Einwurf

Soziale Sicherung für die Welt

Sicherungsnetze stabilisieren die Gesellschaft sozial, politisch und wirtschaftlich, sagt Svenja Schulze. Die Bundesentwicklungsministerin sieht darin eine Chance zur Verbesserung von Teilhabe benachteiligter Menschen im Globalen Süden.

Porträt von Svenja Schulze, Bundesentwicklungsministerin

Stolz und selbstbewusst

präsentierte mir letztes Jahr eine Frau in Ägypten eine Chipkarte. „Das ist meine Karte und damit mein Geld – ich kann es nutzen“, erklärte sie mir. Dies gebe ihr Sicherheit, mache sie unabhängiger und stärke ihre Rolle in der Familie. Sie ist eine von etwa zwölf Millionen Menschen in Ägypten, die durch das Programm „Takaful and Karama“ (übersetzt „Solidarität und Würde“) mit einer Grundsicherung vor Armut geschützt wird. Das Angebot richtet sich beispielsweise an Familien, die sich ohne finanzielle Unterstützung den Schulbesuch ihrer Kinder oder ärztliche Behandlungen nicht leisten könnten, sowie an Frauen, die ohne ein eigenes Einkommen abhängig und in ihrer Teilhabe eingeschränkt wären.

Für uns in Deutschland ist eine Grundsicherung vom Staat bei Jobverlust oder Gesundheitsversorgung bei Krankheit selbstverständlich. Die Mehrheit der Menschen im Globalen Süden ist in solchen Fällen oder bei einem Arbeitsunfall, Mutterschaft und Altersarmut auf sich allein gestellt. Rund vier Milliarden Menschen – 53 Prozent der Weltbevölkerung, in Afrika sogar 80 Prozent – haben keinen Zugang zu sozialer Sicherung.

Als Entwicklungsministerin setze ich mich weltweit für den Ausbau sozialer Sicherungssysteme ein. Nicht nur, weil soziale Sicherung ein Menschenrecht ist, sondern vor allem, weil zahlreiche Studien belegen, dass leistungsfähige Sozialsysteme eines der erfolgreichsten Mittel zur Bekämpfung von Armut und Hunger sind. Für viele Menschen im Globalen Süden – ganz besonders für Frauen und Kinder – machen schon geringe, aber verlässliche Geld- oder Sachleistungen den Unterschied zwischen einem Leben in sozialer und wirtschaftlicher Ausgrenzung und einer gesicherten Existenzgrundlage. Sicherungsnetze festigen langfristig die soziale, politische und wirtschaftliche Stabilität eines Landes und machen es weniger anfällig für Krisen. In Gesellschaften mit weniger Ungleichheit haben benachteiligte Menschen einen besseren Zugang zu Bildung und Gesundheit. Sie nutzen Möglichkeiten zur politischen und wirtschaftlichen Teilhabe stärker. Das macht Volkswirtschaften erfolgreicher. Außerdem trägt soziale Sicherung dazu bei, den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft sozial gerecht zu gestalten, Gleichstellung von Frauen im Sinne einer feministischen Entwicklungspolitik voranzubringen und globale Gesundheit zu stärken.

Leistungsfähige Sozialsysteme sind eines der erfolgreichsten Mittel gegen Hunger und Armut.

Auf Initiative der Bundesregierung haben sich die G7-Partner zum Ziel gesetzt, weltweit einer Milliarde mehr Menschen den Zugang zu sozialer Sicherung zu ermöglichen. So unterstützt mein Ministerium beispielsweise seit über zehn Jahren die Regierung in Kambodscha beim Aufbau eines flächendeckenden sozialen Sicherungssystems. Kernbestandteil ist ein behördenübergreifendes Armutsregister, das den Anspruch auf alle Sozialleistungen prüft. Mittlerweile haben dort Millionen armutsgefährdete Menschen Zugang zu Grundsicherung, Gesundheits- und anderen sozialen Dienstleistungen. Sie sind somit seltener gezwungen, überteuerte Notkredite aufzunehmen oder ihre Kinder aus der Schule zu nehmen.

Ähnliches lässt sich in Ländern wie Malawi, Nepal oder Indien beobachten, in denen die soziale Sicherung aus- und aufgebaut wurde. Dabei steht nicht allein der Ausbau einzelner Instrumente wie Kranken- und Klimarisikoversicherungen oder Sozialtransfers im Vordergrund. Vielmehr geht es darum, das System als Ganzes zu stärken und institutionell im Land zu verankern, einschließlich seiner Finanzierung. Oft müssen praktische Fragen gelöst werden, beispielsweise wie Menschen ohne Bankkonto Zahlungen erhalten können. Mir ist ein erfolgreicher Aushandlungsprozess vor Ort besonders wichtig. Denn soziale Sicherung ist nicht allein ein solidarisches Instrument, um Menschen vor Armut zu schützen. Sie stärkt vielmehr Gesellschaften als Ganzes und macht sie krisenfester. Davon profitieren wir alle in unserer vernetzten Welt – arm wie reich und im Norden wie im Süden.

Svenja Schulze ist seit Dezember 2021 Bundes­ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Bildnachweis: BPA/Steffen Kugler