Bei der psychiatrischen Behandlung sind sektorenübergreifende Lösungen gefragt.
Sektorenübergreifende Versorgung

Psychiatrie-Modell im Praxistest

Flexible Behandlungsangebote unter Einsatz multiprofessioneller Teams: Das Pfalzklinikum beschreitet neue Wege in der psychiatrischen Versorgung. Erste Analysen auf Basis von AOK-Daten zeigen, dass das Konzept funktioniert. Von Änne Töpfer

Menschlich,

multiprofessionell, maßgeschneidert: Mit diesem Slogan charakterisiert das Pfalzklinikum sein Modellvorhaben für eine sektorenübergreifende psychiatrische Versorgung. Mehr als 15.500 seelisch erkrankte Erwachsene, Kinder und Jugendliche erhalten eine Therapie neuen Zuschnitts. Wesentlicher Bestandteil des Konzepts sind multiprofessionelle Teams aus Pflegekräften, Therapeuten, Ärzten, Sozialarbeitern und weiteren Fachkräften. Sie besuchen Patientinnen und Patienten im Lebensumfeld, zum Beispiel in der eigenen Wohnung. Damit sorgt das Klinikum für fließende Übergänge zwischen stationärer, teilstationärer und ambulanter Behandlung.

Stationäre Aufenthalte verkürzt.

Das Pfalzklinikum hatte zum 1. Januar 2020 mit allen an den Pflegesatzverhandlungen beteiligten Krankenkassen einen Vertrag über ein „Regionalbudget“ geschlossen. Erste Auswertungen der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland auf Basis von Versicherten-Daten zeigen, dass sich im Modellvorhaben die Verweil­dauer bei stationären Aufenthalten verringert hat. So konnte das Pfalzklinikum am Standort Rockenhausen die Bettenzahl bereits um zehn reduzieren und das Personal in ambulanten Teams einsetzen. Das Ziel ist aber nicht, alle stationären Betten zu ersetzen, sondern ein bedarfsgerechtes Versorgungsangebot zur Verfügung zu stellen. Wie sich das auf acht Jahre an­gelegte Projekt langfristig auswirkt, soll eine Evaluation anhand von Abrechnungsdaten zeigen. Erste Zwischenergebnisse sind Mitte 2023 zu erwarten. Gleichzeitig läuft eine von der rhein­land-pfälzischen Landesregierung unterstützte Begleitstudie mit Fokus auf Angehörige und Patienten.

Das neue Konzept hat sich in der Pandemie als Vorteil erwiesen.

Die bedarfsgerechte und patientenzen­trierte Behandlung erfolgt in verschiedenen Settings. Zum Pfalzklinikum gehö­ren drei vollstationäre und acht tagesklinische Standorte sowie psychiatrische Instituts­ambulanzen und ambulante Angebote zum Beispiel in der Ergotherapie. Sie decken ein großes Versorgungsgebiet ab und gewährleisten kurze Wege für die Zuhause-Behandlung. „In dem rheinland-pfälzischen Leuchtturmmodell kann deutlich mehr auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten eingegangen werden, als dies im Regelsystem möglich ist“, erläutert Dr. Martina Niemeyer, Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland. Das ermögliche nachvollziehbar bessere Behandlungserfolge.

Im Lockdown Kontakt gehalten.

Die Corona-Pandemie hat dem neuen Modell zusätzlich Rückenwind gegeben. Nach dem Aufbau eines strengen Hygiene­kon­zepts haben die Teams die flexiblen Behandlungsformen aufrechterhalten und schneller als geplant ausgebaut. Mithilfe von Videosprechstunden und regelmäßigen Telefonaten haben die Mit­arbeitenden auch während des Lockdowns den Kontakt zu den Patienten gehalten. Das neue Konzept hat sich in der Pandemie als Vorteil erwiesen. „Ich hoffe, dass wir die Zuhause-Behandlung so weiterführen und ausbauen können, denn sie wird von den Patienten sehr gut angenommen. In meinen Augen ist sie ein sehr nützliches Werkzeug: Die Patien­ten bleiben über einen längeren Zeitraum stabil und müssen nicht mehr so häufig sta­tionär aufgenommen werden“, fasst André Ranker, Fach-Gesundheits- und Krankenpfleger in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Kaiserslautern, seine Erfahrungen zusammen.

Austausch in Fallreviews.

Für das Modellvorhaben organisiert das Pfalzklinikum die Arbeitsabläufe und den Einsatz der Beschäftigten grundlegend neu. An allen Standorten hat das Klinikum Teams für die Zuhause-Behandlung aufgebaut. Kommunikation und Vernetzung der Teams werden ständig weiterentwickelt. Insgesamt 76 Beschäftigte arbeiten ausschließlich in der Zuhause-Behandlung. Darüber hinaus ist eine Vielzahl an Fachkräften sowohl stationär oder teilstationär als auch aufsuchend tätig.

Pfalzklinikum: Modellvorhaben

„Mitarbeitende settingübergreifend einzusetzen, entspricht unserem ganzheitlichen Versorgungsanspruch. Indem wir Mitarbeitende stationär, teilstationär und ambulant aufsuchend beschäftigen sowie Mitarbeitende haben, die settingübergreifend agieren, können wir eine Behandlung flexibel und individuell gestalten“, unterstreicht René Berton, Projektleiter Modellvorhaben am Pfalzklinikum.

In Fallreviews tauschen sich Kostenträger, Pfalzklinikum und Medizinischer Dienst regelmäßig zum Stand des Projektes aus. „Dabei hat sich der Eindruck gefestigt, dass das Modell auch angesichts der Herausforderungen in der Pandemie in der Lage ist, die hochgesteckten Erwar­tungen zu erfüllen“, so AOK-Vorständin Martina Niemeyer.

Änne Töpfer ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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