreter: Demenz heißt übersetzt abnehmender Geist. Ich finde, das ist eine sehr einseitige Betrachtung. Die kognitiven Fähigkeiten gehen tatsächlich zurück, aber die Seele bleibt – darüber sind die Menschen erreichbar. In unserer verkopften Welt ist es heilsam, wieder zurück zum Gefühl zu finden. Deshalb hoffe ich, dass wir als Gesellschaft an der Demenz auch ein Stück weit gesunden können und sehen, worauf es ankommt. Es ist nicht der Erfolg, der am Ende des Lebens an deiner Seite sitzt, es sind die Beziehungen, die zählen.

Stefanie Roloff führte das Interview. Sie ist freie Journalistin in Berlin.
Bildnachweis: Katrin Schöning