Unterkühlte Stimmung in der Pflege
Seit zwei Legislaturperioden gehört die Pflege zu den wichtigsten politischen Themen. In der Pflegebranche schlägt sich das aber nicht so recht nieder, wie der Care-Klima-Index zeigt. Er gibt seit vier Jahren Hinweise darauf, wie dort die Stimmungslage ist. Von Bernhard Hoffmann
Größer könnte die Diskrepanz
zwischen der Absicht der Politik, die Pflege zu stärken, und der Wahrnehmung der Betroffenen kaum sein. Das zeigt der vierte Care-Klima-Index. 70 Prozent der Befragten vermuten, dass die Pflege bei Politikern einen niedrigeren Stellenwert hat als andere Themen. 2019 waren es noch 68 Prozent. Unter den professionell Pflegenden ist der Zuwachs mit sechs Prozentpunkten auf 86 Prozent noch stärker.
Seit vier Jahren gibt der Care-Klima-Index Hinweise auf die Stimmung in der Pflegebranche. Dieser umfasst mittlerweile 13 Ziel- und Berufsgruppen – von den Pflegebedürftigen über deren Angehörige, den professionell Pflegenden, Ärzten, Apothekern, Experten aus Verbänden bis hin zu Vertretern der Kranken- und Pflegekassen, wie Stephanie Hollaus erklärt. Sie leitet den Bereich Pflegemarktforschung beim Marktforschungsinstitut Ipsos und war schon 2014 an der Entwicklung des Care-Klima-Index auf Initiative des Deutschen Pflegetags beteiligt. 2017 erschien der erste Index. Die Veröffentlichung der vierten Erhebung hatte sich Corona-bedingt verzögert.
Jährliche Befragung.
Knapp 2.000 Interessierte beteiligen sich jährlich an der Online-Befragung. Dazu können sie sich selbst anmelden, oder sie werden von einem Verband, dem sie angehören, um Teilnahme gebeten. Selbstselektivität nennt das Projektleiterin Hollaus und will aus Gründen der methodischen Sauberkeit die Diskussion um Repräsentativität gar nicht erst aufwerfen. Vielmehr gehe es darum, ein Stimmungsbild zu ermitteln, wie es in anderen Bereichen etwa zur Kaufbereitschaft in der Bevölkerung oder zur Stimmung in Unternehmen längst üblich sei. Der Fragebogen sei so ausgearbeitet, dass Verzerrungen etwa durch eine besonders hohe Beteiligung von Unzufriedenen aufgefangen würden. „Unser Ziel ist es, eine möglichst große Bandbreite an Einschätzungen abzudecken“, so Hollaus. Deshalb werde auf polarisierende Fragen verzichtet.
Die Fragen entwickelt das Marktforschungsinstitut Ipsos jährlich gemeinsam mit einem Expertenbeirat. Ihm gehören Vertreter des Deutschen Pflegerats und der Zielgruppen an, die befragt werden. Ein Teil der Themen ist wiederkehrender Bestandteil jeder Befragung, um Entwicklungen und Tendenzen aufzuzeigen. Dazu gehören neben der Einschätzung des Stellenwerts der Pflege in der Politik vor allem Fragen nach Arbeitsbedingungen oder Anforderungen an Pflegefachpersonen. Die Antworten sind für Projektleiterin Hollaus ein Beleg für ein differenziertes Stimmungsbild. So sehen zwar 86 Prozent der Teilnehmer steigende Anforderungen in der Pflege. Aber zugleich ist die Zahl jener, die die Arbeitsbedingungen als schlecht bezeichnen, seit 2018 von 61 auf jetzt 50 Prozent gesunken. Auch zu Themen wie der Patientensicherheit oder der interdisziplinären Zusammenarbeit vor allem zwischen Pflege und Medizin gebe der Index wertvolle Hinweise, so Hollaus.
Wenig politische Resonanz.
In der Pflegebranche ist nach ihrer Einschätzung der Care-Klima-Index inzwischen etabliert. Er dürfe aber gerade in der Politik noch präsenter werden, meint Hollaus und beklagt eine zu geringe politische Resonanz auf die Ergebnisse. Unterstützt wird sie darin von der Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler. „Positive Veränderungen für professionell Pflegende bei Rahmenbedingungen, der qualitativen Versorgungsmöglichkeit und der Weiterentwicklung finden nicht oder nur minimal statt beziehungsweise werden nicht wahrgenommen“, sagt Vogler gegenüber G+G. Sie fordert unter anderem Bemessungsinstrumente für den Personalbedarf sowie für professionell Pflegende mehr Handlungsmöglichkeiten und einen höheren Einstiegslohn.
Für Hollaus wird die wirtschaftliche Bedeutung des Pflegemarkts noch unterschätzt. Die Branche werde für Investoren auch aus dem Ausland immer interessanter, die sich vor Investitionsentscheidungen an vielen Faktoren orientierten. „Hier kann der Care-Klima-Index eine wichtige Rolle einnehmen“, meint Hollaus.