Pflege-WG ist nicht gleich Heim
Können in einer Wohngemeinschaft lebende schwerst Pflegebedürftige frei über den Anbieter von Betreuungs- und Pflegedienstleistungen bestimmen, gilt ihre Unterkunft nicht als „Heim“. Dies hat der Bundesgerichtshof festgestellt und sprach damit einem gerichtlich eingesetzten Betreuer eine höhere Vergütung für seine Arbeit zu. Von Anja Mertens
– XII ZB 517/17 –
Bundesgerichtshof
In den vergangenen Jahren
sind neue, alternative Wohnformen für pflegebedürftige Menschen entstanden. Dazu zählt auch die Pflege-Wohngemeinschaft (Pflege-WG). Sie bietet die Möglichkeit, zusammen mit Gleichaltrigen zu leben und gemeinsam Hilfe zu erhalten, ohne auf Privatsphäre und Eigenständigkeit zu verzichten. Die WG-Bewohner leben in eigenen Zimmern, in die sie sich jederzeit zurückziehen können. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, in Gemeinschaftsräumen gemeinsamen Aktivitäten nachzugehen.
Hat ein Pflegebedürftiger einen gerichtlich eingesetzten Betreuer, kann dieser seinen Aufwand dem Betreuten in Rechnung stellen. Für einen in einem Heim untergebrachten Pflegebedürftigen ist die Aufwandsvergütung niedriger als für einen ambulant Versorgten. Nun hatte der Bundesgerichtsgerichtshof (BGH) darüber zu entscheiden, ob eine Pflege-WG einem Heim gleichzusetzen ist oder nicht.
Vergütung des Betreuers strittig.
In dem Fall ging es um einen schwerst pflegebedürftigen Mann, der in einer betreuten Pflege-WG lebt. Gemeinsam hatten sich die Bewohner für einen bestimmten Pflegedienstanbieter entschieden, der organisatorisch mit dem Vermieter verbunden ist.
Als der Betreuer für die Zeit vom 11. September 2016 bis 10. Dezember 2016 eine Vergütung in Höhe von 594 Euro verlangte, hielt der Pflegebedürftige diese für zu hoch. Seine Pflege-WG sei betreuungsrechtlich als „Heim“ einzustufen. Daher sei hier die gesetzlich geringere Betreuungsvergütung in Höhe von 330 Euro angemessen. Das Amtsgericht ging von dem geringeren Studensatz für einen in einem Heim lebenden Betreuten aus (Paragraf 5 Absatz 1 des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz, VBVG) und setzte die Vergütung für den fraglichen Zeitraum auf 330 Euro fest.
Welchen Pflegegrad der Betreute hat, ist nicht ausschlaggebend, so die obersten Zivilrichter.
Daraufhin legte der Betreuer Beschwerde beim Landgericht ein. Wie von ihm beantragt, setzte das Landgericht die Vergütung auf 594 Euro fest. Begründung: Die Pflege-WG sei nicht gleichzusetzen mit einem Heim. An den Mietvertrag seien keine Pflegeleistungen durch den Vermieter gekoppelt. Gemeinsam hätten die WG-Bewohner entschieden, dass die Betreuungs- und Pflegedienstleistungen von bestimmten Anbietern erbracht werden, die organisatorisch mit dem Vermieter verbunden sind. Nach dem Mietvertrag wären sie dazu aber nicht verpflichtet gewesen. Der Betreuer habe nach wie vor die Versorgung des Pflegebedürftigen zu organisieren und sicherzustellen. Neben der Organisation der Dienstleister für Beatmungstechnik und künstliche Ernährung müsse er sich unter anderem um die Organisation der Apotheke, des Optikers, des Augenarztes und der Hygieneartikel kümmern.
Pflegedienst frei gewählt.
Gegen die Entscheidung des Landgerichts legte der Pflegebedürftige Rechtsbeschwerde beim BGH ein. Der Gerichtshof wies aber seine Beschwerde zurück. Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die WG kein Heim sei. In Anlehnung an das Heimgesetz (Paragraf 1 Absatz 2) definiere das VBVG ein Heim als Einrichtung, die dem Zweck diene, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie die Betreuung und Verpflegung zu übernehmen. Dem Gesetz liege die Vorstellung zugrunde, dass sich der Aufwand erheblich danach unterscheide, ob der Betreute zu Hause oder in einem Heim lebt.
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Die Voraussetzungen des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs seien nur dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und Betreuung „aus einer Hand“ zur Verfügung gestellt werde. Eine Pflege-WG würde nicht dadurch zu einem Heim, dass der Vermieter dem Mieter anbiete, ihm Verpflegung und Betreuung durch einen Drittanbieter zu vermitteln, solange der Mieter nicht vertraglich gebunden ist, dieses Angebot im Bedarfsfall anzunehmen (Paragraf 5 Absatz 3 Satz 2 VBVG in Verbindung mit Paragraf 1 Absatz 2 Satz 1 und 3 des Heimgesetzes).
Zwar seien Vermieter und Pflegedienst personell miteinander verbunden. Aber nach dem Mietvertrag könnten sich die WG-Bewohner in ihrer Gesamtheit als „Gremium“ einen anderen Pflegedienstanbieter auswählen. Nicht ausschlaggebend sei, welchen Pflegegrad der Bewohner habe. Im vorliegenden Fall übernähme die Pflegeversicherung des Betreuten auch nur ambulante Pflegeleistungen.
Betreuer nicht entlastet.
Weiterhin stellte der BGH fest, dass der Betreuer wegen der Unterbringung des Pflegebedürftigen in einer Pflege-WG auch nicht weniger Arbeit habe. Im vorliegenden Fall sei er für die Organisation der Dienstleister für Beatmungstechnik und künstliche Ernährung verantwortlich. Auch habe das Landgericht festgestellt, dass er sich um die Apotheke, den Optiker, den Augenarzt oder um Hygieneartikel kümmern müsse. Zudem gehöre die Überwachung und Auswahl des Pflegedienstanbieters weiterhin zu seinen Aufgaben. Ferner habe er die Angelegenheiten des Pflegebedürftigen im Gremium der WG-Bewohner zu vertreten.
Dass ambulante Wohnformen zunehmend in die landesrechtlichen Qualitätsvorschriften zur Heimpflege einbezogen würden, sei unerheblich. Die stationäre Pflege unterläge nach wie vor deutlich höheren Qualitätsanforderungen als die ambulante, und die stationären Leistungen gingen weit über die ambulanten hinaus. Da der Betreuer durch die gewählte Wohnform nicht in einer der stationären Unterbringung vergleichbaren Weise entlastet sei, stehe ihm der höhere Stundensatz zu.
Kommentar: Der Bundesgerichtshof differenziert seine Rechtsprechung zum Betreueraufwand weiter aus. Er hatte bereits die Auffassung vertreten, dass für Betreuer von Heimbewohnern die Aufgaben geringer seien, weil Heime eine geschulte Leitung besitzen und unter Heranziehung von ausgebildetem Pflegepersonal geführt werden.