Gesetzgebung

Bärendienst für die Selbsthilfe

Über das Terminservice- und Versorgungsgesetz ärgern sich derzeit nicht nur Ärzte. Auch in den Reihen der Selbsthilfe und bei den sie unterstützenden ­Krankenkassen ist der Unmut groß. Grund ist eine Änderung der Förderregeln. Von Thomas Hommel

Menschen mit Rheuma tauschen sich

über ihre Beschwerden aus, an Brustkrebs er­kran­k­te Frauen sprechen über ihre Krankheit: In der Selbsthilfe helfen Betroffene Betroffenen. Das kann die Erkrankung nicht heilen. Es hilft aber, besser damit umzugehen.

Damit die Selbsthilfe diese Aufgabe neutral und unabhängig leisten kann, fördern die gesetzlichen Krankenkassen Selbsthilfegruppen und deren Kontaktstellen auf regionaler sowie auf Landes- und Bundes­ebene. Sie stellen dafür Pauschal- und Projektmittel bereit. Seit 2008 sind AOK & Co. per Gesetz zur finan­ziellen Unterstützung sogar verpflichtet.

Netzwerker vor Ort.

Die AOK habe sich schon lange vor der gesetzlichen Auflage für die Selbsthilfe engagiert, sagt Claudia Schick, Referentin für Selbsthilfeför­derung im AOK-Bundesverband. Doch vor allem in den vergangenen Jahren sei die Gesundheitskasse zu einer Art „Netzwerker in Sachen Selbsthilfe“ geworden. „Es sind viele enge Kontakte und bewährte Kooperationen entstanden.“

Da die Kassen teilweise unterschied­liche Versichertenstrukturen aufwiesen, hätten sich auch verschiedene Schwerpunkte in der Selbsthilfeförderung herauskristallisiert, so Schick. „Der oftmals sehr persönliche Kontakt zwischen den Verantwortlichen für die Förderung und den Antragstellern hat bewirkt, dass sich die Unterstützung chronisch kranker und behinderter Versicherter in das Versorgungskonzept der je­weiligen Krankenkasse immer stärker eingebettet hat.“

Individuelle Projektförderung in Gefahr.

Doch genau diese Win-Win-Situation sehen Schick und Vertreter der Selbsthilfe in Gefahr. Grund dafür ist das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das zum 11. Mai in Kraft getreten ist. Das Gesetz sieht vor, dass der Anteil der Pauschalförderung für Routineaufgaben der Selbsthilfe von 50 auf 70 Prozent erhöht wird. Über die Vergabe dieser Mittel entscheiden kassenübergreifende Gre­mien in den Ländern und auf der Bundesebene.

Gezielte individuelle ­Projektförderung wird künftig schwieriger.

Für die krankenkassenindividuelle Projektförderung verbleibt nur noch ein Anteil von 30 Prozent. Ein Änderungsantrag zum TSVG sah sogar vor, sämtliche Mittel für die Selbsthilfeförderung einheitlich und gemeinsam durch die Kassen und ihre Verbände zu verausgaben. Eine krankenkassen­individuelle Förderung wäre in diesem Fall überhaupt nicht mehr möglich ­gewesen.

„Die Neuregelung beinhaltet zwar weiter die Möglichkeit der krankenkassenindividuellen Förderung von Selbsthilfe­pro­jekten“, sagt Schick. „Dass die Projektförderung aber so stark zugunsten der Pauschalförderung heruntergefahren worden ist, sehen wir mit Sorge.“ Zudem seien Auswirkungen auf die beantragten Projekte zu befürchten. Das sei unbefriedigend, findet Schick. „Durch die mit dem Präventionsgesetz 2016 erfolgte Mittelerhöhung hatten wir gerade damit begonnen, auch verstärkt mehrjährige kos­tenintensive, aber oftmals sehr innovative Selbsthilfe-Projekte zu unter­stützen. Das wird wegen der begrenzten Mittel in Zukunft schwieriger.“

Rund 3,5 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland in etwa 100.000 gesundheits- und sozialorientierten Selbsthilfegruppen. Die AOK unterstützt die gesundheitsbezogene Selbsthilfe bereits seit knapp 30 Jahren. Mit Inkrafttreten des Präventionsgesetzes im Jahr 2016 wurden die zur Verfügung zu stellenden Fördergelder für die Selbsthilfe um 65 Prozent erhöht. Allein in diesem Jahr stellt die Gesundheitskasse rund 30 Millionen Euro und die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt 82 Millionen Euro für die Unterstützung der Selbsthilfe bereit.


 Weitere Informationen zur Selbsthilfe

Auch in den Reihen der Selbsthilfe ist der Unmut über die Neuregelung groß. „Wir haben zwar das Schlimmste verhindern können“, sagt Dr. Martin Danner, Geschäftsführer der Bundesarbeits­gemeinschaft (BAG) Selbsthilfe. Aber auch die Kompromisslösung werfe Probleme auf. „Die krankenkassenindivi­duelle Projektförderung ist Garant dafür, dass innovative Ansätze in der Selbsthilfe schnell und gezielt umgesetzt werden können. Es bestand also überhaupt kein Grund dafür, das einzudampfen“, kritisiert Danner.

Engagement bleibt bestehen.

Freilich: Für die AOK ist ein Zurückfahren ihres Engage­ments im Bereich der Selbsthilfe keine Option. „Wir sehen weiter das große Potenzial in der Arbeit der Selbsthilfe – gerade in der Versorgung chronisch kranker Menschen“, betont AOK-Expertin Schick. Gleichwohl habe der Gesetzgeber der Selbsthilfe mit der Neuregelung der Förderregeln einen Bärendienst erwiesen.

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.