Rabattverträge sind Gold wert
Rabattverträge für Generika halten nicht nur die Kosten für Arzneimittel im Zaum. Sie nutzen auch der Patientenversorgung und stärken den Wettbewerb auf dem Pharmamarkt. Das bestätigt eine aktuelle Analyse. Von Thomas Rottschäfer
Knapp 40 Milliarden Euro
haben die gesetzlichen Krankenkassen 2017 für Arzneimittel ausgegeben. Das waren nach Daten des GKV-Arzneimittelindex 1,21 Milliarden Euro oder 3,2 Prozent mehr als 2016. Durch die Arzneimittelrabattverträge wurden die Kosten um vier Milliarden Euro reduziert. Seit nunmehr elf Jahren bremsen die Rabattverträge für Generika verlässlich den Anstieg der Ausgaben für Medikamente. 1,66 Milliarden Euro konnte allein die AOK im vergangenen Jahr durch ihr Vertragsmanagement erlösen. Die AOK-Ausgaben für Medikamente sind nur um 0,9 Prozent je Versichertem gestiegen, der GKV-Schnitt lag bei 2,8 Prozent.
Nicht unnötig Präparate gewechselt.
Doch nicht nur ökonomisch sind die Generikaverträge ein Erfolgsmodell. „Sie sorgen auch dafür, dass es seltener zu unnötigen Medikamentenwechseln kommt und der Wettbewerb funktioniert“, sagt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Nach einer neuen WIdO-Analyse haben 85 Prozent der Patienten, die einen Wirkstoff über einen längeren Zeitraum einnehmen müssen, im Jahr 2016 ihr Medikament dauerhaft von demselben Hersteller erhalten.
Arzneimittelrabattverträge sorgen dafür, dass Patienten gleichmäßig versorgt sind. 2016 haben 85 Prozent der Patienten, die einen Wirkstoff über einen längeren Zeitraum einnehmen mussten, ihr Medikament dauerhaft von demselben Hersteller erhalten. Der Anteil der Patienten ohne Medikamentenwechsel ist zwischen 2006 und 2016 um 15 Prozent gestiegen.
Quelle: WIdO
Das sind 15 Prozent mehr als 2006, dem Jahr vor der gesetzlichen Einführung der Rabattverträge. „Ein Medikamentenwechsel erfolgt heute in der Regel nur, wenn Arzt und Patient dies für notwendig erachten“, betont Schröder. Damit nimmt der Arzneimittelexperte den Pharmaverbänden Wind aus den Segeln, die nach zahlreichen juristischen Niederlagen in der Anfangsphase der Rabattverträge jetzt vor allem auf der politischen Ebene versuchen, das aus Kassensicht erfolgreiche Instrument zur Ausgabensteuerung loszuwerden. Neben unterstellten Nachteilen für die Patienten verweisen die Lobbyverbände dabei vor allem auf das Risiko von Lieferengpässen.
So fordert zum Beispiel der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), „dass es grundsätzlich erst Ausschreibungen für Arzneimittel geben darf, wenn mindestens vier Anbieter im Markt sind“. Zudem müssten die Kassen „an mindestens drei Anbieter Zuschläge erteilen, von denen mindestens einer den Standort seiner Produktionsstätte in der EU nachweisen muss“, meint der BPI.
Kaum Lieferengpässe.
„Unter marktwirtschaftlichen Aspekten ist das Interesse führender Pharmahersteller an möglichst hohen Arzneimittelpreisen nachvollziehbar“, sagt Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg und Chefverhandler der AOK-Rabattverträge. Die Politik sei aber besser beraten, wenn sie sich gemeinsam mit der gesetzlichen Krankenversicherung für die Interessen der Versicherten einsetze. „Die von den Herstellern gemeldeten Lieferengpässe betreffen fast ausschließlich den Klinikbereich, in dem es keine Rabattverträge gibt“, stellt Hermann klar. Das Register des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt ihm recht. Von mehr als 65.000 verschiedenen Arzneimitteln von unterschiedlichen Herstellern, die 2017 mindestens einmal verordnet wurden, waren zwischen Mai 2017 und April 2018 nur 194 Produkte einmal nicht verfügbar. Das entspricht laut WIdO 0,3 Prozent aller Produkte. Von den mehr als 19.000 verschiedenen Arzneimitteln, für die es in diesem Zeitraum mindestens bei einer Krankenkasse einen Rabattvertrag gab, wurden laut BfArM-Daten nur 0,2 Prozent als nicht lieferfähig gemeldet. Bei den betreffenden Medikamenten standen laut WIdO im Durchschnitt mehr als 100 andere verschiedene Arzneimittel des Wirkstoffs oder der Wirkstoffkombination zur Verfügung. „Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Lieferengpässen und exklusiven Rabattverträgen“, bekräftigt Christopher Hermann. „Wir würden uns freuen, wenn wir die von der Pharmaindustrie behaupteten Versorgungsengpässe endlich empirisch überprüfen könnten“, ergänzt Schröder. „Doch dazu müsste der Gesetzgeber die bisher freiwillige Meldepflicht der pharmazeutischen Hersteller in eine Verpflichtung umwandeln. Im Bereich der Rabattverträge gibt es die schon lange.“
Es besteht kein Zusammenhang zwischen Lieferausfällen und Rabattverträgen.
Mehr Konkurrenz in der Pharmabranche.
AOK-Chefverhandler Hermann ist sich bewusst, dass sich das Lobbying der Pharmaindustrie in Berlin und auf Länderebene vor allem gegen das von der AOK bevorzugte Modell der Exklusivverträge richtet. Dass die Interessenverbände hierbei ausgerechnet die Gefahr von Marktkonzentration beschwören, findet der Jurist bemerkenswert. Denn mit diesem, in einer Vielzahl teils heftiger juristischer Auseinandersetzungen durchgesetzten Ausschreibungsmodell hat die AOK vor zehn Jahren ein Oligopol marktbeherrschender Unternehmen aufgebrochen und dem kraftlosen Wettbewerb im Generikamarkt Leben eingehaucht. „Bei uns kamen und kommen immer wieder auch kleine und mittelständische Firmen zum Zug“, so Hermann. „Mehrpartnermodelle hingegen fördern genau das, was die Politik bekämpfen möchte: die Marktkonzentration. Gerade kleinere Unternehmen können in einem Mehrpartnermodell ihren Absatz und damit ihren Angebotspreis nicht planen und werden so aus dem Markt verdrängt.“ Die aktuelle WIdO-Analyse stützt diese Aussage. „Die Marktkonzentration ist gesunken“, erläutert Helmut Schröder. „Der für die Messung der Marktkonzentration in der EU etablierte Herfindahl-Hirschman-Index ist zwischen 2006 und 2017 von 478 auf 298 gesunken. Werte unterhalb von 1.000 kennzeichnen eine niedrige Marktkonzentration.“ Laut WIdO gab es im letzten Jahr für die insgesamt 2.439 verordneten Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen im Schnitt jeweils 18 verschiedene Produkte.
Bei Generika,
die rund die Hälfte des Marktumsatzes ausmachen, standen durchschnittlich sogar jeweils 27 verschiedene Produkte zur Verfügung, im Einzelfall wurden mehr als 500 wirkstoffgleiche Alternativen angeboten. Den Interessen der Pharmaverbände kommt es entgegen, dass Arzneimittelpolitik immer auch Wirtschafts- und Standortpolitik ist. Das hat sich nicht zuletzt beim Pharmadialog zwischen Bundesregierung und Industrie in der vergangenen Legislaturperiode gezeigt. Jetzt haben sich auch die Gesundheitsminister der Länder mit den Rabattverträgen befasst. Zu ihrer Tagung im Juni lag ein Papier der Chefs der Landesgesundheitsbehörden vor. Sie sehen einen Zusammenhang zwischen Lieferausfällen und Rabattverträgen und fordern „strukturelle Reformen“, darunter ein Verbot von Exklusivverträgen für „lebenswichtige Medikamente“. Für NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, der in diesem Jahr der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) vorsitzt, ist ein solcher Zusammenhang nicht eindeutig. „Die Ursachen für Lieferschwierigkeiten scheinen sehr vielfältig zu sein. Als eine von vielen möglichen und zu beleuchtenden Gründen werden in der Diskussion immer wieder auch die nationalen Preis- und Erstattungsregelungen und damit auch die Rabattverträge aufgezählt“, sagte Laumann im Vorfeld des Düsseldorfer Ministertreffens.
Das Prinzip stimmt.
Aus Sicht des Landes, so der amtierende GMK-Vorsitzende, hätten sich die Rabattverträge jedoch grundsätzlich als ein wichtiges Instrument zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen bewährt. Detailänderungen, wie etwa zuletzt hinsichtlich der Impfstoffe, schließe das aber nicht aus. Laumann sieht allerdings zunächst das Bundesgesundheitsministerium in der Pflicht, Lieferengpässe, deren Ursachen und mögliche Gegenmaßnahmen zu prüfen. Nach akutem Handlungsbedarf klingt das nicht.
Weitere Informationen zu den AOK-Arzneimittelrabattverträgen