Debatte: Mehr Frauen in die Gremien
Frauen leisten einen Großteil der Arbeit in der Gesundheitsversorgung – das zeigt sich einmal mehr in der Corona-Krise. Deshalb sollten sie sich auch in den Expertengremien und in der Politik stärker beteiligen können, fordern Dr. Sabine Ludwig und Prof. Dr. Ilona Kickbusch im Namen des Netzwerks Women in Global Health – Germany.
75 Prozent der Beschäftigten
im Gesundheitswesen sind Frauen, aber nur 25 Prozent von ihnen sind auch in Führungspositionen vertreten. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Weltgesundheitsorganisation. In Deutschland arbeiten Frauen mit einem Anteil von 70 Prozent in Gesundheits- und Sozialpflegeberufen. Bei den Pflegekräften in der Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege, im Rettungsdienst und der Geburtshilfe ist ihr Anteil sogar noch höher. Frauen leisten damit einen bedeutenden Beitrag zur Gesundheitsversorgung. Oftmals ist ihre Arbeit jedoch unbezahlt, unterbezahlt und nicht ausreichend wertgeschätzt.
Erfahrungen und Perspektiven teilen.
Die Initiative „Women in Global Health – Germany“ (WGH-GER) wurde im Juli 2017 gegründet und war das erste Chapter der bereits bestehenden internationalen Initiative. Mittlerweile gibt es weltweit Chapter in acht Ländern, fünf davon – neben Deutschland – in Europa. Als Vertreterinnen dieser Initiative fordern wir Folgendes: Eine faire Entlohnung und sichere Arbeitsbedingungen für Gesundheitsfachkräfte, die gleiche Verteilung der Pflegearbeit zwischen allen Geschlechtern sowie deren finanzielle Anerkennung.
In den Medien und der Berichterstattung kommen bisher zu wenige Frauen zu Wort.
In der Coronavirus-Pandemie zeigt sich, dass Frauen verstärkt einer Infektionsgefahr ausgesetzt sind. Grund hierfür ist ihr prozentual hoher Anteil am Gesundheitspersonal. Rund 75 Prozent des infizierten medizinischen Personals in Deutschland ist weiblich. Obwohl Frauen im Rahmen dieser Pandemie einen Großteil der Versorgungsarbeit leisten, sind sie als Expertinnen nur zu einem geringen Teil miteinbezogen. Somit erhalten sie nur eingeschränkt die Möglichkeit, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Perspektiven zu teilen.
Männer dominieren die Medien.
In den Medien und der Berichterstattung zu Covid-19, die für die öffentliche Wahrnehmung der Krise eine bedeutende Rolle spielen, kommen bisher zu wenige Frauen zu Wort. Eine Analyse für Deutschland ergab, dass bei der Berichterstattung zur Coronavirus-Pandemie das Verhältnis Männer zu Frauen in der Zeitung „Die Zeit“ bei 8:3 und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bei 9:2 liegt. Auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bei den Talk-Shows, im „Heute Journal“ (11:1) sowie im Deutschlandfunk (70:29) gibt es keine ausreichende Vertretung von Expertinnen. Im „Kleinen Corona-Kabinett“ der Bundesregierung beträgt das Verhältnis 4:2, im Experten-Gremium der Bundesregierung zur Lockerung der Maßnahmen 6:1. Bei den externen Beraterinnen und Beratern für die Bundesregierung fällt das Verhältnis mit 20:1 noch gravierender aus. Ähnlich sieht es in den Bundesländern aus: Im Expertenbeirat für Baden-Württemberg sitzen fünf Männer und keine Frauen, in Schleswig-Holstein sechs Männer und zwei Frauen.
Kampagne für Parität ins Leben gerufen.
Doch gerade weil Frauen durch die Pandemie besonders betroffen sind, sollten ihre Erfahrungen, Interessen und Perspektiven ausreichend vertreten und berücksichtigt werden. Es ist wichtig, sie paritätisch in Entscheidungsprozesse, die einen großen Einfluss auf ihre Lebenswelten haben, mit einzubeziehen. Gemeinsam mit anderen weltweit tätigen Expertinnen hat Women in Global Health deshalb die Kampagne „Operation Covid 50/50“ ins Leben gerufen, an der auch WGH-GER beteiligt ist. Ziele dieser Kampagne sind die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern in der Berichterstattung und in Gremien, sichere und angemessene Arbeitsbedingungen sowie eine faire Bezahlung und Aufteilung unbezahlter Arbeit. Vor diesem Hintergrund sollte auch eine geschlechtersensible Datensammlung und Forschung stattfinden.
Gesundheitssysteme profitieren von Frauen.
Internationale Studien zeigen, dass Gesundheitssysteme stärker sind, wenn weibliche Gesundheitsfachkräfte an Entscheidungsprozessen, der Entwicklung von nationalen Gesundheitsplänen und der Gesundheitspolitik beteiligt sind. Frauen sollten deshalb in Expertengremien und -listen paritätisch vertreten sein. In Medienberichten sollten sie als Expertinnen gleichberechtigt miteinbezogen werden. Inmitten der Corona-Krise ist es essentiell, die aktuelle Situation geschlechtersensibel zu bewerten, Forschungslücken zu identifizieren und Handlungsoptionen aufzuzeigen.