Wie Notfälle versorgen?
Die Notaufnahmen sind voll, und Rettungskräfte rücken oftmals zu Bagatelleinsätzen aus. Welche Reformen sind notwendig, um die Notfallversorgung der Patienten in Zukunft besser zu steuern?
Stephan Pilsinger, Mitglied im Gesundheitsausschuss der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion und Arzt:
Die Rettungsstellen in Deutschland sind seit Jahren chronisch überlastet. 40 Prozent aller vermeintlichen Notfälle sind nachweislich keine echten Notfälle und müssten auf weniger akuten Versorgungsebenen behandelt werden. Da müssen wir besser steuern. Wer ohne ärztliche Einweisung in die Rettungsstelle kommt, wer vorher nicht die 112 oder die 116 117 zur telefonischen Ersteinschätzung kontaktiert hat und wer nicht mit dem Rettungswagen eingeliefert wird, der sollte eine Gebühr, zum Beispiel 20 Euro, zahlen. Nur so verhindern wir, dass Selbsteinweiser die Kapazitäten für echte Notfälle binden.
Dr. Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und Notarzt:
Menschen in gesundheitlichen Notsituationen müssen sich jederzeit und überall auf eine bedarfsgerechte Versorgung verlassen können. Klare Steuerungsprozesse zwischen technisch vernetzten Leitstellen der 112 und der 116 117 sollten zukünftig auf Basis standardisierter Notrufabfragen dafür sorgen, dass Einsatz- und Patientendaten unkompliziert weitergegeben und Patientinnen und Patienten in die für sie beste Versorgung gesteuert werden. Notaufnahmen und Notfallpraxen müssen zukünftig als Integrierte Notfallzentren eine ambulante wie stationäre Notfallversorgung an einem Ort und aus einem Guss anbieten.
Martin Pin, Präsident der Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre Akut- und Notfallmedizin e. V.:
Um Notfallpatientinnen und -patienten zukünftig besser zu steuern, ist es nötig, verbindlich festzulegen, was Kliniken und was Vertragsärztinnen und -ärzte jeweils leisten sollen. Die Integrierten Leitstellen müssen mehr Kompetenzen bekommen. Sie sollten neben der 112 auch mit der 116 117 verknüpft werden und direkt Akuttermine bei Vertragsärzten vergeben können. Zudem sollten Anrufende die Möglichkeit haben, über Videotelefonie rasch ärztlich beraten zu werden. Das würde bei Betroffenen mehr bewirken als Gebühren für Selbsteinweiser, die auch ernsthaft Erkrankte abschrecken.
Prof. Dr. Reinhard Busse, Fachgebietsleiter Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin:
17,5 Millionen Bürger kommen jährlich in die über 1.000 Notaufnahmen der Krankenhäuser. Das sind zwei pro Stunde und Standort. Davon werden 7,7 Millionen (45 Prozent) stationär aufgenommen – ein international extrem hoher Wert. In Dänemark sind es halb so viele. Besser wären maximal 500 personell gut ausgestattete Notaufnahmen, die deutlich weniger stationäre Aufnahmen veranlassen. Dazu müssen Strukturen geändert (gemeinsamer Tresen, Einbeziehen von Vertragsärzten, Beobachtungsbetten, etc.) und die Vergütung um Vorhaltefinanzierung und Beobachtungs-DRGs ergänzt werden.