Vertreiber muss Abschlag zahlen
Hat ein Pharmaunternehmen vom Zulassungsinhaber die Erlaubnis erhalten, dessen Medikament unter eigenem Namen zu verkaufen, muss es den Generikaabschlag an die Krankenkassen entrichten. Dies entschied das Bundessozialgericht und gab dem GKV-Spitzenverband Recht. Von Anja Mertens
– B 3 KR 3/21 R –
Bundessozialgericht
Im vergangenen Jahr
sind die Arzneimittelkosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um 8,8 Prozent auf rund 50,2 Milliarden Euro gestiegen. Um dem stetigen Kostenanstieg entgegenzuwirken, sind neben Arzneimittelrabattverträgen die gesetzlich vorgesehenen Abschläge von großer Bedeutung. So müssen pharmazeutische Hersteller den Krankenkassen für patentfreie, wirkstoffgleiche Medikamente einen sogenannten Generikaabschlag in Höhe von zehn Prozent des Abgabepreises ohne Mehrwertsteuer geben (Paragraf 130a Absatz 3b Sozialgesetzbuch V). Bei zulassungspflichtigen Präparaten ist das Pharmaunternehmen auch Inhaber der Zulassung (Paragraf 4 Absatz 18 des Arzneimittelgesetzes AMG). Der Zulassungsinhaber kann aber einem Dritten das Recht einräumen, das Arzneimittel unter eigenem Namen in Verkehr zu bringen. Wer aber kommt dann für den an die Kassen zu entrichtenden Abschlag auf – der Zulassungsinhaber oder der Vertreiber? Diese Frage lag dem Bundessozialgericht (BSG) zur Entscheidung vor.
Vertrieb unter eigenem Namen.
Geklagt hatte ein in Deutschland ansässiges Pharmaunternehmen gegen den GKV-Spitzenverband. Es hatte von dem niederländischen Zulassungsinhaber erlaubt bekommen, den Wirkstoff „insulin lispro“ unter dem Handelsnamen Liprolog® unter eigenem Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben, und war von der Inhaberin der zentralen europarechtlichen Gemeinschaftszulassung als örtlicher Vertreter im Sinne von Paragraf 9 Absatz 2 AMG bestellt. Daher vertrat es die Auffassung, dass es als örtlicher Vertreter nicht abschlagspflichtig sei, sondern der Zulassungsinhaber.
Wer den einheitlichen Apothekenabgabepreis vorgibt, muss auch für den Abschlag aufkommen, so die obersten Sozialrichter.
Diese Ansicht teilten weder das Sozial- noch das Landessozialgericht: Abschlagspflichtig sei, wer als pharmazeutischer Unternehmer den Apothekenabgabepreis bestimme, an den die Preisvorschriften des AMG anknüpften. Dies sei die Klägerin. Sie gebe den Abgabepreis für Liprolog® vor, bringe das Präparat unter ihrem Namen mit eigener Pharmazentralnummer in Verkehr und sei als Anbieter in der Lauer-Taxe (Listen aller Fertigarzneimittel, Medizinprodukte und apothekenüblichen Waren wie beispielsweise Hilfsmittel, die für den Handel zugelassen sind) gelistet.
Daraufhin legte das pharmazeutische Unternehmen Revision beim BSG ein, hatte aber auch dort keinen Erfolg damit. Die obersten Sozialrichter entschieden, dass derjenige, der für den einheitlichen Apothekenabgabepreis eines zulasten der GKV abgegebenen Fertigarzneimittels verantwortlich zeichnet, als pharmazeutischer Unternehmer auch dann generikaabschlagspflichtig sei, wenn er von dem Zulassungsinhaber als örtlicher Vertreter bestellt wurde. Zwar sei krankenversicherungsrechtlich durch das Arzneimittelpreisregulierungsrecht des SGB V nicht definiert, wer pharmazeutischer Unternehmer im Sinne dieser Abschlagspflicht ist. Das SGB V bediene sich jedoch durchgängig der arzneimittelrechtlichen Terminologie des AMG. Diese bezeichne bei zulassungs- oder registrierungspflichtigen Arzneimitteln zum einen den Inhaber der Zulassung oder Registrierung als pharmazeutischen Unternehmer. Zum anderen sei aber auch derjenige als pharmazeutischer Unternehmer aufgeführt, der solche Arzneimittel im Parallelvertrieb unter seinem Namen in den Verkehr bringt. Zum Inverkehrbringen gehöre das Vorrätighalten zum Verkauf oder zur sonstigen Abgabe, das Feilhalten und -bieten sowie die Abgabe an andere (Paragraf 4 Absatz 17 AMG).
Bestimmung des Preises entscheidend.
Werde also ein Arzneimittel nicht vom Zulassungsinhaber, sondern von einem Dritten, der dafür preisrechtlich verantwortlich zeichnet, zulasten der Kassen abgegeben, sei dieser der pharmazeutische Unternehmer und damit auch abschlagspflichtig. Denn das Krankenversicherungsrecht stelle darauf ab, wer den für die Abschlagshöhe maßgeblichen Abgabepreis bestimme und wem krankenversicherungsrechtlich der Erlös zustehe, auf den der Abschlag erhoben wird. Der Begriff des pharmazeutischen Unternehmers sei insoweit ausschließlich abgabebezogen zu verstehen. Auch entspreche es dem Zweck des Abschlags, ihn beim Auseinanderfallen von Zulassungsinhaber und dem das Arzneimittel zulasten der GKV unter seinem Namen verantwortlich abgebenden pharmazeutischen Unternehmer bei ihm zu erheben. Denn im Außenverhältnis zu den Krankenkassen entscheide er über den Abgabepreis, und der Erlös, auf den der Abschlag erhoben werde, stehe krankenversicherungsrechtlich nur ihm zu.
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Gleiches gelte, wenn der Unternehmer Arzneimittelrabattverträge mit den Krankenkassen abschließe und im Gegenzug Aussicht auf höhere Absatzmengen erhalten kann, wenn wegen der Vereinbarung Versicherte vorrangig auf die Inanspruchnahme des Rabattarzneimittels verwiesen sind. Somit sei die krankenversicherungsrechtliche Abschlagspflicht nicht zulassungs- sondern abgabebezogen zu verstehen. Deshalb stelle der beklagte GKV-Spitzenverband hinsichtlich der Abschlagspflicht zu Recht auf die Preis- und Produktinformationen ab, die dem Unternehmen für den einheitlichen Apothekenabgabepreis abverlangt werden (Paragraf 78 AMG).
Rabattverträge geschlossen.
Das Unternehmen habe für Liprolog® eine eigene Pharmazentralnummer beantragt und erhalten sowie den einheitlichen Apothekenabgabepreis bestimmt. Auch stehe ihm der Erlös zu. Darüber hinaus habe es mit Krankenkassen Rabattverträge für Liprolog® geschlossen. Dies wäre ohne die von ihm selbst eingenommene Stellung als pharmazeutischer Unternehmer nicht möglich gewesen (Paragraf 130a Absatz 8 SGB V).
Kommentar: Die Grundsatzentscheidung des Bundessozialgerichts ist umfassend begründet. Sie überzeugt und gewährleistet für die Zukunft die notwendige Rechtssicherheit.