Die Steuerung der Versorgung krankt an mangelnder Zielgenauigkeit und unzureichender Abstimmung der Instrumente.
Gutachten

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Klinikbetten und Praxissitze verteilen, Patienten lenken – die Gesundheitsweisen beschäftigen sich im jüngsten Gutachten mit Steuerungsfragen. In ihren Antworten dominieren Elemente zentraler Plan- und Kollektivwirtschaft, kritisiert Prof. Dr. Klaus Jacobs.

Anfang Juli 2018

hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen sein zwanzigstes Gutachten vorgelegt. Das Thema „Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung“ ist gut gewählt, denn mit dem gezielten Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung geht es nicht wirklich voran.

Speziell die starren Grenzen zwischen Versorgungssektoren und Gesundheitsberufen führen ohne eine auf die Patienten bezogene organisatorische und finanzielle Gesamtverantwortung zu zahlreichen Schnittstellenproblemen: zwischen der primär- und fachärztlichen Versorgung, der ambulanten und stationären, der präventiven, kurativen und rehabilitativen, der medizinischen und pflegerischen und so fort.

Obwohl längst feststeht, was besser gemacht werden müsste, gelingt es – wenn überhaupt – nur im Schneckentempo und mit allergrößten Mühen, die vielfältigen Schnittstellenprobleme im Versorgungsalltag zu reduzieren, wenn nicht gar abzubauen. Hierfür macht der Sachverständigenrat Gesundheit Steuerungsdefizite verantwortlich, und zwar sowohl in Bezug auf die Steuerung des Versorgungsangebots als auch auf dessen Inanspruchnahme durch die Patienten.

Eine Analyse, welche Steuerungskonzepte in Bezug auf welche Versorgungsaufgaben besonders geeignet sind und welche eher nicht, nimmt der Rat aber nicht vor. Dabei erscheint es unmittelbar plausibel, dass zum Beispiel zum Abbau von Überversorgung in Ballungszentren ein anderes Instrumentarium zweckmäßig ist als zur Verhinderung von Unterversorgung auf dem Land.

Konzepte sind inkonsistent.

Die Steuerung der Versorgung krankt aber nicht nur an der mangelnden Zielgenauigkeit einzelner Instrumente, weil sie etwa regionale Spezifika nicht genügend berücksichtigen. Problematisch ist auch die Inkonsistenz unterschiedlicher Steuerungskonzepte, wenn diese nebeneinander eingesetzt werden.

So haben Ansätze zur vertragswettbewerblichen Steuerung durch Selektivverträge ihr Potenzial zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung noch zu keiner Zeit ausschöpfen können. Denn sie werden in ihrer Wirkung durch die unverminderte Dominanz zentraler Plan- und Kollektivwirtschaft beeinträchtigt.

Bedarfsgerechtigkeit kaum zu erreichen.

Daran würde sich allerdings auch in Zukunft nichts ändern, sollte den Vorschlägen des Sachverständigenrats gefolgt werden. Der Rat will nämlich das bereits sektoral – also innerhalb der ambulanten und der stationären Versorgung – zur Vermeidung von Über- und Unterversorgung erkennbar nur begrenzt wirksame System der planungsbasierten Zulassung von Leistungserbringern mit Kontrahierungszwang für alle Krankenkassen auch auf die sektorenübergreifende Versorgung übertragen. Eine maßgebliche Rolle würden dabei Gremien auf Landesebene spielen, die ähnlich wie der Gemeinsame Bundeszuschuss zusammengesetzt sein sollen.

Beim gezielten Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung geht es nicht wirklich voran.

Wer so etwas vorschlägt, muss ein beachtliches Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit von zentraler Planwirtschaft und gemeinsamer Selbstverwaltung haben. Anders gesagt: So dürfte das mit mehr Bedarfsgerechtigkeit der Patientenversorgung aller Voraussicht nach kaum etwas werden.

Wettbewerb zur Steuerung nutzen.

Enttäuschend ist vor allem, dass sich der Rat nicht sehr viel stärker mit den Erfolgsbedingungen von vertragswettbewerblichem Versorgungshandeln befasst. Zur Umsetzung der Ergebnisse der sektorenübergreifenden Versorgungsplanung werden wettbewerbliche Ansätze nicht einmal optional diskutiert – zum Beispiel in bewusster Abgrenzung zum Reformmodell des Rats für die Notfallversorgung, die weithin unstrittig als wettbewerblicher Ausnahmebereich gilt.

Das ist schon deshalb unverständlich, weil seit mehr als drei Jahren in der Debatte zum Risikostrukturausgleich, dem zentralen Schlüssel zur Verteilung der Finanzmittel des Gesundheitsfonds an die Kassen, lebhaft über faire Bedingungen des Kassenwettbewerbs gestritten wird, aber viel zu wenig über sinnvolle Wettbewerbsinhalte. Eine bessere Steilvorlage, um den Kassenwettbewerb zur gezielten Steuerung der Versorgung zu nutzen, hätte der Rat gar nicht bekommen können. Schade, dass er diese Gelegenheit ausgelassen hat.

Rat weicht von früheren Positionen ab.

Vielleicht zählt der Rat mittlerweile aber selbst zu den Wettbewerbsskeptikern, nachdem sein wiederholtes Eintreten für eine stärkere Wettbewerbsorientierung in der Vergangenheit in der Gesundheitspolitik wenig Resonanz gefunden hat. Darauf deuten zumindest einige Aussagen im Gutachten hin, die von früheren Positionen der Gesundheits-Sachverständigen abweichen.

So heißt es zum Beispiel, dass die Verpflichtung der Kassen, ihren Versicherten ein flächendeckendes Angebot zur hausarztzentrierten Versorgung zu machen, zur Förderung des selektiven Vertragswettbewerbs gedient habe. Dabei hat zumindest die heutige Ausgestaltung der hausarztzentrierten Versorgung mit dem Charakter von Selektivverträgen nicht mehr viel gemein.

An anderer Stelle sieht der Rat eine „gewisse Berechtigung“ für die finanzielle Förderung sektorenübergreifender Versorgungskonzepte mithilfe des Innovationsfonds, „trotz einiger ordnungspolitischer Bedenken gegenüber diesem Instrument“. Auch in dieser Frage hatte das Votum zugunsten einer dezidiert wettbewerblich ausgestalteten Innovationsförderung schon einmal entschiedener geklungen.

Privatversicherung bleibt außen vor.

Ein letzter Punkt: Sachlich nicht begründbar erscheint, dass sich der Sachverständigenrat in seinem fast 800 Seiten starken Gutachten so gut wie gar nicht mit der Gesundheitsversorgung der Privatversicherten befasst.

Das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen zum Download:

 Langfassung

 Kurzfassung
 

Die Verlagsfassung des SVR-Gutachtens 2018 folgt demnächst bei der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft.

Allein die Tatsache, dass ein nicht geringer Teil davon über das Beihilfesystem der Beamten und Pensionäre aus Steuermitteln finanziert wird, dürfte ein öffentliches Interesse hieran begründen. Vor allem aber wird gerade dem Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, nicht zuletzt wegen unterschiedlicher Honorarsysteme, eine Reihe von unmittelbar steuerungsrelevanten Effekten zugeschrieben, etwa auf die räumliche Verteilung von Ärzten oder deren zeitliche Verfügbarkeit (Stichwort: Wartezeiten).

Dass maßgebliche Teile der Politik – einschließlich der Partei des amtierenden Gesundheitsministers – dieses Thema am liebsten totschweigen möchten, ist bekannt. Das darf aber kein Maßstab für Wissenschaftler sein, wenn sie den Anspruch auf Unabhängigkeit nicht riskieren wollen.

Mehr Koordination – auch in der Analyse.

In der langen Reihe von Gutachten des Sachverständigenrats zählt das aktuelle sicher nicht zu den stärksten. Auch in früheren Gutachten haben einzelne Kapitel manchmal weithin unverbunden nebeneinander gestanden, als seien es eigenständige Ausarbeitungen. Gerade beim Thema der Versorgungssteuerung hätte sich so etwas wegen der Interdependenz unterschiedlicher Steuerungsansätze und der Notwendigkeit der hinreichenden Konsistenz der eingesetzten Instrumente aber von vornherein verbieten müssen.

Deshalb drängt sich ein Kalauer geradezu auf, der zum Abschluss erlaubt sein muss: Nicht nur in der Versorgung ist unzureichende Koordination von Nachteil, sondern auch beim Einsatz von unterschiedlichen Steuerungsinstrumenten sowie bei der wissenschaftlichen Analyse dieser Thematik.

Klaus Jacobs ist Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
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