Interview

„In meinem Job sind dicke Bretter zu bohren“

Arzneimittel-Kontrolle, ländliche Versorgung, Finanzierung der Pflege: Die Agenda von Brandenburgs Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij ist groß. Bange ist ihr angesichts der zahlreichen Herausforderungen aber nicht.

Frau Karawanskij, Sie haben im September 2018 ein Superministerium in Brandenburg übernommen. Als Landesministerin zeichnen Sie für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie verantwortlich. Obendrein müssen Sie einen handfesten Arzneimittel-Skandal aufarbeiten, den Sie von Ihrer Vorgängerin geerbt haben. Warum tun Sie sich das an?

Susanna Karawanskij: Seit meiner Jugend bin ich ein politischer Mensch. Die Möglichkeit, etwas mitzugestalten und nach vorne zu bringen, reizt mich. Das Spannende an meinem Ressort ist, dass man unglaublich viele Dinge bewegen kann, die die Menschen ganz unmittelbar betreffen und die miteinander zusammenhängen. Sie dürfen das nicht als isolierte Säulen verstehen. Wenn man zum Beispiel Armut bekämpft, dann tut man auch etwas dafür, dass Kinder gesünder aufwachsen können.

Und der Skandal um möglicherweise gestohlene Krebsmedikamente aus Griechenland – empfinden Sie den mehr als Hypothek oder als Chance?

Karawanskij: Beides. Natürlich haben die Vorfälle für Verunsicherung in der Bevölkerung, im Ministerium und in den nachgeordneten Landesbehörden gesorgt. Viele fragen sich: Was passiert jetzt? Darin besteht wiederum die Chance, deutlich zu machen, dass wir in den vergangenen Monaten ein ganzes Stück vorangekommen sind in der Aufarbeitung des Skandals.

Wo genau?

Karawanskij: Wir haben der Firma Lunapharm die Erlaubnis zur Herstellung von Arzneimitteln und zum Handel damit untersagt. Mit Blick auf die Arzneimittelaufsicht haben wir die personellen Kapazitäten deutlich erhöht. Und wir haben für mehr Transparenz bei all dem gesorgt.

Es sollten zwölf neue Arzneimittelinspektoren im zuständigen Landesamt und im Ministerium eingestellt werden. Das ist aber noch nicht geschehen, oder?

Karawanskij: Wir gehen Schritt für Schritt. Der Fachkräftemangel macht eben auch vor Ministerien und Behörden nicht Halt. Es gibt auf dem Arbeitsmarkt momentan nicht genügend Arzneimittelinspektoren. Daher haben wir uns entschlossen, unsere Apotheker entsprechend weiterzubilden. Zudem erhalten wir Amtshilfe aus anderen Bundesländern, um die notwendigen Inspektionen durchzuführen. Darin besteht übrigens eine weitere Chance. Im Zuge des Skandals hat ein Umdenken in den Bundesländern stattgefunden. Auch dort wurden Aufsichten überprüft und personelle Kapazitäten aufgestockt.

„Die Möglichkeit, etwas mitzugestalten und nach vorne zu bringen, reizt mich.”

Der Bund eilt Ihnen ebenfalls zur Hilfe. Die Große Koalition will mit einer weiteren Reform Überwachung und Kontrolle von Arzneimitteln stärken und im Zuge dessen auch die Befugnisse des Bundes ausweiten. Ein guter Plan?

Karawanskij: Ich bin froh darüber, dass der Ruf nach einer stärkeren Vernetzung der Arzneimittelkontrolle auch auf der Bundesebene seinen Widerhall gefunden hat. In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe arbeiten wir daran, uns da noch besser aufzustellen. Aber klar ist: Die Arzneimittelaufsicht obliegt den Ländern.

Auch die Krankenhausplanung ist Sache der Länder. Brandenburg und Berlin wollen mit einer gemeinsamen Klinikplanung Geschichte in Deutschland schreiben.

Karawanskij: Unser Ziel ist es in der Tat, dass beide Länder im Jahr 2020 zeitgleich ihre jeweiligen Krankenhauspläne auf der Grundlage gemeinsamer Versorgungsziele und gemeinsamer Planungsgrundsätze beschließen. Davon profitiert die dicht besiedelte Hauptstadtregion genauso wie ländliche und dünn besiedelte Landesteile in Brandenburg. Das übergreifende Ziel bleibt eine bedarfsgerechte, flächendeckende und für alle Patientinnen und Patienten gut erreichbare medizinische Versorgung.

Sollte die Zahl an Klinikstandorten nicht stärker entlang der Richtschnur Qualität festgelegt werden?

Karawanskij: Ich sehe das als gleichwertig an. Wohnortnah geht nicht ohne Qualität. Andersrum geht es aber auch nicht. Wir müssen es vom Patienten und der Bevölkerung her betrachen. Keine Klinik wird sich am Markt halten, wenn ihre Leistungen nicht den Qualitätsstandards genügen. Die Frage ist aber: Macht man harte Kanten und setzt eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses eins zu eins um? Oder zieht man regionale und lokale Besonderheiten mit in Betracht und ermöglicht eventuell Ausnahmen? Ich halte Letzteres für zielführend.

Sie spielen auf die planungsrelevanten Qualitätsindikatoren für bestimmte Eingriffe an, die der Gemeinsame Bundesausschuss vorgibt, die aber manche Länder nicht umsetzen?

Karawanskij: Brandenburg nimmt die Vorgaben ernst. Wir schauen uns dazu jeden der 54 Krankenhausstandorte im Land genau an. Die Gretchenfrage lautet dann: Wie lässt sich das alles so planen, dass wir am Ende eine wohnortnahe, bedarfsgerechte und hochwertige Versorgung in der Fläche sicherstellen können und uns nicht irgendwann die Luft wegbleibt? Denn dafür müsste die Landesregierung und nicht der Gemeinsame Bundesausschuss in Berlin den Kopf hinhalten.

„Das übergreifende Ziel bleibt eine bedarfsgerechte, flächendeckende und für alle Patientinnen und Patienten gut erreichbare medizinische Versorgung.”

Es bleibt demnach bei den 54 Standorten in Brandenburg?

Karawanskij: Ja. Wobei ich hinzufügen möchte, dass ich die Forderung der Krankenkassen nach einer Weiterentwicklung von Landkrankenhäusern der Grundversorgung zu ambulant-stationären Gesundheitszentren ausdrücklich unterstütze. Das ist sogar die erklärte Strategie Brandenburgs. Das Projekt der Strukturmigration im Mittelbereich Templin, kurz StimMT, macht vor, wie eine sektorenübergreifende medizinisch-pflegerische Versorgung auf dem Land funktionieren kann. Das ist ein Leuchtturm, der über die Landesgrenzen hinaus strahlt.

Sie nannten die Pflege. Viele junge Menschen finden den Beruf wichtig. Ergreifen wollen sie ihn aber nicht. Was ist zu tun?

Karawanskij: Die Pflege genießt große gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Aber sie ist oft negativ konnotiert nach dem Motto: Oh je, was soll nur werden? Wir müssen deutlich machen: Das ist ein toller Beruf. Ein Hebel ist die generalisierte Ausbildung ab 2020. Sie eröffnet den Absolventen die Chance, unter mehreren Einsatzfeldern zu wählen. Das ist jetzt konkret auszugestalten. Hier wünsche ich mir mehr Tempo vom Bund. Aber es ist wie bei vielen Themen in meinem Job: Wir müssen dicke Bretter bohren.

Gilt das auch für die Debatte, wie die Pflegeversicherung angesichts steigender Bedarfe und Kosten künftig zu finanzieren ist?

Karawanskij: Unbedingt. Aus der Pflegeversicherung muss eine Versicherung werden, die das steigende Kostenrisiko nicht allein auf die Betroffenen abwälzt. Brandenburg und Thüringen haben schon im Juli 2018 eine entsprechende Forderung im Bundesrat eingebracht. Und ich wundere mich, dass der Hamburger Senat erst jetzt aktiv wird und uns damals nicht schon unterstützt hat. Eine Kurskorrektur in der Pflegefinanzierung ist überfällig.

Thomas Hommel führte das Gespräch. Er ist Chefreporter der G+G.
Marc-Steffen Unger ist Fotojournalist in Berlin.