Vertrauen trägt im Leid
Wie ist das mit dem Gottvertrauen, wenn es durch Leid auf die Probe gestellt wird, fragt Hans Leyendecker. Der Kirchentagspräsident weiß: Auch wenn der Glaube allein nicht heilt, kann er uns doch in Zeiten schwerer Krankheit tragen.
Es gibt niemanden,
der sagen könnte, ganz ohne körperliche oder seelische Verletzungen durchs Leben gegangen zu sein. Die erste Reaktion auf schwere Erkrankungen ist meist, alles zu tun, um sie zu bekämpfen. Doch oft erweist sich schon der Umgang mit der Diagnose als schwierig. Und was ist, wenn die Therapie keinen Erfolg hat? Der Schmerz kann sich dann in Verzweiflung wandeln. Es kann passieren, dass Menschen, gläubig oder nicht, Gott anklagen wie einst Hiob: „Warum lässt Du das zu? Warum gerade ich?“
In der Bibel steht ein verheißungsvoller Satz: „Dein Glaube hat Dir geholfen.“ Ein halbes Dutzend Mal sagt Jesus von Nazareth das und immer geht es um Heilung. Da sind die zwei Blinden von Jericho, denen die Augen geöffnet werden. Da ist der Aussätzige, da ist die blutflüssige Frau. Und in den Psalmen heißt es: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil. Vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft. Vor wem sollte mir grauen?“ Oder: „Der Herr ist nahe bei denen, die an sich selbst verzweifeln.“ In der frühen Kirche gab es einen Gebetsruf: „Steh uns bei, Christus, Du bist unser einziger Arzt!“ Christus Medicus?
Wenn man das so hört, könnte man meinen, gläubige Menschen müssten sofort und Ungläubige könnten überhaupt nicht geheilt werden. Diesen Zusammenhang kann und darf es nicht geben. „Euch geschehe nach Eurem Glauben“ meint nicht Heilung. Es gibt unterschiedliche Glaubensvorstellungen. Etwa ein Drittel der Deutschen glaubt nicht an Gottes Existenz – und mit der Kirche wollen diese Menschen erst recht nichts zu tun haben. Viele Menschen haben aber auch trotz (oder wegen) des medizinisch-technischen Fortschritts den Glauben an die Medizin, zumindest aber an ein gerechtes Gesundheitssystem verloren. Der Kostendruck ist hoch, da fehlt es manchmal den Helferinnen und Helfern an Kraft, Geduld und Zeit für die erforderliche Hinwendung. „Das Wenige, das du tun kannst, ist viel“ hat Albert Schweitzer geschrieben. Und ich glaube auch, dass das so ist. In den kleinen Gesten und Worten im Krankenhaus und in der Praxis steckt viel Kraft.
In den kleinen Gesten und Worten in Klinik und Praxis steckt viel Kraft.
Doch hilft das in der Vertrauenskrise? Kann Gottvertrauen helfen? Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider und seine Frau Anne haben darauf zeitweise unterschiedliche Antworten gefunden. Ihre Tochter Meike war an Leukämie erkrankt. Das Ehepaar Schneider hat ein Gottesbild, das davon ausgeht, dass Gott nicht der große Strippenzieher ist, aber dass er auf eine Weise, die niemand genau kennt, präsent ist. Also müsste er doch Einfluss nehmen können. Als Meike im Alter von 22 Jahren im Sterben lag, hörte Anne Schneider mit dem Beten auf. Sie nahm sich, wie sie sagt, eine „Auszeit“ von ihrer „Gottesbeziehung“ und widmete sich mit aller Kraft der Sterbebegleitung. Ihr Mann betete weiter. Er wollte, wie er in einem Interview sagte, bei Gott „hartnäckig und nervig“ sein.
Wie ist das also mit unserem Vertrauen, wenn es ernsthaft auf die Probe gestellt wird? Sollen wir Leid-Erfahrungen mit einem „Ja und Amen“ einfach zur Kenntnis nehmen? Die Freiheit des Glaubens erlaubt es, gerade auch mal nicht alles hinzunehmen, sondern Zweifel und Klagen vor Gott zu bringen. Ihn damit zu bestürmen und ihm zu trotzen. Das alles, ohne dass man ihn und sich aufgibt. Die Schriftstellerin Hilde Domin sprach von einem „sich regenerierenden Vertrauen“, von „Dennoch-Vertrauen“. Gegen allen Augenschein nicht das Herz sinken lassen. Das Wichtigste sei, so Domin, „dass wir nicht nur die Erinnerung an das Erlittene weitergeben, sondern auch die Erinnerung an die empfangene Hilfe“.
Wenn man schwer kranken Menschen begegnet, kann es passieren, dass von ihnen plötzlich Kraft und Güte ausgehen. Der Kranke beschenkt den Gesunden. Er hat durch das Leid etwas gelernt, was dem anderen verborgen geblieben ist – vielleicht hat er sein Kreuz angenommen und erfahren, dass das Kreuz ihn trägt.