Bewegt euch, Kinder!
Rausgehen, rennen und klettern – das kommt bei einem Großteil der Mädchen und Jungen zu kurz. Die aktuelle AOK-Familienstudie nimmt die Bewegung in den Fokus und zeigt auf, wie sich die Gesundheit von Kindern und Eltern verbessern lässt. Anke Tempelmann und Dr. med. Kai Kolpatzik fassen die Ergebnisse zusammen.
Schulranzen, Kindergartentasche, Fahrradschlüssel – los geht’s! Wenn Kathy S. und ihre Tochter Käthe morgens gemeinsam zum Kindergarten radeln, tritt die Fünfjährige kräftig in die Pedale. Ihr Bruder Heinrich ist neun und fährt selbstständig mit dem Rad zur Grundschule. Am Wochenende machen die alleinerziehende Mutter und ihre Kinder, die in einer Großstadt wohnen, Fahrradausflüge ins Umland. Heinrich und Käthe sind fast jeden Tag draußen, im Park oder auf dem nahen Spielplatz. Michèle S. und ihr Mann haben ebenfalls zwei Kinder, eine sechs Jahre alte Tochter und einen dreijährigen Sohn. Sie leben in einer ländlichen Gegend. Die Kinder toben gern im Garten, wo es für sie ein Klettergerüst und Fußballtore gibt. Tägliche Wege erledigt die Familie meist zu Fuß, außerdem gehen sie schwimmen und fahren Rad.
Rennen, radeln, klettern, rutschen, springen und balancieren – Bewegung tut Kindern gut. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, dass Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 17 Jahren täglich mindestens 60 Minuten körperlich so aktiv sind, dass Puls und Atmung leicht zunehmen. Für die Kinder von Kathy und Michèle ist das kein Problem. Doch so aktiv wie sie sind die wenigsten: Fragt man ihre Eltern, dann erfüllen neun von zehn Kindern in Deutschland die WHO-Empfehlung nicht. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der aktuellen AOK-Familienstudie, die jetzt in Berlin vorgestellt wurde.
Familiengesundheit im Blick.
Um die Gesundheit von Kindern und Familien fördern zu können, sind verlässliche Daten unverzichtbar. Aus diesem Grund gibt die AOK regelmäßig umfangreiche wissenschaftliche Studien in Auftrag. Insofern ist die AOK-Studie zur Familiengesundheit das Pendant zur Shell-Jugendstudie.
Die erste AOK-Familienstudie lieferte 2007 überzeugende Belege dafür, dass geregelte Abläufe, Routinen und Rituale im Familienalltag sich positiv auf das körperliche und seelische Wohlbefinden von Kindern auswirken. Die Gesundheitskasse entwickelte auf dieser Grundlage zehn gesundheitsfördernde Empfehlungen zur Gestaltung des Familienlebens und prüfte drei Jahre später in der zweiten AOK-Familienstudie, inwieweit die Empfehlungen in den Alltag Eingang gefunden haben.
Daraus resultierten praktische Hinweise, um die Eltern bei der Gesundheitserziehung ihrer Kinder zu unterstützen. Die dritte Familienstudie nahm 2014 die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Ressourcen zur Alltagsbewältigung in den Fokus. In einem weiteren Schwerpunkt ging es um Kinderärzte und deren Beziehung zu den Eltern.
Spiegelbild der bundesdeutschen Wirklichkeit.
Für das gesunde Heranwachsen von Kindern spielen die Eltern eine zentrale Rolle. Für die jüngste AOK-Familienstudie gaben im Frühjahr 2018 insgesamt 4.896 Mütter oder Väter mit mindestens einem Kind zwischen vier und 14 Jahren dem Forschungsinstitut IGES online oder telefonisch Auskunft über die Gesundheit, die Lebensbedingungen und -gewohnheiten ihrer Familie. Die Stichprobe war repräsentativ für die Gesamtheit der Bevölkerung in Privathaushalten, in denen Kinder von vier bis 14 Jahren leben. Der Anteil der Väter hat sich gegenüber 2010 fast verdoppelt – von 19 Prozent auf nun 37 Prozent. Rund 15 Prozent der befragten Elternteile waren alleinerziehend (2010: 10, 2014: 13 Prozent). In mehr als drei Viertel der befragten Paarfamilien waren beide Elternteile berufstätig.
Der Anteil der Eltern mit Hauptschulabschluss lag bei 20 Prozent und damit um rund neun Prozentpunkte höher als in der Vorgängerstudie. Etwa 44 Prozent der Befragten hatten Abitur oder einen Hochschulabschluss. Knapp ein Fünftel der teilnehmenden Mütter und Väter war jünger als 35, fast ein Drittel älter als 46 Jahre. Rund 16 Prozent der Teilnehmer hatten einen Migrationshintergrund. Anhand eines von Wissenschaftlern entwickelten Fragebogens berichteten die Eltern über ihre eigene und die Gesundheit ihrer Kinder, ihre Zufriedenheit mit dem Familienleben und ihre alltäglichen Belastungen. Ein Fokus lag auf dem Thema Bewegung: Wie wichtig ist sie für Familien? Wie häufig und wie lange bewegen sich die Kinder, die Eltern oder alle zusammen? Welche Bewegungsräume und -zeiten stehen zur Verfügung?
Mehr Eltern fühlen sich fit.
Deutlich mehr Eltern als noch bei der vorhergehenden Familienstudie bezeichnen ihren eigenen Gesundheitszustand als gut oder sehr gut (2014: 67, 2018: 76 Prozent). 82 Prozent der Väter, aber nur 73 Prozent der Mütter sind mit ihrer Gesundheit zufrieden. Etwa jeder Zehnte fühlte sich in den vergangenen vier Wochen häufig oder immer durch körperliche Beschwerden im Alltag eingeschränkt. Knapp ein Drittel der Väter, aber nur ein Viertel der Mütter empfand keinerlei Einschränkung. Nur 44 Prozent fühlten sich in den vergangenen vier Wochen nie von psychischen Problemen beeinträchtigt; Müttern machten psychische Probleme im Alltag eher zu schaffen als Vätern (14 zu 8 Prozent).
Auch der Bildungsgrad spielt eine Rolle: 69 Prozent der Eltern mit Hauptschulabschluss, aber rund 82 Prozent der Mütter und Väter mit Abitur oder Hochschulabschluss sind mit ihrer Gesundheit rundum zufrieden. Ihren Alltag konnten rund 56 Prozent der Eltern mit Hauptschul-, aber etwa 69 Prozent der Eltern mit höherem Bildungsabschluss völlig unbeeinträchtigt von körperlichen Beschwerden bewältigen. Psychische Probleme belasteten 17 Prozent der Hauptschulabsolventen – mehr als doppelt so viele wie bei den höher Qualifizierten.
Alleinerziehende besonders belastet.
Alleinerziehende erscheinen weiterhin als besonders vulnerabel: Zwar ist im Vergleich zur Studie 2014 der Anteil der Alleinerziehenden, die ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut bezeichnen, um 21 Prozentpunkte gestiegen (von 48 auf 69 Prozent). Dennoch schätzen sie im Vergleich zu den Paarfamilien ihren Gesundheitszustand als schlechter ein (Paarfamilien: 77 Prozent gut oder sehr gut) und fühlen sich häufiger durch psychische Probleme in ihrem Alltag beeinträchtigt (Alleinerziehende: 18, Paarfamilien: 10 Prozent).
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend betonte zwar im April 2018 in einer Meldung, dass viele Alleinziehende ihre Lebenssituation überwiegend positiv sähen und verwies in diesem Zusammenhang auf Maßnahmen wie den Ausbau der Kinderbetreuung und den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr sowie spezielle Hilfen für Alleinerziehende, wie den Unterhaltsvorschuss und den Entlastungsbeitrag für alleinerziehende Steuerpflichtige. Doch trotz solcher Unterstützungsangebote sind Alleinerziehende nach wie vor deutlich belastet. Nicht ohne Grund wurden sie in den 2016 formulierten Bundesrahmenempfehlungen der Nationalen Präventionskonferenz explizit als Zielgruppe benannt, die bei Präventions- und Gesundheitsförderungsaktivitäten besonders berücksichtigt werden sollte.
Kinder brauchen mehr Raum zum Spielen im Freien: Davon ist die Mehrheit der rund 5.000 für die AOK-Familienstudie befragten Eltern überzeugt. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) von ihnen gab an, dass ein Ausbau der Möglichkeiten für Kinder, im Freien ohne Aufsicht zu spielen, ihre Kommune in hohem Maße bewegungsfreundlicher machen würde, 29 Prozent waren der Auffassung, dass dies in mittlerem Maße die Bewegungsfreundlichkeit erhöhen würde. Zwar finden die meisten Familien bereits bewegungsfreundliche Bedingungen in ihrem direkten Wohnumfeld vor, dennoch wünschen sich über 80 Prozent der Eltern bei Spielplätzen, Parks, Sportstätten und Radwegen weitere Verbesserungen.
Ein gewichtiges Problem.
Jeder zweite befragte Elternteil (58 Prozent gesamt, 72 Prozent Männer, 50 Prozent Frauen) war übergewichtig oder adipös. Die Zahl übergewichtiger Menschen steigt weltweit kontinuierlich an. Auf diese bedenkliche Entwicklung hat die AOK schon vor Jahren mit individuellen Angeboten zur Gewichtsreduktion wie etwa dem Online-Programm „Abnehmen mit Genuss“ reagiert und engagiert sich mit Initiativen wie dem Zuckerreduktionsgipfel auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene für die Prävention von Übergewicht.
Übergewichtige Eltern schätzen die eigene Gesundheit häufiger schlecht(er) ein. In der aktuellen AOK-Familienstudie bezeichnete etwa jeder fünfte normalgewichtige, aber mehr als jeder dritte adipöse Befragte seinen Gesundheitszustand als mittelmäßig oder schlechter. Jeder vierte Elternteil raucht täglich, die große Mehrheit (fast 70 Prozent) dagegen nie. Alkohol trinkt etwa ein Fünftel der befragten Eltern (22 Prozent) gar nicht, fast ebenso viele (18 Prozent) häufiger als zwei Mal pro Woche. Hauptschulabsolventen rauchen häufiger (41 Prozent), verzichten aber öfter (33 Prozent) auf Alkohol. Menschen mit höherem Bildungsabschluss rauchen seltener (14 Prozent), leben aber nicht so oft abstinent (16 Prozent).
Überwiegend gesunder Nachwuchs.
88 Prozent der Eltern bewerten die Gesundheit ihres Kindes positiv (sehr gut: 55, gut: 30 Prozent); „sehr gut“ geht es vor allem den jüngeren Kindern (vier bis sechs Jahre: 59 Prozent). Eltern mit Hauptschulabschluss empfanden den Gesundheitszustand ihres Kindes seltener als „sehr gut“ als Eltern mit Abitur (49 versus 58 Prozent). Die Mehrheit der Kinder hatte in den letzten sechs Monaten selten oder nie körperliche Beschwerden. Stärker fallen psychische Probleme ins Gewicht: Die Eltern berichteten, ihre Kinder seien fast jede Woche oder noch häufiger gereizt und schlecht gelaunt (rund 40 Prozent) oder hätten Einschlafprobleme (20 Prozent).
Legt man die Grenzwerte von Kromeyer-Hauschild (2001) zugrunde, sind rund 16 Prozent der Kinder übergewichtig oder adipös. Das Problem betrifft oft die ganze Familie: Rund elf Prozent der Kinder normalgewichtiger Eltern brachte zu viel auf die Waage. Bei übergewichtigen Eltern waren es 17 und bei adipösen Eltern etwa 22 Prozent. Je geringer der Bildungsgrad der Eltern, desto höher ist der Anteil übergewichtiger Kinder.
Unzufriedenheit nimmt zu.
Zwar ist gut ein Drittel der befragten Eltern (34 Prozent) mit ihrem Familienleben zufrieden, doch schleichend macht sich der Frust breit: Der Anteil der „sehr Zufriedenen“ ging seit 2014 um rund acht Prozentpunkte zurück, der Anteil der Unzufriedenen stieg von sieben auf elf Prozent. Eher oder sehr unzufrieden sind insbesondere Eltern mit geringer Bildung (16 Prozent) und niedrigem Einkommen (17 Prozent) sowie Alleinerziehende (20 Prozent).
Die Beziehung zum Kind ist mehrheitlich (92 Prozent) sehr gut oder gut, trübt sich aber mit zunehmendem Alter ein: Bei den Vier- bis Sechsjährigen ist sie nach Einschätzung der Eltern in 67 Prozent der Fälle sehr gut, bei den Zwölf- bis 14-Jährigen bei rund der Hälfte. Gemeinsame Mahlzeiten haben ihren festen Platz im Familienleben: 72 Prozent der befragten Eltern essen zusammen mit ihrem Kind zu Abend, jeder Zweite frühstückt auch mit dem Nachwuchs – und erfüllt damit die Empfehlungen aus den vorherigen Familienstudien mit Leben.
Neun von zehn Kindern bewegen sich im Alltag zu wenig.
Trotz Alltagsstress und Smartphonenutzung verbringen 37 Prozent der Eltern mehrmals täglich und weitere 54 Prozent täglich Zeit mit ihrem Kind, in der dieses ihre volle Aufmerksamkeit genießt. Nur jede zehnte Familie verfügt über ein Unterstützungsnetzwerk aus Freunden und Verwandten; etwa 15 Prozent haben niemanden, der ihnen im Alltag hilft. Eine verlässliche institutionelle Kinderbetreuung ist für viele Eltern eine wichtige Entlastung. Am meisten leiden die Eltern unter Zeitknappheit – 40 Prozent belastet die Zeitnot stark oder sehr stark. Alleinerziehende stehen stärker unter Druck als Elternpaare, sowohl finanziell (43 versus 24 Prozent) als auch psychisch (33 versus 26 Prozent).
Sportliche Eltern, bewegungsarme Kinder.
Die WHO empfiehlt für Erwachsene mindestens 150 Minuten Bewegung mit moderater oder 75 mit starker Intensität pro Woche und für Kinder mindestens eine Stunde moderater Bewegung täglich. 87 Prozent der Eltern erfüllen diese Vorgaben, vor allem durch Bewegung im Beruf sowie Haus- und Gartenarbeit. Nur 28 Prozent der Eltern treiben intensiv Sport.
Ein anderes Bild ergibt sich bei den Kindern: Lediglich zehn Prozent der Eltern gaben an, dass ihr Kind sich täglich im Sinne der WHO-Empfehlungen bewegt. Auch wenn andere Studien den Bewegungsanteil höher ansetzen (die KiGGS-Studie zum Beispiel mit 27,5 Prozent), ist offensichtlich, dass sich Heranwachsende zu wenig bewegen.
Eine mögliche Erklärung bietet die Mediennutzung. Nach Empfehlung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollen Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren höchstens 30 Minuten täglich Medien nutzen. Bei Sieben bis Zehnjährigen sind es bis zu 60 Minuten. An Wochentagen überschreiten 59 Prozent der Vier- bis Sechsjährigen diese Zeiten, unter den Sieben- bis Zehnjährigen sind es 41 Prozent. Am Wochenende nutzen sogar rund 80 Prozent der Kinder dieser Altersgruppen Medien länger als empfohlen.
Eine Rolle spielt vermutlich
auch der Ausbau der Ganztagsbetreuung. Im Schuljahr 2015/16 nahmen bundesweit rund 2,8 Millionen Kinder am Ganztagsschulbetrieb teil, das entsprach 39,3 Prozent aller Schüler im Primarbereich und der Sekundarstufe I. Bei der erstmaligen amtlichen Zählung der Kultusministerkonferenz im Schuljahr 2002/03 lag der Anteil der Ganztagsschüler bei 9,8 Prozent. Die lange Verweildauer in der Schule schränkt die Möglichkeiten ein, im Verein Sport zu treiben. Fehlen im schulischen Bereich attraktive Bewegungsangebote, bleiben die Kinder passiv. Der aktuellen Familienstudie zufolge sind derzeit aber immerhin 58 Prozent der Kinder Mitglied in einem Sportverein.
- AOK-Familienstudie 2018
- AOK-Familienstudie 2014 plus Broschüre mit den wichtigsten Tipps
- Website des AOK-Programms „Gesunde Kinder – gesunde Zukunft“
- Journal of Health Monitoring 2/2018: KiGGS Welle 2 – Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen
- Starker Sport – Starke Kommunen. Positionspapier des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zur kommunalen Sportpolitik
- Alfred Rütten, Klaus Pfeifer (Hrsg.): Nationale Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung. 2017.
Gezielte Bewegungsangebote.
Für die Mehrheit der befragten Eltern gehört regelmäßige Bewegung als fester Bestandteil zum Familienalltag. 40 Prozent sagten, dass regelmäßiger Sport bei ihnen (eher) nicht zum Alltag gehöre. Für übergewichtige Eltern ist Bewegung seltener ein fester Bestandteil des Familienalltags. Knapp die Hälfte (45 Prozent) der befragten Eltern bewegt sich täglich mindestens einmal gemeinsam mit ihren Kindern; in der Vorgängerstudie 2014 taten dies nur 35 Prozent. Die AOK unterstützt und begleitet Familien mit diversen Angeboten zur Bewegungsförderung, die sich zum Teil gezielt an Eltern wenden.
Eltern mit niedrigerem Bildungsabschluss bewegen sich zu einem größeren Anteil täglich gemeinsam mit ihren Kindern als Eltern mit höherer Bildung (54 versus 40 Prozent). 43 Prozent der Eltern mit höherem Bildungsgrad, aber nur 26 der Hauptschulabsolventen genießen gemeinsamen Sport und Bewegung als „besonders schöne Zeit in der Familie“. Rund die Hälfte der befragten Eltern treibt gar nicht gemeinsam mit ihrem Kind Sport. Dabei tut Bewegung den Kindern offenkundig gut: Kinder, die in der Schule ziemlich gut oder sehr gut zurechtkamen, bewegten sich öfter täglich gemeinsam mit ihren Eltern (44 versus 49 Prozent) als Kinder, die in der Schule nur mittelmäßig (35 Prozent), „ein wenig“ (37 Prozent) oder überhaupt nicht (39 Prozent) zurechtkamen.
Spielräume für Familien schaffen.
Die Mehrheit der befragten Eltern findet schon jetzt, dass ihr direktes Wohnumfeld ihnen bewegungsfreundliche Bedingungen bietet. Das gilt insbesondere in Bezug auf die Beleuchtung der Gehwege, fußläufige Einkaufsmöglichkeiten, eine attraktive Umgebung und Verkehrssicherheit für Fußgänger. Gleichzeitig haben Eltern klare Vorstellungen davon, wie sich das vorhandene Angebot unter dem Gesichtspunkt der Bewegungsfreundlichkeit noch ausweiten und verbessern ließe (siehe Grafik „Was Städte und Gemeinden für noch mehr Bewegung tun können“): Zentrale Wünsche sind in diesem Zusammenhang geeignete Spielplätze und Parks, Möglichkeiten für Kinder, im Freien ohne Aufsicht zu spielen, sowie gut erreichbare Sportplätze, Turnhallen und Schwimmbäder.
Ein Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) würde für 18 Prozent der Eltern in Städten und für 35 Prozent der Eltern auf dem Land ihre Kommune bewegungsfreundlicher machen. Im ländlichen Raum legen die Eltern größeren Wert auf die Verkehrssicherheit für Fußgänger, fußläufige Einkaufsmöglichkeiten sowie gute und gepflegte Bürgersteige als in der Stadt. In der Stadt sagen 27, auf dem Land 22 Prozent der Eltern, dass das Gefühl der Sicherheit vor Gewalt und Verbrechen die Kommune bewegungsfreundlicher machen würde.
Wie stark die Rahmenbedingungen
im unmittelbaren Lebensumfeld die gemeinsame Bewegung von Familien beeinflussen, war eine wichtige Erkenntnis der AOK-Familienstudie: So motivieren etwa ein durchgängiges Radwegenetz, gut erreichbare und gepflegte Spielplätze und eine attraktive Straßengestaltung Eltern, mit ihren Kindern Rad zu fahren und sich im Alltag mehr zu bewegen. Und damit Eltern mit ihren Kindern Sport treiben, müssen ihnen gut erreichbare Sportplätze zur Verfügung stehen. Fazit: Familien mit Kindern geht es gut. Jedoch brauchen viele Kinder noch mehr Bewegung. Wichtig dafür sind das Vorbild ihrer Eltern, passende Bewegungsangebote und eine bewegungsfreundliche kommunale Infrastruktur.
Die meisten Kinder in Deutschland bewegen sich viel zu wenig. Wie Familien mehr Bewegung in ihren Alltag bringen und was Kommunen tun können, erläutert Jutta Mata im Interview mit Silke Heller-Jung.
Wie beeinflusst das Gesundheitsverhalten das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit?
Wir wissen eigentlich von nichts, das sich durch körperliche Aktivität verschlechtert! Ich habe einmal mit Personen gearbeitet, die schon einmal an einer Depression erkrankt waren. Man weiß, dass 80 Prozent derjenigen, die einmal an einer klinischen Depression erkrankt sind, noch einmal daran erkranken, und dass ein ganz wichtiger Auslöser dafür Stress ist. Die Frage ist also: Wie kann man Stress reduzieren? Wenn Sie gesunde Personen Stress aussetzen, dann reagieren die gestresst. Stressen Sie sie noch einmal, fällt die negative Reaktion weniger stark aus; da findet sozusagen eine Gewöhnung statt. Personen, die schon einmal eine Depression hatten, reagieren auf jeden neuen Stress immer stärker. Wir haben dann jeweils die Hälfte der Teilnehmer aus der Gruppe mit und einer Gruppe ohne Depressionserfahrung eine Viertelstunde lang Fahrrad fahren lassen. Danach haben wir alle zweimal hintereinander gestresst, mit ganz traurigen Filmausschnitten. Die, die schon mal Depressionen hatten, aber Fahrrad gefahren waren, haben genau so reagiert wie die Gesunden: auf den ersten Stressimpuls stark, auf den zweiten schwächer.
Jutta Mata ist Professorin für Gesundheitspsychologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim.
Und die Leistungsfähigkeit?
In einer Studie mit Studenten haben wir untersucht, ob das Gesundheitsverhalten helfen kann, in sehr stressreichen Zeiten die akademische Leistung zu fördern. Teilnehmer, die gut geschlafen und Sport gemacht hatten, erzielten tatsächlich einen besseren Lernerfolg – und das nicht nur an dem jeweiligen Tag. Sie bestanden mehr Prüfungen und hatten bessere Noten.
Sport hält also auch geistig fit?
Ja, auf jeden Fall: Breit angelegte Studien haben gezeigt, dass es eigentlich nur ein Mittel gegen kognitives Altern gibt. Und das ist Sport. Wenn Sie viel Stress haben, wirkt sich das negativ auf Ihr Wohlbefinden aus. Dieser Effekt lässt sich durch Schlaf und Sport abpuffern. Das Spannende dabei ist: Auch kleine Dosen Bewegung haben einen Effekt, solche, die sich in den Alltag einbauen lassen. Wer es nicht schafft, jede Woche drei Stunden Sport zu treiben, kann in der Mittagspause zehn Minuten Spazieren gehen - auch das hat schon einen Effekt.
In Deutschland bewegen sich die meisten Kinder zu wenig. Andere Länder stehen besser da. Was machen die anders?
Viele Studien zeigen, dass weltweit nur ein Bruchteil der Kinder die WHO-Bewegungsempfehlung zu erfüllt. Viele Länder haben darum nationale Aktionspläne. Deutschland hat die Initiative „inForm“ aufgelegt. Wie sich diese Maßnahmen auf die Aktivität auswirken, gerade auch im Ländervergleich, können wir aktuell noch gar nicht wissenschaftlich fundiert beantworten. Ich kann Ihnen aber ein paar Einzelbeispiele nennen, wie Bewegung in anderen Ländern gefördert wird.
Die Kommunen müssen Strukturen schaffen, in denen es zu einer Selbstverständlichkeit wird, sich zu bewegen.
Welche?
In Dänemark etwa gab es ein Projekt, Schulhöfe attraktiver zu gestalten. Auch die Kinder durften Vorschläge einbringen. Nach dem Umbau bewegten sich auch Kinder mehr, die vorher wenig aktiv waren – das sind oft Mädchen und Kinder mit Übergewicht. In der Schweiz ist es normal, dass Kinder spätestens mit fünf Jahren allein zur Vorschule laufen. Der Schulweg ist eine gute Gelegenheit für alltägliche körperliche Aktivität. Neben dem Angebot für zusätzlichen, kostenlosen Schulsport gibt es dort auch in Ganztagsschulen viele aktive Bewegungsprogramme. Das muss ja nicht kompliziert sein. Schulhöfe und Turnhallen sind ja um diese Zeit oft ungenutzt; Spazieren gehen oder Wandern kosten nichts. Solche schulverbundenen Programme könnten auch in Deutschland eine Riesenchance sein, allen Kindern – auch denen, die Sie sonst schwer erreichen – Bewegungsangebote zu machen.
Was hat das Schlagwort Walkability mit Bewegung zu tun?
Der Begriff kommt aus den Vereinigten Staaten. Dort gibt es Vorstädte, in denen die Straßen zum Teil keine Bürgersteige haben, also nicht „laufbar“ sind. Der erweiterte Begriff der Walkability schließt auch andere Bewegungsformen wie Radfahren mit ein. Inwieweit kann ich an meinem Wohnort laufen oder Rad fahren? Wie ist der Zustand der Straßen? Fühle ich mich sicher? Wie ist die Beleuchtung? Solche Faktoren machen Walkability aus.
Was zeichnet eine bewegungsfreundliche Umgebung aus?
Grundsätzlich gibt es unterschiedliche Determinanten von körperlicher Aktivität. Es gibt individuelle Faktoren: Werte, Motivation, Wissen, Willenskraft. Dann gibt es soziale Faktoren: Da spielen Eltern, Freunde oder Vorbilder eine Rolle. Und dann gibt es Umweltfaktoren: Habe ich die Möglichkeit, mich zu bewegen? Gibt es Sportplätze? Kann ich Fahrrad fahren? Was bietet mir die Schule an? Diese drei Bereiche gehören zusammen.
Wie können Kommunen Bewegung fördern?
Verhalten ist etwas sehr Komplexes. Es gibt immer eine Wechselwirkung zwischen der Person, ihrem sozialen Umfeld und ihrer Umgebung. Sie brauchen ein sehr vielfältiges Angebot, um verschiedenen Menschen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen und Möglichkeiten Bewegungsmöglichkeiten zu schaffen. Also, für manche Zielgruppen wie Familien mit jungen Kindern kann ein sicherer Radweg einen Riesenunterschied machen; für ältere Menschen Bänke im Park. Sie müssen Strukturen schaffen, in denen es zu einer Selbstverständlichkeit wird, sich zu bewegen. Neben Radwegen und schönen Parks sind attraktive Schulhöfe, hohe „Walkability“ oder ein gutes Wanderwegenetz gute Beispiele. In dieser Richtung gibt es noch einiges zu tun.