Arzneimittel

„Fortbildungen sollten unabhängig sein“

Hohe Ausgaben für neue Medikamente belasten trotz gesetzlich verankerter Preisbremsen die Sozialkassen. Als ein Gegenmittel empfiehlt Chefarzt und Arzneimittelexperte Daniel Grandt mehr pharmaunabhängige Fortbildung.

 

Herr Professor Grandt, neue Arzneimittel sind im Durchschnitt doppelt so teuer wie alle anderen im Markt angebotenen Patent-Arzneimittel. Sind die Preise gerechtfertigt?

Daniel Grandt: Es gibt keine einfache Formel, mit der man die Angemessenheit eines Arzneimittelpreises beurteilen kann. Dass aber etwa onkologische Arzneimittel in den letzten zehn Jahren um das Zehn­fache teurer geworden sind, ist sicher nicht mit Entwicklungskosten zu erklären. Dass Deutschland die höchsten Preise für Onkologika im europäischen Vergleich zahlt, spricht doch eher dafür, dass Preise sich danach richten, was der Markt hergibt, als danach, was das Arzneimittel wert ist.

Professor Dr. Daniel Grandt ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Saarbrücken. Seit 2007 ist er Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

 

Aufgrund beschleunigter Zulassungsverfahren insbesondere auf europäischer Ebene kommen bestimmte Arzneimittel immer früher auf den Markt. Damit gibt es weniger Daten aus klinischen Studien. Birgt dies nicht Risiken?

Grandt: Ja. Mehr als die Hälfte der Orphan Drugs – Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen – wurden bis zur Zulassung an weniger als 200 Patienten untersucht. Seltene Nebenwirkungen kann man dabei nur zufällig entdecken. Wir brauchen verbindliche Auflagen zu Studien, die Risiken und Nutzen dieser Arzneimittel nach der Zulassung besser charakterisieren. Und wir brauchen auch eine erneute Bewertung des Zusatznutzens, wenn diese Ergebnisse vorliegen. Die Zulassung eines Arzneimittels für eine zunächst kleine Patientengruppe als Orphan Drug ist für Hersteller interessant: Man braucht weniger Daten, es geht schneller und man maximiert den Gewinn. Zudem wird dem Orphan Drug ohne Prüfung per Gesetz ein Zusatznutzen attestiert. Das ist nicht adäquat: Orphan Drugs sollten wie alle anderen neuen Arzneimittel einer regulären frühen Nutzenbewertung unterzogen und Hersteller verpflichtet werden, zum Zulassungszeitpunkt fehlende Daten nach Zulassung zu erheben.

Wie bewerten Sie Marketing-Aktivitäten der Pharmaindustrie gerade im Hinblick auf neue Arzneimittel?

Grandt: Es ist ein verständliches Ziel des Unternehmens, seinen Umsatz zu maximieren. Fortbildung des Arztes zur Arzneimitteltherapie durch pharmazeutische Unternehmen ist deshalb interessengesteuert und ein wichtiger Grund für nicht indizierte und unwirtschaftliche Verordnungen. Unabhängige Fortbildungen wie die der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sollten die Regel sein. Die Kassenärztlichen Vereinigungen spielen hier eine wichtige Rolle, aber auch der einzelne Arzt, der Unabhängigkeit der Veranstaltung als Auswahlkriterium mehr als bisher berücksichtigen sollte. Bessere Finanzierungsmöglichkeiten für unabhängige Fortbildungen sind ein wichtiges Thema und Signal.

Die Preise für Onkologika richten sich eher danach, was der Markt hergibt, als danach, was das Arzneimittel wert ist.

Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Nutzenbewertung sollen den Ärzten in ihrer Praxis­software bereitgestellt werden. Wirkt sich das positiv auf die Therapie aus?

Grandt: Es ist wichtig, den Arzt durch prägnante Zusammenfassung über die Beschlüsse des GBA zu informieren. Es ist auch gut, dies über das Arztinfor­mationssystem zu tun. Die Originalbeschlüsse müssen Entscheidungsgründe detailliert darlegen und sind für den Praxis­alltag untauglich. Es konterkariert aber das Ziel der besseren Evidenzbasierung therapeutischer Entscheidungen, wenn der pharmazeutische Hersteller – wie aktuell diskutiert – den Text für den Arzt mitgestalten darf. Auch sollte man die Klinikärzte nicht vergessen.

Thomas Hommel führte das Interview. Er ist Chefreporter der G+G.
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