„Die Politik hat das Problem endlich erkannt“
Nicht nur in Bremen steht die stationäre Versorgung vor großen Herausforderungen. Für Olaf Woggan, Vorstandschef der AOK Bremen/Bremerhaven, ist ein wichtiger Lösungsweg, Leistungen an hochspezialisierten Zentren zu konzentrieren. Eine weitere entscheidende Frage ist aus seiner Sicht, wann die Finanzierung der Kliniken aus einer Hand kommt.
G+G: Herr Woggan, in Dänemark und anderen europäischen Ländern sind spezialisierte Leistungen an einzelnen Krankenhäusern konzentriert. Ist das ein Weg, den auch Deutschland gehen sollte?
Olaf Woggan: Es ist der einzig vernünftige Weg, insofern ist das dänische Vorbild hier durchaus wegweisend. Ich bin der Meinung, dass sich die Krankenhäuser aus verschiedenen Gründen spezialisieren müssen. Wir haben in Deutschland immer noch viel zu viele Krankenhäuser, die bestimmte Eingriffe nur wenige Male im Jahr durchführen. Hier fehlen dann natürlich die tägliche Routine und somit auch die Expertise. Das führt im Ergebnis zu einer höheren Fehleranfälligkeit. Wenn wir künftig die Leistungen an darauf spezialisierten Zentren konzentrieren, wird das die Ergebnisqualität der Krankenhäuser deutlich verbessern. Doch der Konzentrationsprozess ist auch aus einem anderen Grund nötig: Angesichts von Ärztemangel, Pflegenotstand und der demografischen Entwicklung werden wir in Deutschland nicht umhinkommen, unsere Krankenhausversorgung in rationalere Strukturen zu bringen. Indem wir bestimmte Leistungen an einigen Zentren konzentrieren, lässt sich die Versorgung insgesamt deutlich effizienter gestalten, so dass wir die derzeitigen Überkapazitäten in der Krankenhauslandschaft abbauen können.
G+G: So ein Abbau von Kliniken führt aber doch auch dazu, dass die Wege für die Patienten weiter werden. Ist die wohnortnahe Versorgung dann nicht in Gefahr?
Woggan: Die Versorgung wird an einigen Orten sicher etwas weniger wohnortnah sein als heute. Untersuchungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigen aber auch, dass sich bei einer geplanten Operation die Wege zu den Kliniken im Schnitt nur unwesentlich verlängern werden. Dieser geringe zusätzliche Aufwand wird belohnt durch eine deutlich bessere Versorgung. Würde man die Patienten vor einer geplanten Operation fragen: Möchtest du lieber in ein Krankenhaus, das so nah wie möglich ist oder lieber in eins, dass die besseren Ergebnisse liefert, dann würden sich die weitaus meisten sicher für das bessere Krankenhaus entscheiden. Wenn man also die Gründe für die Umstrukturierung richtig erklärt, werden die Bürger den längeren Weg nicht als Nachteil begreifen, davon bin ich fest überzeugt.
G+G: Der Strukturfonds, aus dem der Umbau von Krankenhausstandorten finanziert wird, ist verlängert worden. Reicht das Geld, um damit aus Kliniken Pflegeheime oder MVZs zu machen?
Woggan: Der Gedanke hinterm Strukturfonds ist ja nicht der, dass wir im laufenden Jahr mit dem vorhandenen Geld die Krankenhausstrukturen in diesem Land komplett umbauen und dann damit zu Ende sind. Wir reden hier über einen Prozess der Jahre dauern wird, und der natürlich auch über diesen Zeitraum entsprechend finanziell begleitet werden muss.
G+G: Die Bundesländer geben seit Jahren zu wenig Geld für ihren Part der Investitionskostenfinanzierung aus. Wäre es sinnvoll, die Kassen hier stärker in die Pflicht zu nehmen, wenn die Kostenträger zugleich mehr Einfluss auf die Klinikplanung bekommen?
Woggan: Das ist ja eine ziemlich entscheidende Frage: Wollen wir von der bisherigen dualen Finanzierung hin zu einem monistisch finanzierten System? Ich zumindest finde, dass das Sinn macht. Wir sollten alle Kosten der Kliniken, also für den laufenden Betrieb und die langfristigen Investitionen, aus einer Hand finanzieren. Ich gehe davon aus, dass wir über diese Frage schon sehr bald in Deutschland entscheiden müssen. Wir waren vor zehn Jahren schon einmal fast so weit, doch durch die gute Konjunkturlage in Deutschland ist das Thema wieder in den Hintergrund getreten. Die Länder hatten hohe Steuereinnahmen und konnten so die ein oder andere Finanzierung leichter tragen. Spätestens, wenn die Konjunktur in den nächsten Jahren weniger rund läuft – und das wird sie, wenn man den Experten glauben darf – sollten wir uns mit der Krankenhausfinanzierung wieder auseinandersetzen. Die AOK wird sich dieser Diskussion sicher nicht entziehen.
G+G: Auch in Ihrem Bundesland Bremen steht ein Umbau der Krankenhauslandschaft an. Welche Schritte erwarten Sie von der Politik?
Woggan: Das temporäre Schließen von Abteilungen, OPs und Intensivstationen ist in Bremen mittlerweile allgegenwärtig. Wir vereinbaren als AOK mit den Krankenhäusern vielfach Budgets, die sie gar nicht mehr abrufen können. Der Personalmangel ist so groß, dass die Kliniken es schlicht nicht schaffen, die entsprechenden Leistungen dafür zu erbringen. Ich denke, die Politik hat das Problem inzwischen erkannt. Sie ist nun gefordert, die richtigen Akzente zu setzen und alle Beteiligten, also alle Krankenhausträger und alle Krankenkassen, gemeinsam an einen Tisch zu bringen. Klar ist: Wir brauchen mehr Spezialisierung, mehr medizinische Schwerpunkte, mehr Arbeitsteilung zwischen den beteiligten Trägern und Krankenhausstandorten. Ich denke, dass in der nächsten Legislaturperiode, also nach der Landtagswahl im Mai, dieses Thema jedenfalls auf der politischen Agenda stehen wird.
G+G: Schon vor geraumer Zeit hat der Krankenhaus-Experte Boris Augurzky in einem Gutachten tiefgreifende Änderungen angemahnt. Wäre das Gutachten eine gute Ausgangsbasis?
Woggan: Das Augurzky-Gutachten ist ein gutes Beispiel dafür, mit welchen Fragen man sich in der Krankenhauslandschaft auseinandersetzen muss. Das Gutachten war insofern ein erster wichtiger Schritt. Allerdings analysiert es nur einen Teilbereich der Versorgungslandschaft und ist auch schon ein paar Jahre alt. Deshalb wäre es sicher sinnvoll, ein neues Gutachten in Auftrag zu geben, dass uns ein aktuelles Bild der gesamten Versorgungslandschaft liefert.
G+G: Wie sieht für Sie das Idealbild der Versorgungslandschaft aus?
Woggan: Dass wir Krankenhausstandorte im Land haben, die in hochspezialisierter Form ein jeweils begrenztes Leistungsspektrum erbringen. Und die das, was sie machen, auch wirklich gut machen. Dass die Klinikstandorte untereinander so vernetzt sind, dass sie sich gegenseitig auch die Patienten zuführen – Patienten würden also nach fest definierten rationalen Kriterien dorthin weitergeleitet, wo sie bestmöglich behandelt werden können. Auch die Schnittstelle zur ambulanten Versorgung wäre optimal geregelt, insbesondere die Notfallversorgung. Wir hätten zentrale Anlaufstellen für die Patienten, wo sie wissen: Hier kümmert sich jemand um mich und leitet mich bei Bedarf dorthin, wo ich optimal versorgt werde. Das ist deshalb so wichtig, weil nur dann der gesamte Versorgungsweg aus einem Guss gestaltet werden kann. Wenn wir es schaffen könnten, eine solche Versorgungslandschaft aufzubauen – da bin ich mir wirklich sicher – hätten wir am Ende eine deutlich bessere medizinische Qualität und viel zufriedenere Patienten, Ärzte und Pflegekräfte, als das heute der Fall ist.