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Vorstand gefragt!

„Mein Impetus ist ungebrochen“

Dr. Christopher Hermann, Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, verhandelt seit mehr als zehn Jahren federführend die AOK-Rabattverträge für Generika. Im Interview mit G+G-Digital zieht der 63-Jährige eine Zwischenbilanz – und macht dem Gesetzgeber Dampf.

G+G: Die Rabattverträge für Generika gibt es seit mehr als zehn Jahren. Bis heute kritisieren Industrie und Apotheker die Verträge. Sind Sie die Debatten leid oder spornt Sie der Widerstand an?

Hermann: Teils, teils. Natürlich hört man immer wieder die gleiche Leier, die gleichen Argumente, die auf den ersten Blick vielleicht sogar einleuchtend scheinen, aber einer genaueren Überprüfung nicht standhalten. Das nervt einfach. Aber auf der anderen Seite spornt mich der Erfolg der Rabattverträge stets aufs Neue an. Die Verträge erhöhen die Versorgungssicherheit, tragen zu stabilen Beitragssätzen der AOKs bei, entlasten die Patienten und sorgen dafür, dass die Gewinne der Pharmahersteller nicht völlig in den Himmel abheben. Das ist immer wieder befriedigend.

G+G: Ihr unternehmerischer Impetus ist also ungebrochen?

Hermann: Der ist ungebrochen. Die Rabattverträge zeigen ja gerade, dass Marktwirtschaft im Gesundheitswesen – wenn sie nach den richtigen Spielregeln organisiert ist – klappen kann. Die Verträge sorgen dafür, dass engagierte Unternehmen für gute Produkte einen guten Preis erzielen können, ohne dass die Beitragszahler finanziell übervorteilt werden.

G+G: Ein Vorwurf lautet, dass die Rabattverträge zu einem Konzentrationsprozess im Pharmamarkt geführt haben und Liefermonopole fördern. Stimmt das?

Hermann: Diese Nummer hat einen so langen Bart, den kann man gar nicht mehr länger ziehen, der schleift schon auf dem Boden. Richtig ist, dass sich vor den Rabattverträgen die Platzhirsche den Markt aufgeteilt hatten. Selbst der weltgrößte Generikahersteller Teva hat es damals nicht geschafft, in Deutschland Fuß zu fassen. Heute haben bei unseren Ausschreibungen auch kleine und mittelständische Unternehmen eine Chance und bekommen – wenn sie gute Angebote machen – den Zuschlag. Das macht immer wieder Spaß zu sehen.

G+G: Also keine Konzentrationsprozesse?

Hermann: Nein. Das lässt sich auch mit Zahlen belegen. Der Herfindahl-Hirschman-Index, mit dem nicht nur Wissenschaftler, sondern auch die EU-Kommission den Konzentrationsgrad in einem Markt messen, ist seit der Einführung der Rabattverträge um etwa 200 Index-Punkte gesunken und bewegt sich in einem völlig unproblematischen Bereich. Es gibt also dank der Rabattverträge mehr und nicht weniger Anbietervielfalt.

G+G: Berichte über Lieferschwierigkeiten bei einzelnen Präparaten verunsichern Patienten und Ärzte. Wäre es nicht sinnvoll, je Wirkstoff mehreren Anbietern und nicht nur einem Hersteller den Zuschlag zu geben?

Hermann: Das ist wieder eines dieser Argumente, die nur auf den ersten Blick verfangen. Zunächst muss man festhalten, dass es bei den AOK-Rabattverträgen nur sehr selten Lieferschwierigkeiten gibt. Die Quote liegt hier deutlich unter einem Prozent bezogen auf alle abgegebenen Packungen. Das liegt an entsprechenden Vertragsstrafen sowie einem obligatorischen Meldesystem, das für Transparenz sorgt. Aber selbst wenn es einmal zu Engpässen kommt, können Apotheker sofort ein anderes Generikum abgeben. Im Durchschnitt ist ein Wirkstoff von etwa 20 Herstellern lieferbar. Vereinzelte Lieferprobleme sind darum noch lange keine Versorgungsprobleme.

G+G: Sie halten also an Exklusivverträgen fest?

Hermann: Unbedingt! Gerade weil die einzelnen Hersteller besser planen können, mit welchen Absatzmengen sie zu rechnen haben, ist hier die Lieferfähigkeit höher als bei Mehrpartnermodellen. Außerdem müssen sich Patienten nicht auf Präparate von mehreren Vertragspartnern einstellen. Untersuchungen des WIdO zeigen, dass die AOK-Rabattverträge insgesamt zu deutlich weniger Medikamentenwechseln führen. Das gibt Patienten zusätzlich Sicherheit.

G+G: Ist die Sorge um Lieferengpässe also unberechtigt?

Hermann: Bei den AOK-Rabattverträgen ist das so, hier muss sich niemand Sorgen machen. Ganz anders sieht es im Krankenhausbereich aus, der allerdings nichts mit unseren Rabattverträgen zu tun hat. Im stationären Sektor kommt es immer wieder zu Lieferengpässen, etwa bei Krebspräparaten, und in der Folge zu ernsthaften Versorgungsproblemen.

G+G: Warum?

Hermann: Weil hier völlige Intransparenz über Schwierigkeiten in der Lieferkette und die im Markt tatsächlich vorhandenen Mengen eines Präparates herrscht. Hat der Hersteller, der die Klinikapotheke direkt beliefert, gerade Lieferschwierigkeiten? Können Lieferprobleme mit Lagerbeständen der Kliniken überbrückt werden oder zieht ein Versorgungsproblem auf? Jede Klinik im Bundesgebiet beschäftigt sich täglich mit diesen Fragen. Die Hersteller scheuen dagegen jede Transparenz.

G+G: Die Gesundheitsminister der Länder möchten prüfen lassen, inwieweit die Notwendigkeit gesetzlicher Änderungen oder anderer Maßnahmen besteht, um Lieferengpässen entgegenzuwirken. Was erwarten Sie vom Gesetzgeber?

Hermann: Weil es im stationären Bereich zu echten Versorgungsengpässen kommt, darf die Politik nicht länger auf Freiwilligkeit seitens der Pharmabranche setzen, sondern muss klare gesetzliche Meldepflichten für drohende und eingetretene Lieferausfälle schaffen. Dann könnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Lieferschwierigkeiten, die sich zu Versorgungsengpässen auswachsen können, frühzeitig erkennen und Ärzten und Klinikapotheken entsprechende Hinweise geben, also hilfreich steuernd eingreifen. Um die Wirkung eines Lieferausfalls auf die Versorgung bewerten zu können, ist die Vorratshaltung innerhalb der gesamten Lieferkette nachprüfbar zu erfassen.

G+G: Zum Schluss: Sie haben als Verhandlungsführer für die AOK bei den Rabattverträgen schon viele Schlachten geschlagen. Hat sich der Einsatz gelohnt?

Hermann: Aber natürlich! Die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt hat seit Einführung der Rabattverträge rund 20 Milliarden Euro eingespart, allein im Jahr 2017 waren es vier Milliarden Euro. Der Löwenanteil davon entfällt auf die AOKs. Dieses Geld können wir an anderer Stelle sinnvoll für noch bessere Versorgung einsetzen und davon profitieren letztlich alle Patienten.

Hans-Bernhard Henkel-Hoving führte das Interview. Er ist Chefredakteur der G+G.
Bildnachweis: AOK Baden-Württemberg