Assistenz bei der Bildanalyse
In der Universitätsmedizin Essen unterstützen lernende Systeme Ärztinnen und Ärzte bei der Röntgendiagnostik – ein Beispiel für die Anwendung Künstlicher Intelligenz in der Medizin. Welche Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind, skizziert Bärbel Triller.
Handelt es sich bei der Hautveränderung um Krebs, bildet das Ovarialkarzinom Fernmetastasen aus und in welchem Umfang wird sich die Leber regenerieren? Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) wird heute versucht, Fragen wie diese in der Medizin ziemlich genau zu beantworten. Im Universitätsklinikum Essen wird KI bisher vorwiegend in der Radiologie eingesetzt. „Der Grund ist, dass die Radiologie bereits vor Jahren digitalisiert wurde und damit vor anderen Medizingebieten quasi einen Vorsprung hatte“, sagt Professor Jochen Werner, Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Essen.
Im Institut für Radiologie am Uniklinikum Essen hat ein hochspezialisiertes Team von Ärzten und Informatikern um Institutsleiter Professor Michael Forsting damit begonnen, KI in der Radiologie gezielt anzuwenden. Wird zum Beispiel bei einem Patienten erkranktes Lebergewebe entfernt, kann das KI-Verfahren genutzt werden, um Prognosen zu treffen, wann und in welchem Umfang sich die Leber voraussichtlich erneuern wird.
Teilgebiet der Informatik.
Doch was genau ist Künstliche Intelligenz? Häufig wird dieser Begriff synonym mit Robotern verwendet. Roboter sind jedoch oft nur die physische Gestalt, um die Leistung von Künstlicher Intelligenz umzusetzen. KI ist ein Teilgebiet der Informatik. Eine allgemeingültige Definition des Begriffs existiert nicht. Zu unterschiedlich sind die Anwendungsbereiche und die daraus resultierenden Anforderungen. Beispielsweise im Maschinenbau, in selbstfahrenden Autos, in Sprachassistenten, in Gestalt von Pflegerobotern oder in der medizinischen Diagnostik.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat 2017 das Informationsangebot Lernende Systeme ins Leben gerufen. Im Glossar auf der Plattform wird erläutert, dass KI „mit Hilfe von Algorithmen kognitive Fähigkeiten wie Lernen, Planen oder Problemlösen in Computersystemen zu realisieren“ versucht.
Weiter heißt es, dass KI auch für Systeme steht, „die ein Verhalten zeigen, für das gemeinhin menschliche Intelligenz vorausgesetzt wird. Ziel moderner KI-Systeme (Lernende Systeme) ist es, Maschinen, Roboter und Softwaresysteme zu befähigen, abstrakt beschriebene Aufgaben und Probleme eigenständig zu bearbeiten und zu lösen, ohne dass jeder Schritt vom Menschen programmiert wird“. Algorithmen, die der KI zugrunde liegen, werden beschrieben als eine Handlungsanweisung, um ein Problem zu lösen. In der Informatik ist der Algorithmus die Grundlage von Programmierung.
Bilddateien prüfen.
Bei Künstlicher Intelligenz, erklärt Jochen Werner, handele es sich in der Medizin zum Beispiel um eine maschinengestützte Anwendung zur Analyse von Bilddateien. Im Uniklinikum Essen programmieren Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Künstliche Intelligenz an solchen Algorithmen. In der Arbeitsgruppe arbeiten Mediziner, Mathematiker und Informatiker zusammen. „Diese interdisziplinäre Zusammensetzung ist eine Grundlage für die Entwicklung der Modelle, denn weder das medizinische noch das mathematische und informatische Wissen alleine sind ausreichend“, sagt Werner.
Ein KI-System kann eine Blutzelle sehr viel genauer betrachten als es das menschliche Auge vermag.
Ist der Algorithmus entwickelt, muss er aufwendig getestet werden, um herauszufinden, ob das erzeugte Modell genau die geforderten Daten liefern kann und ob die Fragestellungen der Anwender von der Software beantwortet werden. Die Datengrundlage stamme überwiegend aus der Universitätsmedizin Essen. Die Daten würden für diese Forschungsprojekte anonymisiert verwendet.
„Für die Entwicklung eines guten Modells sind qualitativ hochwertige Daten und eine exakte Diagnosestellung erforderlich. Zur Prognose, wann und in welchem Umfang sich eine teilentfernte Leber regenerieren wird, muss das System anhand von tausenden Bilddaten mit bekannten Leberdiagnosen angelernt und überprüft werden“, sagt Werner. So könne das Regenerationspotenzial der Leber zuverlässiger eingeschätzt werden als bisher. Davon profitiere am Ende auch der Patient. Dass das Verfahren, das in der Radiologie funktioniere, auch auf andere Bereiche übertragen werden könne, liegt aus Sicht des Essener Mediziners nahe. Voraussetzung sei, dass diese medizinischen Gebiete ausreichend digitalisiert seien.
Die Verantwortung bleibt beim Arzt.
Den Beruf des Arztes sieht Werner durch den Einsatz von KI nicht gefährdet. Denn die Technologie, so Werner, sei bei allem Fortschritt noch nicht so aussagefähig wie häufig vermutet. „Auch wenn durch weitere Studien zu erwarten ist, dass sich die Verfahren der KI und damit die Ergebnisse künftig verbessern, ist und bleibt es immer noch der Arzt, der die absolute Verantwortung für die Diagnose trägt“, betont Werner. Die Diagnose könne keinesfalls von Algorithmen übernommen werden. „Künstliche Intelligenz ist ein Verfahren, das ermüdende Vermessungen zuverlässig übernehmen kann“, sagt Werner. Davon, dass der Einsatz von KI der Medizin Chancen biete, ist Werner überzeugt. In der Labordiagnostik zeige sich, dass ein KI-System eine Blutzelle sehr viel genauer betrachten könne als es das menschliche Auge vermag.
Akzeptanz erzeugen.
Trotz aller Begeisterung für Künstliche Intelligenz – UKE-Direktor Werner warnt davor, in eine Euphorie zu verfallen und alles Medizinische nur noch mit KI machen zu wollen. KI sei eine wertvolle Zusatzinformation und entlaste die Mediziner bei Routineaufgaben. „Ärzte gewinnen mehr Zeit für ihre Patienten“, so sieht es Werner. Kritikern rät Werner, nicht gleich das ganze Verfahren in Frage zu stellen, wenn die KI zum Beispiel in der Diagnostik Fehlschlüsse ziehen würde. Es gebe genügend Beispiele dafür, dass auch Ärzten und dem medizinischem Personal Fehleinschätzungen passieren, sagt Werner. Der Ärztliche Direktor sieht es als Herausforderung, Kritiker und skeptische Mitarbeiter für die KI zu gewinnen. „Akzeptanz für Künstliche Intelligenz zu erzeugen, ist kein leichter Weg“, sagt Werner. Derzeit befinde man sich in einem „riesigen Changeprozess“.
Im Bereich der Künstlichen Intelligenz hat man in Essen noch viel vor. Am Uniklinikum Essen soll in den nächsten Monaten unter Federführung von Michael Forsting ein eigenes Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin entstehen. Damit will das Klinikum eine Vorreiterrolle bei der KI-gestützten medizinischen Versorgung in der Region übernehmen. „Die Planungen laufen auf Hochtouren, im Herbst können wir mehr sagen“, verspricht Jochen Werner.
Lesen Sie mehr zum Thema in dieser Ausgabe:
- Auf Visite mit Dr. KI: Warum Künstliche Intelligenz Ärzte unterstützen, aber nicht ersetzen kann.
- „Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen“: Christiane Woopen, die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, über Nutzen und Risiken von Künstlicher Intelligenz in der medizinischen Versorgung.