Porträt
Kommentar

Großer Handlungsbedarf

Nach dem Karlsruher Urteil von 2020 ist die Sterbehilfe neu zu regeln. Drei Entwürfe liegen dem Bundestag vor. Doch nur einer wird den Vorgaben der Richter gerecht, meint Tim Szent-Ivanyi.

In den Annalen des Bundestags

wird die Beratung von vier Gruppenanträgen zur Sterbehilfe im Juli 2014 als historische Debatte geführt. Eindringlich berichteten Abgeordnete von persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Sterbenden und begründeten so ihre unterschiedlichen Haltungen. Trotz vieler Warnungen stimmte am Ende eine Mehrheit einem Antrag zu, der die Freiheitsrechte sehr stark einschränkte. Bei dem Versuch, kommerzielle Sterbehelfer zu verbieten, wurde de facto jede Beihilfe unter Strafe gestellt. So nahmen die Parlamentarier auch todkranken Menschen die Möglichkeit, mit Würde aus dem Leben zu scheiden.

Als historisch gilt auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem im Februar 2020 die Gesetzesänderung gekippt wurde. Jeder Mensch, so die Richter in großer Klarheit, habe das Recht, aus dem Leben zu scheiden und sich dafür Hilfe zu holen, egal, welche Gründe für die Beendigung des Lebens bestünden. Der Staat dürfe das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht einschränken, belehrte das Gericht den Gesetzgeber.

Jeder Suizid ist einer zu viel.

Zur Umsetzung des Urteils liegen mittlerweile drei Gesetzentwürfe vor, die wahrscheinlich noch im ersten Quartal dieses Jahres abschließend im Bundestag beraten werden. Zwar ist seit dem Karlsruher Urteil die Beihilfe zum Suizid wieder uneingeschränkt erlaubt. Doch es besteht Handlungsbedarf, weil selbst Schwerstkranken nach wie vor verwehrt wird, auf legalem Wege ein als sicher und schonend geltendes Medikament zur Selbsttötung zu erhalten.
 
Aber nur einer der Gesetzentwürfe wird diesem Umstand und den Anforderungen der Verfassungsrichter gerecht. Die Gruppe um Lars Castellucci (SPD) will die Sterbehilfe erneut im Strafrecht verankern, was nach der Eindeutigkeit der Karlsruher Entscheidung geradezu absurd ist. Der Gesetzentwurf von Renate Künast (Grüne) und anderen Abgeordneten unterscheidet unzulässigerweise zwischen schwerkranken und nicht-schwerkranken Suizidwilligen. Der Entwurf der Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) schafft hingegen einen klaren Rechtsrahmen für hilfsbereite Dritte, regelt den Zugang zu tödlichen Medikamenten und beinhaltet ein angemessenes Schutzkonzept, um sicherzustellen, dass es sich um eine ernsthafte und dauerhafte Entscheidung handelt – frei von äußerem Druck. Denn es bleibt dabei: Jeder Suizid ist einer zu viel.

Tim Szent-Ivanyi ist Korrespondent beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Bildnachweis: Markus Wächter