Kliniken stellen sich auf Demenz ein
Wenn Menschen mit Demenz ins Krankenhaus kommen, benötigen sie besondere Unterstützung. In Niedersachsen erproben Kliniken, wie sie diesen Patienten gerecht werden – beispielsweise mit Orientierungshilfen und Bezugspflege. Von Änne Töpfer
Rund 40 Prozent
aller über 65-jährigen Patientinnen und Patienten in deutschen Krankenhäusern haben kognitive Beeinträchtigungen, fast jeder Fünfte eine Demenz. Das ist Ergebnis einer repräsentativen Studie in den Allgemeinkrankenhäusern von Baden-Württemberg und Bayern aus dem Jahr 2016 (General Hospital Study – GHoSt). Ein Klinikaufenthalt stellt demenziell veränderte Menschen wie auch Krankenhaus-Mitarbeiter vor enorme Herausforderungen. Denn die ungewohnte Umgebung kann Symptome wie Unruhe und Orientierungsstörungen verstärken.
Die niedersächsische Landesregierung fördert deshalb neun in einer Preisauslobung als „hervorragend“ ausgezeichnete Projekte mit insgesamt 1,5 Millionen Euro. Die Beteiligten haben nun ihre Konzepte und deren Umsetzung auf einer digitalen Tagung der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen vorgestellt. Damit wollen sie Anreize und Ideen geben, die Projekte auf andere Häuser zu übertragen.
Zimmer speziell gestalten.
Das Klinikum Osnabrück hat ein „mobiles Demenzzimmer“ geschaffen. In dem Krankenhaus stehen Boxen mit Ausstattungs- und Beschäftigungsmaterial zur Verfügung, darunter beispielsweise Bilder für die Türen, Tageslichtlampen und Duftdiffuser. Ein Biografie-Bogen unterstützt Pflegekräfte dabei, Hobbies, Haustiere oder Rituale im Alltag zu erfragen, um auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen zu können. „Die Akzeptanz der Demenzboxen unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist groß“, berichtete Nora Burchhardt, Referentin der Pflegedirektion im Klinikum Osnabrück.
Fast jeder fünfte über 65-jährige Klinikpatient hat eine Demenz.
An fünf norddeutschen Standorten richtet der Klinikkonzern Helios demenzsensible Patientenzimmer ein. Einige sollen bereits ab Frühjahr 2021 zur Verfügung stehen. Die „Patientenzimmer-gegen-das-Vergessen“ dienen beispielsweise der Sturzprävention und unterstützen Essen, Trinken oder Orientierung. Sie sind ausgestattet mit digitalen Werkzeugen wie bewegungssensiblen Matratzen und Fußböden oder Trinkbechern, die ein Signal geben, wenn sie leer sind. Die Projektbeteiligten wollen die Ergebnisse der Umsetzung mit anderen Kliniken teilen. „Wir stehen gern mit Rat und Tat zur Seite“, so Maren Christina Geissler, Innovationsmanagerin im Helios Center for Research and Innovation. „Unsere Checkliste zeigt, worauf es bei der Einrichtung solcher Zimmer zu achten gilt.“
Pflege begleitet individuell.
Das Klinikum Oldenburg stellte sich auf der Tagung mit einem Projekt zur Bezugspflege für Menschen mit Demenz vor. Auf der geriatrischen Station und in der Alterstraumatologie kümmern sich fünf speziell dafür eingestellte Pflegekräfte um Menschen mit Demenz. Sie übernehmen übliche pflegerische Aufgaben, allerdings im Betreuungsverhältnis eins zu zwei, also mit mehr Zeit für den Einzelnen. Sie machen Beschäftigungsangebote, reden mit anderen Berufsgruppen oder Angehörigen und begleiten die Patienten zu Untersuchungen. „Die Patienten haben immer jemanden dabei, den sie kennen“, berichtete Tania Zieschang, Professorin für Geriatrie an der Universität Oldenburg. „Das baut Vertrauen auf, vermittelt Sicherheit und wird auch von den Mitarbeitern der Diagnostik-Abteilungen als hilfreich empfunden.“
Fachliche Expertise erweitern.
Um die Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern, hat das St. Franziskus Hospital in Lohne ein „Kompetenzzentrum Demenz“ aufgebaut. Dieses stützt sich auf drei Säulen, wie Sarah Palmdorf, Mitarbeiterin des Zentrums, erläuterte: auf die Netzwerkarbeit, die Erweiterung der fachlichen Expertise und die Einrichtung einer Demenzberatung. Das Kompetenzzentrum habe „ein abgestuftes Schulungsprogramm zur Förderung der Beziehungsgestaltung zu Menschen mit Demenz“ entwickelt, das sich an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des St. Franziskus Hospitals richte.
- Sabine Kirchen-Peters, Elisabeth Krupp: Praxisleitfaden zum Aufbau demenzsensibler Krankenhäuser. Robert Bosch Stiftung, 2019. Download
- Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V.: Menschen mit Demenz im Krankenhaus
Für vorbildliche Initiativen wünscht sich Dr. Sabine Kirchen-Peters ein „Siegel Demenzfreundliches Krankenhaus“. In den Niederlanden gebe es bereits etwas Entsprechendes. „Das müsste die Politik hierzulande anstoßen“, so die Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft Saarbrücken anlässlich der Tagung der Landesvereinigung für Gesundheit.