„Die Steinzeit muss ein Ende haben“
Mehr Nutzer, mehr Partner, mehr Gesundheitskompetenz – die AOK Nordost will ihre Pilotprojekte zur digitalen Vernetzung konsequent ausbauen. Vorstand Frank Michalak (62) treibt das Thema auch aus persönlicher Überzeugung voran.
G+G: Herr Michalak, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich die Digitalisierung des Gesundheitswesens auf die Fahne geschrieben. Wird es diesmal wirklich etwas mit der elektronischen Gesundheitskarte?
Frank Michalak: Ich hoffe nicht so, wie es seit 15 Jahren geplant wurde! Die elektronische Gesundheitskarte ist in der bisher geplanten Form technisch einfach überholt. Ich setze deshalb darauf, dass die Gesetzesinitiativen von Herrn Spahn zu einer echten Digitalisierungswelle im Gesundheitswesen führen, inklusive einer elektronischen Patientenakte, die ja ab Januar 2021 alle Krankenkassen ihren Versicherten anbieten sollen. Zeitlich gesehen ist das zwar durchaus eine Herausforderung, die wir stemmen müssen, aber die AOK Nordost und das AOK-System insgesamt sind hier mit der Entwicklung für ein „Digitales Gesundheitsnetzwerk“ bereits auf dem Weg.
G+G: Passen denn die Konzepte der AOK zu den Vorstellungen der Politik?
Michalak: Kassen und Leistungserbringer haben sich mittlerweile auf übergreifende technische Standards geeinigt und der Politik entsprechende Eckpunkte vorgelegt. Ich denke das ist es auch, was die Politik erwartet, anhand der tatsächlichen Bedarfe praxisorientierte Lösungen zu entwickeln. Genau das tun wir. Entscheidend ist hierbei, Konzepte zu nutzen, die sich an übergreifenden Standards orientieren. Mit Blick auf die Entwicklung digitaler Anwendungen halte ich es für enorm wichtig, dass sich alle – Leistungserbringer, Software-Industrie und Kassen – auf ein Zielbild und Standards einstellen. Wir wollen ja schließlich keinen Wettbewerb um technische Normen, sondern um Anwendungen, von denen insbesondere Patienten und Versicherte profitieren.
G+G: In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sind vor wenigen Monaten bereits zwei digitale Modellprojekte der AOK Nordost an den Start gegangen. Wie geht es hier weiter?
Michalak: Beide Modellprojekte – in Berlin mit den Kliniken Vivantes und Sana und in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Ärztenetz HaffNet, der Kassenärztlichen Vereinigung sowie den Ameos-Kliniken – haben schon jetzt gezeigt: Das, was wir uns unter elektronischer Vernetzung vorstellen, funktioniert. Doch dabei wollen wir nicht stehen bleiben. Jetzt gilt es, das Ganze auszubauen und PS auf die Straße zu bringen. Wir sind darum im Gespräch mit unseren jetzigen und möglichen weiteren Partnern, wie wir die Projekte ausdehnen können. Wir wollen aber auch den stationären und den ambulanten Sektor stärker verzahnen und auch aufzeigen, dass Vernetzung ein Thema für alle Akteure ist. Und wir werden gemeinsam mit einem anderen großen Partner aus der gesetzlichen Krankenversicherung das Modellprojekt weiter ausbauen und damit zeigen, dass wir flexibel agieren können und es keine prinzipiellen Grenzen zwischen Krankenkassen gibt.
G+G: Und in Mecklenburg-Vorpommern?
Michalak: Hier gilt das Gleiche wie für Berlin: Je mehr Patienten mitmachen, je mehr Arztpraxen dabei sind, desto eher wird Digitalisierung Alltag für Patienten, Medizinische Fachangestellte und Ärzte. Das HaffNet und die Ameos-Kliniken sind hier hervorragende Partner, mit denen wir gemeinsam lernen und uns gemeinsam weiterentwickeln.
G+G: Der Umgang mit digitalen Angeboten will gelernt sein. Wie wollen Sie Versicherte und Vertragspartner mitnehmen?
Michalak: Es reicht in der Tat nicht, nur eine digitale Akte über den virtuellen Zaun zu werfen und zu sagen: Nun kommt mal damit zurecht, liebe Kunden und liebe Kliniken und Ärzte. Deshalb wollen wir – und darauf achtet beispielsweise auch unser Verwaltungsrat stark – Versicherte und Vertragspartner intensiver noch als bisher über unsere digitalen Angebote informieren. Dazu gehören perspektivisch neben Erklärvideos und Wissens-Rubriken im Netz auch Schulungsangebote und der persönliche Austausch. Wir erhoffen uns davon auch kritisches Feedback.
G+G: Haben Sie ein Beispiel parat?
Michalak: In unserem Projekt in Mecklenburg-Vorpommern haben uns die teilnehmenden Ärzte zurückgemeldet, dass viele – gerade auch ältere – Patienten kein mobiles Telefon bei sich führen. Das war bis dahin aber für den Anmeldeprozess wichtig. Nach dieser Erkenntnis haben wir den Prozess so geändert, dass Patienten sich nun auch direkt vor Ort ohne Mobiltelefon bereit erklären können, mitzumachen.
G+G: Ein weiteres Zukunftsthema ist Künstliche Intelligenz, kurz KI. Gilt das auch für die AOK Nordost?
Michalak: Ja, klar. Wir beschäftigten uns intensiv mit Chancen und Risiken von KI in der Gesundheitsversorgung und kooperieren mit Forschungseinrichtungen wie dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, dem Hasso-Plattner-Institut sowie dem Einstein-Zentrum für „Digitale Zukunft“. Spannende Perspektiven für den Einsatz von KI beobachten wir auch bei Start-ups, die innovative Lösungen für die Versorgung entwickeln. Zum anderen setzen wir seit kurzem Algorithmen ein, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Prüfung von Rechnungen unterstützen. Mithilfe von KI können wir künftig leichter als bisher feststellen, wo etwa bei Krankenhaus- oder Hilfsmittelrechnungen Auffälligkeiten zutage treten, denen wir nachgehen sollten.
G+G: Hört sich so an, als ob weniger Mitarbeiter mehr Arbeit bewältigen könnten.
Michalak: Das ist ein Aspekt, der angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels immer wichtiger wird. Bis 2025 gehen bei der AOK Nordost von derzeit 5.600 Beschäftigten rund 1.300 in ihren wohlverdienten Ruhestand. Diese Abgänge lassen sich über das vorhandene Arbeitskräftepotenzial in der Region nicht kompensieren. Gerade im Massengeschäft ist es deshalb sinnvoll, die Kolleginnen und Kollegen möglichst effizient mit moderner Technik so zu unterstützen, dass Routineaufgaben anders erledigt werden und damit genug Kapazität für die anspruchsvollen Aufgaben bleibt.
G+G: Noch einmal zurück zum Stichwort Schulung: Der Berliner Gesundheitspreis der AOK Nordost, der Ärztekammer Berlin und des AOK-Bundesverbandes dreht sich 2019 um das Thema Gesundheitskompetenz. Was erhoffen Sie sich von diesem Ideenwettbewerb mit Blick auf die Digitalisierung?
Michalak: Der Berliner Gesundheitspreis hat immer wieder innovative Ansätze ausgezeichnet, die sich hinterher im Echteinsatz super bewährt haben. Ich erinnere nur an das Wettbewerbs-Thema Patientensicherheit, das letztlich den Startschuss für das Aktionsbündnis Patientensicherheit gegeben hat. Und genau das erhoffe ich mir auch diesmal von dem Preis: Gute Ideen für mehr Gesundheitskompetenz, die wir in die Praxis umsetzen können, gerne auch mit digitaler Geschwindigkeit.
G+G: Zum Schluss: Wie ist es denn um Ihre ganz persönliche digitale Gesundheitskompetenz bestellt? Nutzen Sie schon eine Gesundheits-App?
Michalak: Ich nutze schon länger die FitMit-App, das digitale Bonusheft der AOK, das gesundheitsbezogene Aktivitäten belohnt. Aber ich war in diesem Jahr auch erkrankt und habe mir darum auf meinem privaten Rechner eine eigene digitale Patientenakte gebastelt, damit ich alle Befunde, Laborwerte und Verordnungen bei Arztbesuchen immer parat hatte. Das ist natürlich keine gute Lösung. Und deswegen ist es auch mein ganz persönliches Anliegen, dass ab 2021 jeder Patient eine professionelle elektronische Patientenakte nutzen kann. Die digitale Steinzeit im deutschen Gesundheitswesen muss einfach ein Ende haben!