Beginn einer Ära der Resilienz
Pandemie, Krieg und Klimawandel haben unser ohnehin komplexes Leben verändert, sagt Dr. Daniel Dettling. Der Zukunftsforscher beschreibt, wie sich die Widerstandskraft gegen Krisen in unserer Gesellschaft verbessern lässt.
Die Coronakrise,
die die Welt seit 2020 in Atem hält, und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 haben die Grundlagen unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenlebens erschüttert. Die Klimakrise wird mittel- und langfristig beide Krisen ergänzen und ablösen. Krisen wie Krankheitswellen, Kriege und Klimawandel lassen sich als Game Changer bezeichnen, weil sie mehrere Trends beschleunigen. Dazu gehören vor allem der demografische und digitale Wandel, die Transformation zu einer grünen und nachhaltigen Wirtschaft und gesundes Arbeiten.
Unser Leben wird zunehmend komplexer und damit auch riskanter. Statt in Angststarre zu verfallen oder sich dem Untergang zu verschreiben, gilt es, eine neue Zeit einzuleiten. Nennen wir sie die „Ära der Resilienz“. Resilienz wird zum Schlüsselfaktor in einer Zeit der „Omnikrise“ – ein Begriff, den der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx geprägt hat. Es geht um einen neuen Dreiklang aus Digitalisierung, Diversität und Nachhaltigkeit. Das Zeitalter der Resilienz läutet eine neue Phase der Anpassung ein. Wirtschaftliche, ökologische und betriebliche beziehungsweise individuelle Strategien und Programme, welche die Widerstandsfähigkeit und Gesundheit fördern, sind gefragt wie nie zuvor.
Der Begriff der Resilienz umfasst zwei Dimensionen: Zum einen geht es darum, die Vulnerabilität einer vernetzten und globalisierten Weltwirtschaft abzumildern, indem sich Unternehmen, Institutionen und Netzwerke aktiv und präventiv auf Krisen und Umbrüche vorbereiten. Externe Einflüsse wie veränderte Klimabedingungen, aber auch der demografische Wandel verlangen nach Anpassung und Flexibilität. Zum anderen steht Resilienz ökonomisch für einen neuen Wachstumsbegriff: Es geht um krisenfestes, ganzheitliches Wachstum.
Statt in Angststarre zu verfallen, gilt es, eine neue Zeit einzuleiten.
Der Kern von Resilienz sind Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und das Bilden von Reserven. In einer vernetzten und flexiblen Arbeitswelt verlieren traditionelle Faktoren wie Präsenzzeit, Stundenlohn und Achtstundentage an Bedeutung. Qualitative Faktoren wie Lebensqualität, Selbstwirksamkeit und Zeitwohlstand dagegen haben zunehmend Gewicht. Die Hälfte der Beschäftigten würde gerne flexibler, teilweise im Homeoffice und an vier Wochentagen arbeiten.
Zu den Zukunftskompetenzen gehören Fähigkeiten wie Problemlösung, Innovation, Kreativität, Originalität und das Verständnis komplexer Systeme. Das Erlernen neuer Netzwerkkompetenzen wie Ambiguitätstoleranz – also die Fähigkeit, Vieldeutigkeit und Unsicherheit zur Kenntnis zu nehmen und ertragen zu können – und Unsicherheitskompetenz wird dabei ebenso entscheidend sein. Resiliente Systeme setzen auf Entkopplung, Entschleunigung und Restabilisierung durch Diversität. „Eine Gesellschaft ist resilienter, wenn der Gesellschaftsvertrag von einem Großteil ihrer Mitglieder weitgehend akzeptiert wird“, schreibt der deutsche Ökonom Markus K. Brunnermeier in seinem Buch „Die resiliente Gesellschaft“. Ein System, das die Resilienz aller Mitglieder einer Gesellschaft individuell fördert, erhöht damit auch die gesamtgesellschaftliche Resilienz. Eine Gesellschaft, so Brunnermeier, ist dann „resilienter, wenn das Tempo der Veränderung die Fähigkeit zum Wandel nicht übersteigt“.
Demokratische Systeme sind daher resilienter als nicht-demokratische. Bürgerinnen und Bürger entwickeln ein Verständnis für Wissenschaft und Verfahren und erneuern sie fortwährend. Soziale und neue Technologien, die demokratisierend wirken wie freie Software, Open Source und Blockchain sowie Bürgerhaushalte, E-Petitionen und Bürgerdialoge spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie können das alte Prinzip der demokratischen Repräsentativität ergänzen und verbessern. Was eine Gesellschaft zusammenhält, ist ihr Gesellschafts- und Generationenvertrag, das tägliche Aushandeln von Konflikten und Kompromissen.