Gesundheit fängt mit Lesen an
Um Medikamente richtig anzuwenden oder Hygieneregeln zu befolgen, müssen Menschen Texte verstehen. Ein Projekt des AOK-Bundesverbandes und der Stiftung Lesen soll die Lese- und Gesundheitskompetenz verbessern. Von Annegret Himrich
Mehr als 7,5 Millionen Menschen
in Deutschland können Texte nicht oder nur schwer lesen, geschweige denn verstehen. Damit ist ihnen auch der Zugang zu schriftlichen Gesundheitsinformationen verwehrt. Darüber hinaus hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung Schwierigkeiten, solche Informationen zu finden, zu verstehen und zu bewerten. Gute Gründe für die Stiftung Lesen und den AOK-Bundesverband beim Thema Gesundheitskompetenz zusammenzuarbeiten. Das gemeinsame Projekt „HEAL – Health Literacy im Kontext von Alphabetisierung und Grundbildung“ befasst sich mit den Schnittstellen von Gesundheits- und Lesekompetenz. Dabei wollen die Partner Wissen bündeln und Handlungsempfehlungen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft entwickeln. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert HEAL im Rahmen der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung. Andrea Bartl, kaufmännische Geschäftsführerin der Stiftung Lesen, dankte dem Bildungsministerium für die Unterstützung und sagte anlässlich der Auftaktveranstaltung in Berlin: „Lesen spielt in allen Lebensbereichen eine entscheidende Rolle. Wenn Akteure der Lese- und Gesundheitsförderung über den eigenen Tellerrand hinausschauen, wird die Gesellschaft in beiden Bereichen profitieren.“
Netzwerke knüpfen.
Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, ergänzte: „Wer Beipackzettel nicht verstehen, Medikamente nicht richtig dosieren oder Hygienevorschriften nicht befolgen kann, gefährdet sein körperliches Wohl.“ Im Umkehrschluss bedeute dies, dass sich eine bessere Schrift- und Sprachkompetenz positiv auf die Gesundheit auswirke. Experten aus Gesundheit, Bildung, Wissenschaft und Medien loteten in sechs Workshops Möglichkeiten aus, den betroffenen Menschen zu helfen. Sie identifizierten relevante Akteure, diskutierten Rahmenbedingungen und Lösungsmodelle. Dr. Roland Peter vom Kultusministerium Baden-Württemberg eröffnete mit einem Statement den Workshop „Rolle und Verantwortung von Akteuren – Fokus Gesundheitswesen“. Er betonte, wie schwer es sei, die zahlreichen funktionalen Analphabeten zu erreichen. Gerade einmal 25 bis 30 Tausend besuchten die etablierten Kurse der Volkshochschulen. Peter: „Wir müssen nach neuen Zugangswegen suchen. Dabei geht es um die Frage: Wie schaffen wir es, den Gesundheitsbereich mit den Grundbildungszentren zur Alphabetisierung zu verbinden?“ Als mögliche Orte, um mehr Menschen niedrigschwellig anzusprechen, nannte er Stadtteilzentren, Lerncafés, mobile Arztpraxen, Weiterbildungsträger, Mehrgenerationenhäuser oder Unternehmen, denn jeder zweite Betroffene sei erwerbstätig. Um solche Ideen zu realisieren, so Peter, brauche es Netzwerke zwischen den Akteuren. Tatsächlich aber wüssten diese oft gar nichts voneinander.
Transparenz schaffen.
Alle kompetenten Einrichtungen und Institutionen ins Boot – besser noch an einen runden Tisch – holen zu wollen, darin waren sich die Teilnehmer des Workshops einig. Auch Dr. Heidrun M. Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, teilte die Ansicht, dass sich die Probleme im Bereich der Alphabetisierung und der Gesundheitskompetenz nicht innerhalb eines Systems lösen lassen. Zugleich plädierte sie dafür, nicht nur über neue Zugangswege zu reden, sondern bestehende Strukturen besser zu analysieren. Simone Ehmig von der Stiftung Lesen resümierte in der Schlussrunde: „Es gibt eine Vielfalt unterschiedlicher Ansätze und Erfahrungen, aus denen sich lernen lässt. Nach der heutigen Tagung wissen wir, wo die Hürden liegen und welche Arbeitsaufträge es gibt.“ Das Projekt HEAL läuft bis April 2019. Im November wird sich eine zweite Fachtagung mit dem Thema Food Literacy befassen.