Wettbewerb um Sorgfaltspflichten
Die Bundesregierung will Unternehmen verpflichten, für das Einhalten von Arbeits- und Umweltschutzstandards über die gesamte Lieferkette zu sorgen. Das Europaparlament hat eigene Vorschläge für eine EU-Richtlinie auf den Weg gebracht. Von Thomas Rottschäfer
Für Bundesarbeitsminister
Hubertus Heil (SPD), Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) steht fest: „Das Lieferkettengesetz kommt noch in dieser Legislaturperiode und ist ein Durchbruch für die Stärkung der Menschenrechte.“ Das betonte das Minister-Trio nach der Zustimmung des Bundeskabinetts zum Gesetzentwurf zur Regelung „unternehmerischer Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ im März. Es soll ab dem Jahr 2023 für Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten gelten. Das sind nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums hierzulande etwa 600 Unternehmen. Ab 2024 sollen auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbezogen werden. Dann wären rund 2.900 Firmen betroffen. Sie sollen laut Gesetzentwurf ihre gesamte Produktions- und Zulieferkette im Blick haben und abgestuft für den Umgang ihrer Vertragspartner mit Menschenrechten, Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz verantwortlich sein.
Bei Verstößen drohen Strafen.
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle soll das Einhalten der Regeln kontrollieren, die Unternehmen aber zugleich bei der Umsetzung unterstützen. Bei Verstößen drohen laut Regierungsentwurf „geeignete Buß- und Zwangsgelder“, in schweren Fällen bis zu zwei Prozent des weltweiten Konzernumsatzes.
Ein Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe ist vorgesehen.
Zudem könnten nach dem Gesetzentwurf Firmen von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Das Gesetz stärke allen Unternehmen den Rücken, „die schon heute ihre Lieferketten prüfen und menschenwürdige Arbeit sicherstellen“, betonen Heil und Müller. Fairness dürfe nicht länger ein Wettbewerbsnachteil sein.
Europäische Regelung geplant.
So sieht es auch das Europaparlament. Nach der Einigung zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten im Rechtsausschuss hat das Parlament Mitte März mit großer Mehrheit eine sogenannte „legislative Entschließung“ verabschiedet. Darin fordern die Abgeordneten die EU-Kommission auf, noch vor der Sommerpause eine Richtlinie vorzulegen, durch die Unternehmen verbindlich „zur Rechenschaft gezogen und haftbar gemacht werden können, wenn sie Menschenrechte, Umweltstandards und gute Unternehmensführung verletzen oder dazu beitragen“. Gemäß den EU-Verträgen entwirft in der Regel die Europäische Kommission Richtlinientexte, das Parlament und der Rat der Regierungen müssen zustimmen.
Einfuhrverbot gefordert.
Mit der umfangreichen Entschließung hat das Europäische Parlament bereits wesentliche inhaltliche Pflöcke eingeschlagen. Danach müssten alle Unternehmen, die Zugang zum EU-Binnenmarkt haben wollen, künftig nachweisen, dass sie die Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt einhalten. In der Entschließung wird zudem ein Einfuhrverbot für Produkte gefordert, „die mit schweren Menschenrechtsverletzungen wie Zwangs- oder Kinderarbeit in Verbindung stehen“.
Die AOK-Gemeinschaft erwartet durch die Lieferketten-Gesetzgebung auf nationaler und europäischer Ebene Rückenwind für eigene, neue Vergabekriterien im Bereich der Arzneimittelrabattverträge. Im Jahr 2020 hat die AOK eine Initiative für bessere Versorgungssicherheit, Arbeits- und Umweltschutzstandards im Bereich der Arzneimittelproduktion gestartet. „Somit spielt nicht nur der Preis eine Rolle“, erläutert der für die bundesweiten Generikaverträge federführende Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Johannes Bauernfeind. In das Ausschreibungsverfahren für fünf Antibiotika-Wirkstoffe wurden erstmals entsprechende Maßgaben aufgenommen. Die Pharmaindustrie zeigte sich von diesem Vorstoß nicht begeistert. Mehrere Hersteller gingen juristisch gegen die neuen Vertragskriterien vor. Der Rechtsstreit dauert noch an.
Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, ärgert sich, „dass die Pharmaunternehmen ausgerechnet im Bereich der sensiblen Antibiotika-Produktion gegen Rahmenbedingungen prozessieren, die letztlich auch der Stärkung der Versorgungssicherheit dienen“. Für die AOK seien robuste und faire Lieferketten und eine sichere Arzneimittelversorgung zwei Seiten einer Medaille. „Wir brauchen deshalb auf nationaler, aber auch auf EU-Ebene ein harmonisiertes Lieferengpass-Register als Frühwarnsystem, das auch Einblicke in Produktionsbedingungen ermöglicht“, so Litsch. „Die Hersteller müssen nicht nur offenlegen, wo sie ihre Wirkstoffe produzieren lassen, sondern sie müssen auch kontrollieren, dass in Europa etablierte Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden.“
Die deutschen EU-Parlamentarier Axel Voss (CDU) und Bernd Lange (SPD) forderten die Bundesregierung zwischenzeitlich auf, mit dem deutschen Lieferkettengesetz auf die EU-Gesetzgebung zu warten. Die Politiker fürchten, dass es mit einem deutschen Alleingang für Unternehmen im Binnenmarkt vollends unübersichtlich werden könnte. Denn Frankreich und die Niederlande haben bereits eigene Gesetze erlassen. Und neben Deutschland planen auch Österreich, Schweden, Finnland, Dänemark und Luxemburg nationale Regelungen. Doch die einzelnen Mitgliedstaaten müssten eine EU-Richtlinie später ohnehin in nationales Recht umsetzen, argumentieren Lange und Voss.
Die Minister Heil und Müller haben die Initiative des Europaparlaments „für eine ambitionierte EU-Lieferkettenregulierung“ ausdrücklich begrüßt. Der Beschluss liege ganz auf der Linie der unter der deutschen Ratspräsidentschaft erarbeiteten Beschlüsse, die alle 27 Mitgliedstaaten gebilligt hätten, sagte Heil. Es sei aber gut, „dass Deutschland inzwischen mit einer eigenen nationalen Regelung vorangeht“. „Unser Ziel ist eine einheitliche europäische Regelung. In Brüssel mahlen die Mühlen aber manchmal langsam“, betonte Müller gegenüber G+G. „Wenn wir eine europäische Regelung bekommen, brauchen wir trotzdem eine deutsche Durchführungsregelung.“ Der deutsche Vorschlag „setzt in Europa einen wichtigen Standard“ und sei ein guter Kompromiss, der „den Menschen vor Ort hilft, ohne die Unternehmen zu überfordern“, so der Entwicklungsminister.
Frankreich und die Niederlande haben bereits eigene Gesetze erlassen.
„Eine parallele Gesetzgebung wird es nicht geben“, bekräftigte eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums auf Anfrage von G+G. Im Regierungsentwurf zum Sorgfaltspflichtengesetz habe sich die Bundesregierung verpflichtet, spätestens sechs Monate nach Verabschiedung einer entsprechenden EU-Gesetzgebung einen möglichen Anpassungsbedarf der nationalen Gesetzgebung zu prüfen.
EU will auch kleine Firmen einbeziehen.
Einen solchen Anpassungsbedarf sehen Voss und Lange, aber auch EU-Justizkommissar Didier Reynders bereits jetzt. Die Entschließung des Europaparlaments enthalte beispielsweise keine Begrenzung der Sorgfaltspflichten auf große Firmen. „Ein Unternehmen kann in Europa 40 Beschäftigte haben, arbeitet aber in Afrika mit 1.000 Bauern zusammen“, so Lange. Das Parlament setze deshalb anders als die Bundesregierung auf einen „risikobasierten Ansatz“, der sich an der Branche und der geografischen Tätigkeit orientiere. Das EU-Gesetz werde zudem neben einer Haftungspflicht für Unternehmen auch Klagemöglichkeiten für Geschädigte enthalten.
- Infos und Links zur Entschließung des Europaparlamentes: Pressemitteilung vom 10.3.2021
- Infos zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Sorgfaltspflichtengesetz
„Ob die EU-Richtlinie am Ende eins zu eins den Vorstellungen des Europaparlaments entspricht, ist allerdings offen“, erläutert der Vertreter der AOK in Brüssel, Evert Jan van Lente. Das Gesetzgebungsverfahren im Dreieck von Parlament, Kommission und Rat sei kompliziert. „Es wird von vielen Lobbyinteressen beeinflusst, ist zeitlich schwer einzuschätzen und noch stärker als auf nationaler Ebene von notwendigen Kompromissen geprägt“, so der Europaexperte. Insofern könnte die Bundesregierung mit ihrem Vorangehen tatsächlich dem von Gerd Müller so formulierten Ziel dienen: „Mit dem Lieferkettengesetz können und wollen wir Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit und Ausbeutung verhindern. ‚Made in Germany‘ soll nicht nur für gute Qualität stehen, sondern auch für faire Produktion.“