Behandlungsfehler

Der Patient trägt die Beweislast

Die therapeutische Aufklärung soll den Heilerfolg sichern und einen Schaden abwenden, der durch falsches Verhalten eines Patienten nach der Behandlung entstehen kann. Ob einem Krankenhaus hierbei Fehler unterlaufen sind, muss der Patient nachweisen. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden. Von Anja Mertens

Urteil vom 23. März 2018
– 26 U 125/17 –
Oberlandesgericht Hamm

Wie Rechtsstreite ausgehen,

hängt oftmals davon ab, wer die Beweislast trägt, was Zeugen aussagen und zu welchen Einschätzungen hinzugezogene Sachverständige gelangen. Dies gilt in besonderem Maße für Arzthaftungsprozesse, also wenn Patienten einen Schaden erlitten haben und als Ursache dafür ärztliche Behandlungs- und Aufklärungsfehler vermuten.

Patient stürzt nach Injektion.

So geschehen im Fall eines Mannes. Wegen akuter Hüftgelenksbeschwerden ließ er sich im August 2012 in einem Krankenhaus ärztlich behandeln. Dort erhielt der damals 54-Jährige eine Injektion mit einem Cortison-Präparat in das linke Hüftgelenk. Kurz darauf trat ein Taubheitsgefühl im linken Bein auf, und er sackte mehrfach weg. Er konsulierte das Sekretariat des behandelnden Arztes in der Klinik. Welche Hinweise er dort erhielt, war im Nachhinein zwischen ihm und der Klinik streitig. Klar war nur, dass der Patient zwei Stunden nach der Injektion mit dem Auto nach Hause fuhr, ohne sich zuvor erneut einem Arzt vorgestellt zu haben. Nach der Autofahrt stürzte der 54-Jährige und zog sich dabei eine Fraktur des linken Außenknöchels zu. Dieser Bruch musste mehrfach operativ behandelt werden.

Den Sturz führte der Patient ursächlich auf die anhaltende Wirkung der injizierten Medikamente zurück. Er warf der Klinik vor, nicht über die eingeschränkte Fahrtüchtigkeit informiert worden zu sein. Anderenfalls hätte er sich nach der Behandlung abholen lassen. Dadurch wäre der Sturz zu vermeiden gewesen. Wegen der ständigen Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk könne er bis heute seine Arbeit nicht wieder aufnehmen. Er verklagte das Krankenhaus wegen vermeintlich fehlerhafter ärztlicher Behandlung vor dem Landgericht und verlangte Schmerzensgeld (mindestens 25.000 Euro), Schadensersatz wegen seines Verdienstausfalls (rund 25.389 Euro) und die Feststellung zukünftiger Schadensersatzpflicht. Außerdem sollte die Klinik seine vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (rund 3.368 Euro) zahlen.

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Das Krankenhaus wies die Vorwürfe des Patienten zurück. Die Sekretärin habe ihm nach telefonischer Rücksprache mit dem Arzt mitgeteilt, er solle im Krankenhaus zwei Stunden warten. Der Arzt wolle sich dann den Befund noch einmal anschauen. Als der Mann nach Ablauf der zwei Stunden nicht vorstellig wurde, sei er auf dem Krankenhaus­gelände vergeblich gesucht worden.

Gestützt auf ein internistisch-rheumatologisches Gutachten und auf Zeugenaussagen wies das Landgericht die Klage des Patienten ab. Er habe einen Behandlungsfehler nicht nachweisen können. Insbesondere sei die Anweisung, sich noch etwa zwei Stunden in dem Kranken­haus aufzuhalten und sich erneut vor­zustellen, angesichts der Wirkdauer der Injektion bis maximal einer Stunde ausreichend gewesen.

Gegen das Urteil legte der Patient Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) ein, hatte aber keinen Erfolg damit. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass es keinen Fehler bei der Injektion gegeben hat. Die kurzzeitige Beeinträchtigung des Oberschenkelnervs mit leichteren und nach kurzer Zeit reversiblen neurolo-gischen Ausfällen sei ärztlicherseits nicht zu verhindern gewesen. 

Die mangelnde Compliance geht zulasten des Patienten, so die Zivilrichter.

Keine Überdosis verabreicht.

Nach der ergänzenden Beweisaufnahme habe sich die Behauptung des Patienten nicht bestätigt, dass das von ihm angegebene mehr als zweistündige Anhalten der neurologischen Symptome auf einer Über­dosierung des zusammen mit dem Cortison verabreichten Lokalanästhetikums Bucain beruhte. Das OLG war davon überzeugt, dass er die Standarddosis erhalten habe. Der medizinische Sachverständige habe zudem einen Zusammenhang zwischen der Dosis und der Dauer neurologischer Ausfälle ausgeschlossen.

Auch habe der Kläger nicht nachgewiesen, dass er unzureichend aufgeklärt worden sei. Anders als bei der Risiko- oder Selbstbestimmungsaufklärung – diese soll dem Patienten die Entscheidung ermöglichen, ob und welcher Behandlung er sich unterzieht – diene die therapeutische Aufklärung dazu, den Patienten über richtiges Verhalten nach der Behandlung zu informieren, um den Heilerfolg zu sichern und einen Schaden durch falsches Verhalten abzuwenden. Der Nachweis einer fehlerhaften therapeutischen Aufklärung sei dem Kläger nicht gelungen. Die Vorinstanz sei nach der Beweisaufnahme zurecht davon überzeugt gewesen, dass der Patient aufgefordert war, zur Nachkontrolle im Krankenhaus zu bleiben. Die Zeugenaussagen deckten sich mit der Klinikdokumentation. Diese ärztliche Anweisung sei vollkommen ausreichend gewesen. Zudem sei er zweimal vergeblich gesucht worden, weil er nicht erschienen war. Mehr habe die Klinik nicht tun müssen. Die mangelnde Compliance gehe zulasten des Patienten.

Nicht wegen Injektion gestürzt.

Das Gericht wies abschließend darauf hin, dass der Sachverständige nochmals bekräftigt habe, dass sich die temporären Symptome der Nervenirritationen innerhalb einer Stunde zurückbilden. Somit sei es aus medizinischer Sicht sehr unwahrscheinlich, dass der Patient noch dreieinhalb Stunden unter den Auswirkungen des Anästhetikums gelitten hat. Zwar ließe sich nach Angaben des Sachverständigen ein Kausalzusammenhang zwischen der Injektion und dem Sturz nicht mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen. Aber dies habe er in 25 Berufsjahren und bei 80.000 Injektionen kein einziges Mal erlebt.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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