Einwurf

Warum wir keine Egoisten sind

Die Bereitschaft, sich für eine gute Sache zu engagieren, ist groß, sagt Gerda Hasselfeldt. Die DRK-Präsidentin appelliert an die Regierung, mehr Stellen bei den Freiwilligendiensten zu schaffen.

Porträt Gerda Hasselfeldt

Die Debatte läuft schon ziemlich lange.

Im Jahr 1982 wurde in Deutschland die „Ellbogengesellschaft“ zum Wort des Jahres gewählt. In vielen Diskussionen konnte man seither den Eindruck erhalten, dass unsere Gesellschaft immer mehr von Rücksichtslosigkeit, Konkurrenzdenken und Eigennutz bestimmt wird, Schwache ausgegrenzt werden und jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Auf Deutschlands Straßen zumindest scheint sich das zu bestätigen, wenn man an die vielen Raser und Drängler denkt oder sieht, wie Rettungsgassen für Einsatzfahrzeuge oftmals blockiert werden. Doch bei genauerem Blick sieht das Bild der Gesellschaft sehr viel differenzierter aus. Das zeigt sich zum Beispiel in der Flüchtlingskrise der Jahre 2015/16. Ohne Zehntausende freiwilliger Helfer wäre Deutschland gar nicht in der Lage gewesen, rund 800.000 Flüchtlinge innerhalb eines Jahres aufzunehmen. Allein das Deutsche Rote Kreuz (DRK) betreute bundesweit zeitweilig mehr als 140.000 Flüchtlinge in rund 490 Notunterkünften. Tausende meldeten sich damals spontan beim DRK, um zu helfen. Viele dieser spontanen Helfer sind mittlerweile bereit, sich auch außerhalb der Flüchtlingshilfe für Menschen in Not einzusetzen. Sie machen das als aktive Mitglieder bei den DRK-Gemeinschaften und dem Jugendrotkreuz, um sich zum Beispiel im Betreuungsdienst, Katastrophenschutz, der Nachbarschaftshilfe, im Hospiz oder der Sozialarbeit zu engagieren.

Ein Freiwilliges Soziales Jahr fördert den Einstieg in einen sozialen Beruf.

Es kann also keine Rede davon sein, dass unsere Gesellschaft vor allem aus Egoisten besteht, denen das Schicksal anderer Menschen egal ist. Die Bereitschaft, sich für eine gute Sache zu engagieren, ist groß. Das Ehrenamt ist ein Eckpfeiler unserer Gesellschaft, der immer wichtiger wird. Das gilt etwa im Hinblick auf die demografische Entwicklung. Hier gibt es jenseits der professionellen Hilfe für pflegebedürftige Menschen einen großen Bedarf an ehrenamtlichen Helfern, die etwa mit älteren Menschen einen Spaziergang machen, mit ihnen Schach spielen oder ihnen die Angst vor Einsamkeit nehmen – letzteres kann im Übrigen nicht nur im Alter zum Problem werden. Das Potenzial ist dabei noch nicht ausgeschöpft. Das Wichtigste ist, die Jugend zu begeistern. Wer in jungen Jahren erfährt, dass Helfen Freude und Spaß macht, dass man dabei Freunde, Wertschätzung und Anerkennung findet und eine ganze Menge dazulernt, der findet als Erwachsener oft wieder zu einem solchen Engagement zurück. Ein großes Potenzial sehe ich außerdem bei der älteren Generation und bei Menschen mit Migrationshintergrund.

Es sollten aber auch die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen verbessert werden. Beim Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und beim Bundesfreiwilligendienst gibt es insgesamt viel mehr Bewerber als Stellen. Das DRK ist mit rund 15.000 Plätzen bundesweit der größte Anbieter bei den Freiwilligendiensten. Bei uns übersteigt die Nachfrage von Bewerbern unsere Angebote um mehr als das Doppelte. Deshalb richten wir an die Bundesregierung den Appell, mehr Stellen für beide Programme zu schaffen und die notwendige Bundesförderung zu erhöhen. Für viele junge Leute, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren, kann dies den späteren Einstieg in einen sozialen Beruf bedeuten. Wir setzen uns auch für die Gleichstellung der ehrenamtlichen Helfer von DRK und anderen Hilfsorganisationen mit Technischem Hilfswerk und Feuerwehr ein. Das gilt etwa bei der Freistellung vom Arbeitsplatz bei einem großen Unglück oder bei schweren Überschwemmungen. In den meisten Bundesländern ist das leider bislang nicht der Fall. Bei der gesellschaftlichen Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit kann man ebenfalls noch einiges weiterentwickeln. In vielen Kommunen und Bundesländern gibt es bereits sogenannte Ehrenamtskarten, die freien Eintritt in Museen oder Veranstaltungen gewähren. Wir setzen uns dafür ein, so etwas bundesweit einzuführen. Wir sollten alles dafür tun, damit der positive Trend zum ehrenamtlichen Engagement anhält.

Gerda Hasselfeldt ist seit Dezember 2017 Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).
Bildnachweis: DRK