Interview

„Prävention führt ein Schattendasein“

In der Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist Deutschland Spitze, sagt Prof. Dr. Thomas Münzel. Der Kardiologe sieht jedoch Defizite in der Prävention. Die von ihm ins Leben gerufene Stiftung Mainzer Herz will das ändern.

Herr Professor Münzel, wie steht es um die Herzgesundheit in Deutschland?

Thomas Münzel: Nach wie vor sind 40 bis 50 Prozent aller Todesfälle auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen. Die gute Nachricht ist, dass sich die Lebenserwartung in Deutschland von 1980 bis 2000 um fast sechs Jahre erhöht hat, wovon vier Jahre allein auf eine bessere Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückgehen. Aber wir sind Europameister im Übergewicht, und auch viele Kinder bewegen sich zu wenig und sind zu dick. Diese Entwicklung macht uns Sorgen. Hierzulande stehen hochtechnisierte Therapien sowohl in der Kardiologie als auch in der Herzchirurgie zur Verfügung, aber die Prävention führt ein Schattendasein – wir liegen dabei europaweit im mittleren Drittel.

Portrait Thomas Münzel

Zur Person

Prof. Dr. Thomas Münzel leitet die Klinik für Kardiologie I am Universitätsklinikum Mainz und ist Initiator der Stiftung Mainzer Herz.

Die Stiftung Mainzer Herz setzt sich seit mehr als zehn Jahren für die Herzgesundheit ein. Wen erreichen Sie?

Münzel: Wir informieren Erwachsene über Möglichkeiten der Prävention, organisieren eine Kinderakademie Gesundheit und fördern die Forschung. Wir bringen Menschen Wiederbelebung bei, beispielsweise mehreren hundert Mitarbeitern einer Mainzer Bank und rund 1.400 Kindern pro Jahr im Rahmen der Kinderakademie. In Deutschland ist Wiederbelebung im Gegensatz zu den nordischen Ländern kein Schulpflichtfach. Für Rheinland-Pfalz hat diese Aufgabe die Stiftung Mainzer Herz übernommen: Wir unterrichten pro Jahr 50 Schulklassen in Wiederbelebung. Hierzulande wissen von zehn Menschen nur ein bis zwei, wie man jemanden bei Herzstillstand wiederbelebt. In den nordischen Ländern sind es sieben bis acht. Wenn vier Menschen mit Herzstillstand richtig wiederbelebt werden, lässt sich ein Leben retten. Die Stiftung finanziert außerdem Stationsleitungskurse und Weiterbildungen für Schwestern und Pfleger.

Sie erforschen mit Mitteln der Stiftung, wie Fluglärm auf die Gesundheit wirkt. Warum und mit welchen Ergebnissen?

Münzel: Studien zeigen, dass Fluglärm krank macht. Dabei dominieren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen, aber auch Depression und Angststörungen. 2011 sind wir mit einer Studie, die Nachtfluglärm simuliert, in die Forschung eingestiegen. Dabei haben wir festgestellt, dass schon eine Nacht Fluglärm nachweisbare Gefäßschäden – endotheliale Dysfunktion – auslöst. Der lärminduzierte Gefäßschaden konnte durch die Akut-Gabe von Vitamin C deutlich verbessert werden. Wie bei Diabetes, hohem Blutdruck, bei Rauchern oder hohem Cholesterinspiegel ist die Endothelfunktion und damit die flussabhängige Erweiterung der Blutgefäße durch erhöhten oxidativen Stress in den Gefäßen eingeschränkt.

Viele Kinder bewegen sich zu wenig und sind zu dick. Diese Entwicklung macht uns Sorgen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Kinderakademie. Was hat sie zu bieten?

Münzel: Wir bieten vier bis fünf Stunden Programm für Zwölf- bis 13-Jährige. Die Dozenten sind Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende. Ich selbst spreche über das Rauchen. Manche Kinder glauben beispielsweise, dass Shisha-Rauchen gesünder ist als Zigarettenkonsum. Ich mache ihnen klar, dass 20 bis 30 Minuten Shisha-Rauchen genauso giftig ist wie das Rauchen von 100 Zigaretten. Wir haben ein begehbares Herzmodell und Lungenfunktionstests mit eingebautem Widerstand, die verdeutlichen, wie das Rauchen die Lunge schädigt. Wir unterrichten bis zu 1.300 Kinder pro Jahr. An den Kosten beteiligen sich die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland, Mainz 05 hilft und die Organisation Together with Friends.

 

Änne Töpfer stellte die Fragen. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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