Analyse

Pflegekammer als starke Klammer?

Sie haben eifrige Verfechter, aber auch vehemente Gegner: Pflegekammern. Die einen versprechen sich davon die Stärkung des Pflegeberufs, die anderen befürchten ein bürokratisches Monster. Was Pflegekammern leisten können und was nicht, beleuchtet Dr. Antje Schwinger – auch mit Blick ins europäische Ausland.

Seit der Bundestagswahl 2017 stehen die Arbeitsbedingungen in der Pflege auf der politischen Agenda. Der Fachkräftemangel indes ist nicht neu. Schon seit Langem machen Pflegekräfte und ihre Interessenvertretungen auf die Situation aufmerksam. Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und das Ansehen des Pflegeberufs zu erhöhen, fordern Teile von ihnen, Pflegekammern einzurichten. In drei Bundesländern – Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen – gibt es sie bereits. In Baden-Württemberg sowie in Nordrhein-Westfalen ist die Entscheidung für die Errichtung einer Pflegekammer gefallen. Parallel zu den Entwicklungen auf Länderebene haben der Deutsche Pflegerat und die Pflegekammer Rheinland-Pfalz Ende 2017 die Gründungskonferenz für die Errichtung einer Bundespflegekammer ins Leben gerufen (siehe Übersicht „Pflegekammern: Wie der Stand in den Ländern ist“).

Aufgaben nicht frei definierbar.

Pflegekammern sind also auf dem Vormarsch. Unumstritten sind sie aber nicht. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob Kammern das Image des Pflegeberufs verbessern können, sondern auch um deren Aufgaben. Diese sind nicht beliebig definierbar, sondern beschränken sich auf Gebiete, die der Regelungskompetenz der Länder unterliegen, nämlich Aspekte der Berufsausübung – nicht der Berufszulassung.

Konkret umfasst dies die Definition von Berufsordnungen und -pflichten, die mit der Erlaubnis einhergehen, die Berufsbezeichnung zu tragen. Zu unterscheiden sind allgemeine Berufspflichten, beispielsweise die gewissenhafte Berufsausübung, Schweige- und Dokumentationspflicht, Qualitätsentwicklung und -sicherung, sowie besondere Berufspflichten, zum Beispiel zur Fortbildung.

Die Berufsaufsicht dient der Einhaltung der Berufsregeln (also der Berufsordnungen). Um eventuelle Pflichtverletzungen ahnden zu können, ist eine Gerichtsbarkeit erforderlich. Mit der Berufsaufsicht geht die Registrierung der Pflegekräfte in einem Berufsregister einher.

Antje Schwinger im Interview:

Die Kammer hat ferner die Aufgabe, das Berufsverständnis weiterzuentwickeln und damit einhergehend die Fort- und Weiterbildung entsprechend zu gestalten. Zuletzt vertritt die Kammer auch die Interessen der Berufsgruppe. Vermengt wird unter dem Begriff Interessenvertretung jedoch häufig die formale Einbindung der Berufsgruppe in das korporatistische Gesundheitswesen – das heißt maßgeblich in den Gemeinsamen Bundesauschuss (GBA), dem zentralen Gremium des deutschen Gesundheitswesens – einerseits und andererseits die allgemeine Interessenvertretung, die den Einfluss auf politische und weitere gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse meint.

Evaluation erst in mehreren Jahren möglich.

Exemplarisch für den Diskurs zwischen Befürwortern und Gegnern von Pflegekammern stehen die Positionen des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) auf der einen Seite sowie die der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf der anderen Seite.

Kammerbefürworter wie der DBfK argumentieren, dass die Einbindung der Berufsgruppe in die Weiterentwicklung und Aufsicht des Berufs die Qualität der Pflege verbessere. Gleichzeitig werde hierdurch die Professionalisierung und damit einhergehend die Ausweitung pflegerischer Aufgaben und Verantwortung beschleunigt und das Ansehen des Berufs erhöht. Im Kern setzen die Kammerbefürworter die Interessen des Berufsstandes gleich mit gesamtgesellschaftlichen Interessen.

Die Kammergegner wie ver.di hingegen lehnen die Übertragung von aus ihrer Sicht gesamtgesellschaftlichen Aufgaben an die Berufsgruppe ab. Die Festlegung von Standards und Bildungsinhalten wie auch die Berufsgerichtsbarkeit sei besser in staatlichen Händen beziehungsweise bei der Justiz aufgehoben.

  • Martini, M. (2014): Die Pflegekammer – verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit und rechtliche Grenzen. Dunker und Humblot, Berlin.
  • Robert Bosch Stiftung (2013): Gesundheitsberufe neu denken, Gesundheitsberufe neu regeln. Grundsätze und Perspektiven. Robert Bosch Stiftung, Stuttgart.
  • Schwinger, A. (2016): Zum Wohle der Gesellschaft? Ein internationaler Vergleich von Ausgestaltung und Wirkung der berufsständischen Selbstverwaltung von Pflegekräften.
  • Schwinger, A. (2018): Die Bundespflegekammer als Interessenvertretung der Pflege – zu hohe Erwartungen? In Rebschläger et al. BARMER Gesundheitswesen aktuell 2018. 37 Grad Analyse & Beratung GmbH, Köln, Seite 30–45.
  • Rechtsgutachten zur verfassungsrechtlichen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses

Ob hiesige Pflegekammern die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen können, ist ungewiss. Da eine Evaluation ihrer Wirkung erst in mehreren Jahren möglich ist, lohnt sich ein Blick nach Großbritannien, einem Land mit Pflegekammertradition, und nach Schweden, einem Land ohne berufliche Selbstverwaltung in Form einer Kammer.

Kritik an berufsrechtlicher Überwachung.

In Großbritannien müssen Pflegekräfte, die ihren Beruf ausüben wollen, beim Nursing and Midwifery Council (NMC) registriert sein. Arbeitgeber und die gesamte Öffentlichkeit können auf der Internetseite des NMC nach Personen suchen und sich anzeigen lassen, ob es sich um eine registrierte Pflegefachkraft handelt. Angehörige, Kollegen, Arbeitgeber und Behörden können beim NMC Beschwerden über registrierte Pflegekräfte einreichen. Die Zahl der berufsrechtlichen Anzeigen beim NMC ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. 2016/2017 kamen auf 10.000 registrierte Pflegekräfte 80 Anzeigen sowie 15 Suspendierungen. Die Umsetzung der berufsrechtlichen Überwachung des NMC stand jedoch lange Zeit in der Kritik. Reformiert wurden unter anderem Verwaltungsabläufe und deren Controlling. Ferner wurde die unzureichende Überprüfung der alle drei Jahre vorgeschriebenen Erneuerung der Zulassung wie auch die mangelnde Verzahnung der Tätigkeiten des NMC mit denen der anderen Berufskammern (Ärzte, Apotheker, Pflege, Osteopathen etc.) und der Aufsicht der Leistungserbringer bemängelt.

Auch in Schweden – dort gibt es keine Pflegekammer – müssen alle Pflegekräfte, die ihren Beruf ausüben wollen, bei einer zentralen staatlichen Behörde, dem National Board of Health and Welfare, registriert sein. Die berufsrechtliche Überwachung obliegt dem Health and Social Care Inspectorate (IVO). Diese staatliche Behörde kann eigenständig tätig werden oder bei Beschwerden von Patienten, Angehörigen oder weiteren Dritten. Auch sind die Leistungserbringer in Schweden gesetzlich dazu verpflichtet, patientengefährdendes Fehlverhalten des durch sie eigensetzten Personals beim IVO zu melden. Wie in Großbritannien stand aber auch in Schweden die Umsetzung der berufsrechtlichen Überwachung und Sanktionen in der Kritik. Daraufhin hat der Gesetzgeber unter anderem die Aufsicht aller Gesundheitsberufe unter dem Dach des IVO vereint.

Berufsentwicklung mit und ohne Kammer.

Wie bereits erwähnt, werden in der hiesigen Debatte Pflegekammern häufig mit der Professionalisierung und damit der Ausweitung pflegerischer Tätigkeiten verknüpft. Faktisch aber haben Kammern hier keinerlei Regelungsbefugnis. Auch die Ärztekammern können nicht definieren, welche Tätigkeiten Medizinern vorbehalten sind. Das gibt das Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde (Heilpraktikergesetz) sowie ergänzend das Sozialgesetzbuch V vor.

Professionalisierung, Akademisierung und Ausweitung pflegerischer Handlungsfelder hängen vom Willen der Politik ab – und nicht von einer Kammer.

Blickt man wiederum nach Großbritannien wird deutlich, dass den dortigen Pflegekräften Tätigkeiten offenstehen, die in Deutschland als Ausübung von Heilkunde gelten und damit Ärzten vorbehalten sind. Britische Pflegekräfte dürfen beispielsweise Arzneimittel verordnen, Laboruntersuchungen anordnen und die Versorgung von Patienten steuern. Dieses erweiterte Tätigkeitsspektrum britischer Pflegekräfte resultiert aber nicht aus einer entsprechenden beruflichen Regulierung. Vielmehr ist in Großbritannien – im Unterschied zu Deutschland – nicht gesetzlich vorgegeben, welche Tätigkeiten ausschließlich Ärzten vorbehalten sind. Lediglich für das Verordnen von Arzneimitteln bedarf es einer spezifischen Zulassung beim NMC. Treiber dieser Entwicklung war angesichts langer Wartezeiten und einem Ärztemangel in den 1990er Jahren der britische Gesetzgeber selbst. Heute möchte das NMC die entstandenen neuen pflegerischen Aufgabenfelder gern durch Berufstitel und geschützte Tätigkeiten fixieren. Doch der britische Gesetzgeber ist hier zurückhaltend. Er schätzt die Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen, sieht mit Blick auf das Aufwand-Nutzen-Verhältnis aber wenig Sinn in weitergehenden Regulierungen.

In Schweden haben Pflegekräfte ebenfalls ein breiteres Aufgabenspektrum als in Deutschland. In dem skandinavischen Land gibt es keine dem deutschen Arztvorbehalt vergleichbare Abgrenzung ärztlicher Tätigkeiten. Nur für das Verordnen von Arzneimitteln müssen schwedische Pflegekräfte eine entsprechende Weiterbildung und Registrierung nachweisen. Eine entsprechende Qualifizierung steht aber nur Pflegekräften in der ambulanten Versorgung offen. Zudem ist die Bandbreite der zu verordnenden Wirkstoffe beschränkt, und die medizinische Gesamtverantwortung trägt der behandelnde Arzt.

Aus- und Weiterbildung im Drei-Länder-Vergleich.

Mit den pflegerischen Tätigkeiten und der Berufsentwicklung hängen auch die Aus- und Weiterbildung eng zusammen. Großbritannien nahm die akademisierte Ausbildung bereits vor rund 35 Jahren in Angriff. Seit 2013 müssen britische Pflegekräfte ein dreijähriges Bachelorstudium absolvieren. Demgegenüber ist in Deutschland für Pflegekräfte erstmals ab 2020 die akademische Erstausbildung an Hochschulen regulär vorgesehen. Die hierzulande bereits existierenden universitären Pflegestudiengänge laufen als Modellvorhaben oder sind als duale Studiengänge konzipiert.

Pflegekammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, in denen kraft Gesetz Angehörige der Pflegeberufe Pflichtmitglieder sind. Die Selbstverwaltung der Heilberufe in Form von Kammern fällt aufgrund der förderalen Verfassung der Bundesrepublik in den
Zuständigkeitsbereich der Bundesländer. Das Heilberufsrecht des jeweiligen Bundeslandes bildet die Grundlage für die Struktur und Organisation der Kammern. Die Rechtsaufsicht obliegt dem jeweils zuständigen Ministerium des Bundeslandes. Mehrere Landespflegekammern können sich zu einer Bundespflegekammer in Form einer freiwilligen Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen. Pflegekammern übernehmen die Funktion der Selbstverwaltung des Berufsstandes.

Zu ihren Aufgaben gehören

  • Schaffung einer einheitlichen Berufsethik
  • Registrierung der Berufsangehörigen
  • Erlass einer Berufsordnung: Sie regelt Berufsbild, Qualitätsstandards in der Berufsausübung, berufliche Pflichten
  • (zum Beispiel Schweige- und Dokumentationspflicht), Qualitätssicherung durch Fortbildung und ethische Pflichten im Beruf
  • Berufsaufsicht und gegebenenfalls Einschreiten bei Missachtung der Berufsethik und Berufsordnung
  • Ansprechpartner für den Gesetzgeber bei Beratungsbedarf
  • Definition der Inhalte und Ausgestaltung der Weiterbildung

Aber die Pflegekammer

  • verhandelt keine Tarife
  • definiert nicht die Ausbildungsinhalte oder weitere Anforderungen zur Zulassung zum Beruf
  • definiert keine den Pflegekräften vorbehaltenen Tätigkeiten
  • ist nicht die Interessenvertretung der einzelnen Pflegefachkraft
  • bei Konflikten und Problemen am Arbeitsplatz

G+G-Redaktion

In Großbritannien war das NMC wesentlicher Treiber der Akademisierung der Pflegeausbildung. Anders als in Deutschland kann das NMC die Ausbildungsinhalte jedoch auch definieren. Dies ist hierzulande nicht möglich, denn trotz föderaler Ordnung ist es dem Gesetzgeber auf Bundesebene vorbehalten, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen zu regeln.

Konkret bedeutet dies, dass der Bund durch das Krankenpflege- und Altenpflegegesetz beziehungsweise perspektivisch durch das Pflegeberufegesetz und die jeweiligen Ausbildungs-und Prüfungsverordnungen die Ausbildung zur Pflegekraft sowie die Zulassung gestaltet. Lediglich die Regulierung der Berufsausübung und Weiterbildung obliegt den Ländern.

In Schweden, dem Vergleichsland ohne Pflegekammer, hat sich dennoch eine ähnliche Entwicklung vollzogen wie in Großbritannien. Die Ausbildung ist dort bereits Anfang der 1980er Jahre an Hochschulen verankert worden. Hiernach erfolgten weitere Anpassungen. Diese waren zwar auch durch den berufspolitischen und pflegewissenschaftlichen Diskurs beeinflusst. Der eigentliche Grund dafür war aber der Prozess in der Europäischen Union, die Studiengänge und -abschlüsse europaweit zu harmonisieren (Bologna-Prozess). Ziel der schwedischen Regierung war es, die Studienabschlüsse ab 2007 den Bologna-Vorgaben entsprechend mit einem graduierenden Abschluss auf Bachelorniveau anzusiedeln.

Ineressenvertretung mit Blick aufs Allgemeinwohl.

Wie bereits erwähnt, wird im deutschen Diskurs über die Kammer-Bildung die Durchsetzung der Interessen des Pflegeberufs – unisono – gleichgesetzt mit gesamtgesellschaftlichen Interessen. Wie wird dies in anderen Ländern gesehen?

Schaut man beispielsweise auf England, so zeigt sich, dass auch dort in den 1970er Jahren, in Verbindung mit dem damals als defizitär bewerteten Ausbildungssystem, die berufliche Selbstverwaltung der Pflegekräfte erheblich gestärkt wurde. Seither hat der britische Gesetzgeber jedoch die Selbstverwaltungsstrukturen der Pflegekammer sowie der Ärztekammer ständig evaluiert und reformiert. Ziel war es, die berufliche Selbstverwaltung so zu gestalten, dass diese tatsächlich im Sinne des Allgemeinwohls agiert. Im Ergebnis hat der britische Gesetzgeber einen Wandel der Selbstverwaltungsstrukturen hin zu eher administrativen Organen vorangetrieben. Exemplarisch hierfür steht, dass dem NMC-Kammervorstand auch Laienmitglieder angehören, also Personen, die nicht aus der Berufsgruppe kommen. Auch wird seit 2008 der NMC-Kammervorstand nicht mehr durch die Berufsangehörigen gewählt, sondern von einem staatlichen Ausschuss, dem Privy Council, benannt.

Mitbestimmungsrechte stehen auf einem anderen Blatt.

Was die Interessenvertretung von Pflegekammern im GBA betrifft – beispielsweise fordert der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz ein Stimmrecht für Vertreter der Pflegeberufe im GBA –, hilft der Blick ins Ausland wenig. Denn in anderen europäischen Ländern gibt es diese Form der gemeinsamen Selbstverwaltung nicht. Aber an dieser Stelle ist zum einen darauf hinzuweisen, dass der hiesige Bundesgesetzgeber – wie bei den Ärztekammern auch – keine Regelungskompetenz für die Schaffung einer Bundespflegekammer hat. Außerdem haben sich die Ärztekammern als freiwillige Arbeitsgemeinschaft zur Bundesärztekammer (BÄK) zusammengeschlossen. Die BÄK besitzt im Gemeinsamen Bundesaussschuss lediglich Beratungsrechte, aber kein Stimmrecht. Der Deutsche Pflegerat und damit die Berufsorganisationen der Pflegeberufe hat ebenfalls Beratungsrechte im GBA – wenngleich nicht im selben Umfang wie die BÄK.

Welche Aufgaben Pflegekammern übernehmen dürfen, bestimmt der Gesetzgeber.

Die Frage fehlender Mitbestimmungsrechte im Gemeinsamen Bundesausschuss betrifft aber nicht allein die Pflegeberufe. Auch die fehlende Mitbestimmung durch Patienten wird immer wieder kritisch angemahnt. Dabei geht es nicht zuletzt um die Frage der demokratischen Legitimation des GBA, Richtlinien und andere Normen zu erlassen, die Dritte betreffen, die im Unterschied zur Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Deutschen Krankenhausgesellschafft und zum GKV-Spitzenverband nicht stimmberechtigt sind. Diese Frage wurde auf Grundlage eines Prüfauftrags des Verfassungsgerichts vom Dezember 2016 in drei rechtswissenschaftlichen Gutachten beleuchtet (zu den Rechtsgutachten siehe „Lese- und Webtipps“).

Somit ist die Forderung, die Pflege brauche eine Stimme, in den Gesamtdiskurs um den GBA einzuordnen. Wichtig dabei auch: Die Frage verbesserter Mitbestimmungsrechte ist erst einmal losgelöst von der institutionalisierten Form der Vertretung der Pflege (Dachorganisation der Berufsverbände, Bundespflegekammer) zu diskutieren.

Wirkung von Kammern analysieren.

Insgesamt zeigt der Blick nach Großbritannien und Schweden erstens, welchen Stellenwert die Berufsaufsicht und damit der Patientenschutz als Aufgabe von Kammern hat und zweitens, welche Bemühungen notwendig waren, damit diese – sei es durch das englische NMC oder das schwedische IVO – auch tatsächlich wirkt.

Auch für Deutschland wäre eine Diskussion und Analyse wünschenswert gewesen, was Kammern im Sinne ihrer beruflichen Aufsichtsfunktion überhaupt bewirken, welche Regelungsdefizite bestehen und welche konkreten Rahmenvorgaben erforderlich sind, um Fehlentwicklungen zu begegnen.

Mit Blick auf die Interessenvertretung zeigen Großbritannien und Schweden ferner: Professionalisierung, Akademisierung und Ausweitung der pflegerischen Handlungsfelder (Delegation, Substitution) hängen nicht von einer Kammer ab, sondern vom Willen der Politik und einer entsprechenden Gesetzgebung. Mit der Blaupause Ärztekammer im Kopf wird von einer stärkeren Stellung des Berufs ausgegangen. Dies mag gelingen. Letztlich aber ist bislang die Chance vertan worden, mit der Neugründung von Kammern in der Pflege auch das Wirken der ärztlichen Kammern zu evaluieren und gegebenenfalls zu reformieren.

Pflegekammern: Wie der Stand in den Ländern ist

Bundesebene

Am 28. September 2017 hat sich die Gründungskonferenz der Bundespflegekammer konstituiert. Den Beschluss zur Errichtung einer Gründungskonferenz für eine Bundespflegekammer wurde bereits Mitte August 2017 vom Deutschen Pflegerat zusammen mit der Pflegekammer Rheinland-Pfalz gefasst.

 Weitere Informationen über die Bundespflegekammer

Baden-Württemberg

Nach einer im Frühjahr 2018 durchgeführten Umfrage durch das baden-württembergische Sozialministerium befürworten rund 68 Prozent der Umfrageteilnehmer die Errichtung einer Pflegekammer. So sollen umgehend die Voraussetzungen für die Errichtung einer Pflegekammer in Angriff genommen werden.

Weitere Informationen über die Pflegekammer Baden-Württemberg

 

Bayern

Am 24. Oktober 2017 haben sich bayerische Pflegekräfte offiziell zur „Vereinigung der Pflegenden in Bayern“ zusammengeschlossen. Die Gründungskonferenz hat einen Vorstand gewählt. Der Zusammenschluss war bereits am 6. April 2017 vom bayerischen Landtag beschlossen worden. Das entsprechende Gesetz ist am 1. Mai 2017 in Kraft getreten.


Weitere Informationen über die Vereinigung der Pflegenden in Bayern

Berlin

Im Berliner Abgeordnetenhaus wird das Thema „Errichtung einer Pflegekammer“ kontrovers diskutiert. Senatspolitisch ist keine Pflegekammer gewollt. Alternativ soll in einem Dialogprozess auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen Pflegender hingearbeitet werden. Aktuell liegt allerdings auch ein Antrag der CDU-Fraktion vor, eine Pflegekammer zu errichten. Dem Ganzen war zwischen November 2014 und März 2015 eine Umfrage vorausgegangen. In Berlin wurden rund 1.200 Pflegekräfte befragt. Rund 60 Prozent stimmten für die Errichtung einer Pflegekammer und rund 17 Prozent waren dagegen.


Weitere Informationen über eine Berliner Pflegekammer

Brandenburg

Ende Dezember 2018 wurden die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung zur Errichtung einer Pflegekammer der Öffentlichkeit vorgestellt. 56 Prozent stimmten für eine Kammer. Der Abschlussbericht zur Befragung steht noch aus. Vor den Landtagswahlen im September 2019 ist voraussichtlich keine Entscheidung zu erwarten.

Bremen

Die Vollversammlung der Arbeitnehmerkammer Bremen hat sich gegen die Errichtung einer Pflegeberufekammer ausgesprochen. Der Arbeitnehmerkammer gehören alle in Bremen abhängig Beschäftigten mit Ausnahme der Beamten an.

Hamburg

Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks hat nach Auswertung einer Befragung unter Beschäftigten der Pflege- und Gesundheitseinrichtungen der Hansestadt angekündigt, auf die Errichtung einer Pflegekammer zu verzichten. Laut einer Pressemitteilung der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz vom Februar 2014 hatten nur 36 Prozent der Befragten die Errichtung einer Pflegekammer befürwortet.

Hessen

Im Sommer 2018 sprachen sich in einer Online-Befragung 51 Prozent der teilnehmenden Pflegekräfte gegen die Errichtung einer Pflegekammer aus. Allerdings beteiligten sich an der Befragung nur rund 7.800 der rund 65.000 hessischen Pflegekräfte.

Mecklenburg-Vorpommern

Die Landesregierung ist sich bezüglich der Errichtung einer Pflegekammer nicht einig. Bereits im Frühjahr 2014 hatte das Sozialministerium Mecklenburg-Vorpommern eine Studie in Auftrag gegeben, die sich mit dem Thema „Die Situation der Pflegeberufe in Mecklenburg-Vorpommern“ befasste. Ein Schwerpunkt der Befragung war, wie die Betroffenen zur Frage der Errichtung einer Pflegekammer stehen. Die ermittelten Zahlen wurden im Rahmen einer Sozialberichterstattung veröffentlicht. 73 Prozent der 854 Teilnehmer sprachen sich für eine Pflegekammer aus und rund 16 Prozent dagegen. Von den Befürwortern einer Pflegekammer wollten allerdings nur rund 62 Prozent dafür Beiträge entrichten. Befürworter fand die Pflegekammer vor allem im Krankenpflegebereich mit rund 92 Prozent.

Niedersachsen

Am 8. August 2018 konstituierte sich die Pflegekammer. Das Gesetz über die Pflegekammer Niedersachsen vom 14. Dezember 2016 ist seit 1. Januar 2017 in Kraft. Ab 1. Januar 2019 hat die Pflegekammer die Zuständigkeit für die Weiterbildung in Pflegefachberufen vom Land Niedersachsen übernommen. Der Kammerbeitrag beträgt 0,4 Prozent des Bruttoeinkommens abzüglich der Werbungskosten. Der Höchstbeitrag liegt grundsätzlich bei 280 Euro je Beitragsjahr. Zurzeit gibt es Proteste gegen die Kammer.


Weitere Informationen über die Pflegekammer Niedersachsen

Nordrhein-Westfalen

79 Prozent der seit Oktober 2018 befragten Pflegekräfte haben sich für eine Pflegekammer ausgesprochen. Nun soll ein entsprechender Gesetzesentwurf noch vor der Sommerpause in den Landtag eingebracht werden.


Weitere Informationen über die Pflegekammer Nordrhein-Westfalen

Rheinland-Pfalz

Seit März 2016 gibt es eine Pflegekammer. Ihre Aufgaben sind unter anderem die Verabschiedung von Satzungen und Verordnungen, die Besetzung der Kammer und der Landesausschüsse, die Novellierung der Weiterbildungsordnung sowie der Aufbau einer Schiedsstelle. Die Umsetzung dieser Aufgaben ist bis zum Jahr 2020 vorgesehen. Die Weiterbildungsordnung ist seit Januar 2018 in Kraft.


Weitere Informationen über die Pflegekammer Rheinland-Pfalz

Saarland

Seit Längerem plädiert der Landespflegerat für eine Pflegekammer. Im Saarland gibt es jedoch eine Besonderheit: eine Arbeitskammer mit Zwangsmitgliedschaft für alle im Saarland beschäftigten Arbeitnehmer. Würde nun eine Pflegekammer geschaffen, müssten die Fachkräfte in der Pflege doppelte Beiträge zahlen.

Sachsen

In dem Bundesland ist zurzeit keine Pflegekammer geplant. Aus Sicht des Sozialministeriums ist eine Befragung aus dem Jahr 2011 nicht überzeugend. Seinerzeit hatten sich nur gut sechs Prozent der Pflegekräfte an der Befragung beteiligt. Davon sprach sich allerdings eine Mehrheit von über zwei Drittel für eine Pflegekammer aus.

Sachsen-Anhalt

Dort ist zurzeit keine Pflegekammer geplant.

Schleswig-Holstein

Am 15. Juli 2015 beschloss der Landtag mit knapper Mehrheit die Errichtung der Pflegekammer (Gesetz zur Errichtung einer Kammer für die Heilberufe in der Pflege). Die konstituierende Sitzung fand im April 2018 statt. Die Höhe des wahrscheinlich einkommensabhängigen  Mitgliedsbeitrags steht derzeit noch nicht fest.


Weitere Informationen über die Pflegekammer Schleswig-Holstein

Thüringen

Zurzeit sind keine Aktivitäten zur Schaffung einer Pflegekammer geplant.

G+G-Redaktion; Quelle: AOK Verlag

 

Antje Schwinger leitet den Forschungsbereich Pflege im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO).
Oliver Weiss ist Illustrator und Designer.