Gemeinsam Essen: Das stärkt den Zusammenhalt in der Familie. Doch für solche Rituale nehmen sich Eltern und Kinder immer weniger Zeit.
Studie

Familien brauchen Unterstützung

Ob Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg oder Klimawandel: Die derzeitigen Krisen wirken sich belastend auf die Eltern- und Kindergesundheit aus. Dabei trifft es vor allem Familien, die es sowieso schon schwer haben, wie die aktuelle AOK-Familienstudie zeigt. Von Stefanie Roloff

In ihren Familienstudien

untersucht die AOK seit Jahren die Eltern- und Kindergesundheit in Deutschland. Die aktuelle AOK-Familienstudie zeigt, dass es Familien schlechter geht als in den vergangenen Jahren. So hat sich laut Selbstauskunft der befragten Eltern deren allgemeiner Gesundheitszustand verschlechtert: Während 2018 noch 76 Prozent ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut bezeichneten, sind es 2022 nur noch 64 Prozent. Auch leiden mehr Eltern an seelischen Problemen. Fühlten sich 2018 noch 70 Prozent der Eltern selten oder nie psychisch belastet, sind es im Jahr 2022 nur noch 61 Prozent.

Zunehmende Belastungen.

Neben einer Verschlechterung des physischen und seelischen Wohlbefindens konnte die Studie eine Zunahme der zeitlichen, psychischen, körperlichen und partnerschaftlichen Herausforderungen in Familien feststellen. Besonders erhöht hat sich die finanzielle Belastung. Empfanden 2018 noch 27 Prozent finanzielle Belastungen, sind es 2022 bereits 40 Prozent (siehe Grafik: „Belastung der Eltern steigt im Jahr 2022“). Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat sich verschlechtert. So gaben 43 Prozent der Eltern an, ihre Berufstätigkeit erzeuge so viele Belastungen, dass sie ihren familiären Verpflichtungen nur schwer nachkommen können – gegenüber 28 Prozent im Jahr 2018. Dabei hat der Anteil von Homeoffice und Gleitzeit in der Arbeitswelt zugenommen. Jedoch unterstützen diese Maßnahmen die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur, wenn keine Mehrarbeit geleistet wird.

Kindergesundheit beeinträchtigt.

Die schlechtere Elterngesundheit sowie die gestiegenen Belastungen der Eltern haben einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Kinder. Zwar geht es mit 55 Prozent den meisten Kindern nach Aussage der Eltern sehr gut und 39 Prozent von ihnen gut.

Grafik: Belastung der Eltern steigt mit Verlauf in X-/Y-Achse von 2010 bis 2022

Neben den psychischen und körperlichen Herausforderungen ist vor allem die finanzielle Belastung der Eltern seit 2018 deutlich gestiegen. Dies wirkt sich auf den Familienalltag sowie die Gesundheit der Eltern und Kinder aus.

Quelle: AOK-Familienstudie 2022

Jedoch haben die psychosomatischen Beschwerden in den letzten Jahren zugenommen. Knapp ein Drittel der Kinder ist in seinem seelischen Wohlbefinden eingeschränkt. Auch hinsichtlich der körperlichen Aktivität stehen die Zahlen nicht zum Besten. Der Anteil der Kinder, die täglich körperlich aktiv sind, hat sich mit 18 Prozent zwar gegenüber 2018 (zehn Prozent) leicht erhöht – dennoch erfüllt weiterhin der Großteil der Kinder nicht die Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften.

Gute Rahmenbedingungen helfen.

Entlastung bringen unterstützende Rahmenbedingungen wie eine verlässliche Kinderbetreuung. Auch den Kindern geht es besser, wenn sie Betreuungsangebote in Anspruch nehmen. So empfinden die befragten Eltern den Gesundheitszustand ihres Kindes zu 66 Prozent als sehr gut, wenn es in der Kita ganztags betreut wird. Wenn es hingegen nachmittags nach der Schule unbetreut ist, bezeichnen nur 46 Prozent den Gesundheitszustand ihres Kindes als sehr gut.

Die Belastungen können auch durch Schutzfaktoren wie vereinbarte Regeln und Rituale innerhalb der Familie aufgefangen werden. Gemeinsame Aktivitäten oder Mahlzeiten stärken den familiären Zusammenhalt. Jedoch zeigt die AOK-Familienstudie, dass diese schützenden Faktoren zurückgegangen sind, etwa die gemeinsame tägliche Zeit. Verbrachten 2018 noch 91 Prozent mindestens täglich Zeit mit ihrem Kind, bei dem es die volle Aufmerksamkeit bekam, sind es 2022 nur noch 81 Prozent. Auch bei der gemeinsamen Festlegung von Ritualen und Regeln sind Unsicherheiten zu beobachten. Hatten 2018 noch 88 Prozent der Familien tägliche Rituale, sind es 2022 nur noch 80 Prozent. Der Abwärtstrend bei den Regeln zeigt sich zum Beispiel an der abnehmenden Begrenzung von Bildschirmzeiten. Im Vergleich zu 2018 (87 Prozent) schränken nur noch 79 Prozent der Eltern die Bildschirmzeit ein. Insgesamt deuten all diese Trends darauf hin, dass die Widerstandskräfte in den Familien abnehmen.

Beeinträchtigung durch Status und Lage.

Ein niedriger sozioökonomischer Status (SES; Englisch: Socioeconomic Status) der Eltern beeinflusst den Gesundheitszustand der Kinder besonders stark. Der sozioökonomische Status ist ein Index, der auf den Angaben zu Schulbildung, beruflicher Qualifikation, beruflicher Stellung und Nettoäquivalenzeinkommen des Haushaltes beruht. 60 Prozent der Eltern mit hohem SES empfinden den Gesundheitszustand ihres Kindes als sehr gut. In Familien mit niedrigem SES sind es nur 49 Prozent.

Die AOK-Familienstudie wurde mit wissenschaftlicher Begleitung der IGES Institut GmbH durchgeführt. Im Auftrag der AOK erfolgte von August bis Oktober 2022 (mit Nacherhebungen in Bremen und im Saarland im November 2022) eine Onlinepanel-Befragung, repräsentativ nach Alter der Kinder und Bildungsabschluss der Eltern. Befragt wurden Eltern mit Kindern im Alter von vier bis 14 Jahren. Beteiligt waren nur Elternteile, die zu gleichen Teilen in der hauptsächlichen oder alleinigen Erziehungsverantwortung sind. Insgesamt wurden 8.500 Eltern befragt, repräsentativ gewichtet nach Bundesländern für die bundesweite Analyse.
 

Schon in den vergangenen Studien zeigten sich erhöhte Belastungen verstärkt in strukturschwachen Regionen. Anhand des Deprivationsindex (GISD; Englisch: „German Index of Socioeconomic Deprivation“), der die drei Dimensionen Beruf, Bildung und Einkommen auf kommunaler Ebene auswertet, lässt sich dieser Einfluss zeigen. So treiben in prekären Kommunen zum Beispiel 41 Prozent der Kinder nie oder maximal einmal pro Woche Sport wie Schwimmen oder Joggen. In Kommunen mit guten Rahmenbedingungen sind es nur 29 Prozent.

Schwerpunkt Familienernährung.

Gesunde Ernährung und gemeinsame Mahlzeiten spielen eine wichtige Rolle im Familienleben. Für Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status ist dies allerdings schwerer umsetzbar: 54 Prozent der befragten Eltern mit niedrigem SES verfügen über eine inadäquate oder problematische Ernährungskompetenz. Jedoch gibt es in allen befragten Familien besonders bei der klima- und umweltfreundlichen Ernährung – dem diesjährigen Schwerpunktthema der Familienstudie – Luft nach oben. So haben zwar die meisten Familien deren Relevanz erkannt. Oft fehlt jedoch das Wissen, was genau eine klimafreundliche Ernährung ausmacht.

Nur weniger als die Hälfte (44 Prozent) der Befragten liegt etwa mit der Vermutung richtig, dass die Produktion von Rindfleisch den klimaschädlichsten Effekt hat. Zudem machen sich viele der befragten Eltern Sorgen darüber, dass eine an die Bedürfnisse des Klimaschutzes angepasste Ernährung ungesund sei: 38 Prozent der Eltern stimmen der Aussage voll und ganz (elf Prozent) oder eher (27 Prozent) zu. Gleichzeitig sind 83 Prozent der befragten Eltern der Meinung, dass es ihnen helfen würde, wenn auf jeder Lebensmittelpackung einfach und schnell erkennbar wäre, ob ein Lebensmittel gesund ist. In diesem Zusammenhang fordert die AOK die verpflichtende Einführung des „Nutri-Scores“, auch Lebensmittelampel genannt.

Gesundheitsförderung in Familien.

Geht es um die Förderung der Familiengesundheit, sind Kommunen besonders wichtig für ein gutes Aufwachsen der Kinder – das ist eine zentrale Erkenntnis der AOK-Familienstudie. Besonderer Anstrengungen bedarf es vor allem dort, wo Familien aufgrund ihrer sozialen Lage unterstützende Angebote zur Alltagsbewältigung benötigen. Damit Eltern arbeiten können, brauchen sie eine gute, verlässliche Ganztagsbetreuung für ihre Kinder. Hierfür ist es unerlässlich, dass die zuständigen Politikbereiche vom Bund bis in die Länder und Kommunen hinein an einem Strang ziehen. Die gesetzlichen Krankenkassen sehen darüber hinaus das im Koalitionsvertrag geplante „Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit“ als Chance, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern.

Stefanie Roloff ist freie Journalistin in Berlin.
Bildnachweis: iStock.com/miniseries