Interview

„Die Prävention muss zu den Männern kommen“

Ein leichter Zugang, eine zielgruppenspezifische Ansprache und digitale Technologien können helfen, Männer für die Gesundheitsförderung zu gewinnen. Besonders wirksam sind Konzepte im Setting Betrieb, meint Präventionsexperte Dr. Thomas Lennefer.

Herr Dr. Lennefer, worin sehen Sie die Gründe für den Unterschied in der Lebenserwartung von Männern und Frauen?

Thomas Lennefer: Im Durchschnitt zeigen Männer häufig ein schlechteres Gesundheitsverhalten und ein weniger starkes Gesundheitsbewusstsein als Frauen. So ernähren sie sich weniger gesund und trinken mehr Alkohol. Das kann ein Grund dafür sein, dass beispielsweise Herzinfarkt oder Übergewicht häufiger bei Männern auftreten. Obwohl Männer dadurch ein höheres Risiko für Erkankungen aufweisen, nehmen eher Frauen Präventionsangebote wahr. Zudem vermitteln stereotype Rollenbilder, dass Männer hart im Nehmen sind, sodass sie körperliche oder seelische Warnsignale eher ignorieren. In Bezug auf die psychische Gesundheit wird dieser Unterschied besonders deutlich: Männer erhalten weniger psychische Diagnosen als Frauen, begehen aber häufiger Suizid.

Porträt von Tomas Lennefer, Referent für Betriebliche Gesundheitsförderung beim AOK-Bundesverband

Zur Person

Dr. Thomas Lennefer, Psycho­loge, ist seit September 2019 beim AOK-Bundesverband Referent für Betriebliche Gesundheitsförderung. Im Rahmen seiner Promotion beschäftigte er sich mit digitalen Interventionen in der Betrieblichen Gesund­heitsförderung.

Wie lässt sich mit gesundheitlicher Prävention die Lebenserwartung von Männern erhöhen?

Lennefer: Eine Stellschraube, an der man drehen kann, um die Lebenserwartung von Männern zu erhöhen, ist die Verbesserung des Gesundheitsverhaltens. Hierbei ist es wichtig, Präventionsangebote zu entwickeln, die auch kommunikativ Männer adressieren. Ein Beispiel hierfür ist die erfolgreiche Kampagne der AOK Nordost zur Krebsfrüherkennung „Männer, lasst die Hosen runter“. Der Fußballer Jimmy Hartwig stand bei der Kampagne Pate. Das hatte einen gewissen Vorbildeffekt und sprach ein Interessengebiet vieler Männer an. Darüber hinaus hilft Männern der Setting-Ansatz, wie er beispielsweise in der Betrieblichen Gesundheitsförderung gelebt wird. Die Prävention muss zu den Männern kommen und nicht umgekehrt. Ein weiterer Aspekt, der Männer motivieren kann, Präventions­angebote wahrzunehmen, ist der Einsatz von Technologien. In meiner Doktorarbeit habe ich die Wirkung von digitalen Interventionen im betrieblichen Setting untersucht. An den Studien haben mehrheitlich Männer teilgenommen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass Männer durchschnittlich ein höheres Inter­esse an Technik haben als Frauen und deshalb von technologie­basierten Gesundheitsinterventionen besonders angesprochen werden.

Welche männerspezifischen Präventionsangebote hält die AOK bereit?

Lennefer: Bestimmte Krankheiten treten häufiger oder ausschließlich bei Männern auf, so beispielsweise Darmkrebs, Hodenkrebs oder Prostatakrebs. Die Seite aok.de enthält eine Rubrik, die sich mit Männergesundheit beschäftigt und unter anderem bei der Vorsorge vor diesen Krebsarten unterstützt. Um das Gesundheitsverhalten von Männern günstig zu beeinflussen, hält die AOK Angebote zu Bewegung, Stress oder Ernährung bereit. Die AOK Nordwest bietet beispielsweise eine Kochwerkstatt und ein Functional Training speziell für Männer an.

Wie kann Betriebliche Gesundheitsförderung dabei helfen, die Gesundheit von Männern zu verbessern?

Lennefer: Über die Verhaltensprävention hinaus geht es in der Betrieblichen Gesundheitsförderung darum, die Arbeitsbedingungen gesundheitsförderlich zu gestalten. Davon profitieren auch Männer, die das Thema Gesundheit gar nicht im Kopf haben. Das Führungsverhalten oder die Unternehmenskultur können einen großen Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten ausüben. Ein weiterer Vorteil des Setting-Ansatzes ist, dass er auch junge Männer erreicht, die sich sonst nur schwer für Gesundheitsförderung gewinnen lassen.

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: privat