Süßes Frühstück, bittere Folgen
Honig-Smacks, Schoko-Pops oder Cornflakes erfreuen sich besonders bei Kindern großer Beliebtheit. Doch viele dieser Getreideprodukte sind süßer, als die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Das zeigt eine aktuelle Studie, deren Ergebnisse Dr. Kai Kolpatzik erläutert. Der Präventionsexperte fordert, den Zuckerzusatz deutlich zu verringern, um Krankheiten vorzubeugen.
Mit geschicktem Marketing haben es viele Hersteller von Frühstückscerealien geschafft, ihre Produkte als gesunde Alternative für einen guten Start in den Tag zu verkaufen. Comicfiguren, Sammelalbum-Sticker und eine kindgerechte Verpackung locken die jungen Kunden. Gleichzeitig versprechen die Hersteller den Eltern oftmals, dass ihre Produkte gesund sind und wertvolle Inhaltsstoffe enthalten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, dass Frühstückscerealien maximal 15 Gramm Zucker pro 100 Gramm enthalten sollten. Doch die Realität sieht anders aus: 99 Prozent der in Deutschland verkauften Kindercerealien liegen über diesem Wert. Bei Betrachtung aller Cerealien liegen 73 Prozent darüber. Verkaufsschlager enthalten bis zu 43 Gramm Zucker. Das belegt eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung im Auftrag des AOK-Bundesverbandes. Die Studie hat außerdem untersucht, welche Cerealien in den Einkaufswagen der Verbraucher landen und wie sich die Zielgruppen – zum Beispiel je nach Einkommen und Bildung – in ihrem Kaufverhalten unterscheiden.
Zuviel Zucker macht krank.
Der hohe Zuckerkonsum in Deutschland hat inzwischen dramatische Folgen. Dem Robert Koch-Institut (RKI) zufolge sind in Deutschland bereits mehr als die Hälfte der Frauen und etwa zwei Drittel der Männer übergewichtig. Fast ein Viertel der Erwachsenen ist sogar adipös, also schwer übergewichtig. Doch die Problematik setzt schon viel früher ein: Etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen drei und 17 Jahren bringen zu viel auf die Waage, von diesen wiederum ist mehr als ein Drittel adipös. Kindliches Übergewicht bleibt meist ein Leben lang bestehen. Damit werden bereits in jungen Jahren die Weichen gestellt, später ernährungsbedingt zu erkranken. Denn Übergewicht ist ein entscheidender Risikofaktor für Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Studien des Departments of Epidemiology and Public Health am University College London belegen, dass übergewichtige Menschen im Vergleich zu Normalgewichtigen ein doppelt so hohes Risiko tragen, eine Koronare Herzerkrankung oder einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Bei Menschen mit ausgeprägter Adipositas steigt dieses Risiko sogar bis auf das 15-fache.
Gruppierung der Getreideprodukte für die AOK-Cerealienstudie
Traditionelle Cerealien
- Cornflakes pur und gezuckert ohne Kinderartikel
- Extrudierte/gepufferte Cerealien ohne Kindercerealien
- Kindercerealien: basierend auf dem GfK-Attribut Kinderprodukte (bevorzugt auf Kinder positionierte Produkte, oft mit Bildchen)
Müsli
- Klassisches Basismüsli
- Klassisches Bircher/Früchtemüsli
- Klassisches Schokomüsli
- Knuspermüsli Pur
- Knuspermüsli Frucht/Nuss/Schoko
Porridge und Frühstücksbreie
- Produkte aus der Kategorie Getreideflocken, Teilmarkt Flocken mit Zusatz (meist in Form von Milchpulver)
- Ausgeschlossen wurden alle reinen Hafer-/Getreideflocken und Kleien
Frühstückscerealien für Kleinkinder
- Produkte aus der Kategorie Babycerealien, Teilmarkt Frühstückscerealien, diese Produkte sind oft im Babyregal positioniert
- Ausgeschlossen wurden alle Babybreie ob mit oder ohne Milchpulverzusatz
Quelle: AOK-Cerealienstudie 2020
Die WHO warnt vor diesem Hintergrund eindringlich vor den Folgen des übermäßigen Zuckerkonsums. Ihre Empfehlungen für den täglichen Verzehr liegen bei 50 Gramm für Erwachsene. Kinder sollten nur die Hälfte an Zucker zu sich nehmen. Auf ein Jahr gerechnet wären das rund 18 Kilogramm Zucker für einen Erwachsenen. Tatsächlich aber konsumieren die Deutschen jeden Tag etwa 95 Gramm Zucker, also fast doppelt so viel, wie die WHO für Erwachsene empfiehlt – das sind durchschnittlich rund 34 Kilogramm Zucker pro Jahr.
Neben den gesundheitlichen Problemen haben der hohe Zuckerkonsum und das damit assoziierte Übergewicht auch eine ökonomische Komponente: Laut einem von Effertz et al. im European Journal of Health Economics 2015 veröffentlichten Artikel betragen die direkten und indirekten Kosten der Adipositas in Deutschland jährlich rund 63 Milliarden Euro, weitere acht Milliarden Euro jährlich verursachte 2015 die Behandlung von Karies (Gesundheitsberichterstattung des Bundes).
Studie untersucht Kaufverhalten.
An diesen gesundheitlichen und ökonomischen Folgen haben auch die Frühstückscerealien ihren Anteil. Die nun vorliegende Studie klärt über den hohen Zuckergehalt dieser Produkte auf. Dazu hatte der AOK-Bundesverband die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) beauftragt, den Zuckergehalt von auf dem Markt angebotenen Frühstückscerealien zu erheben, deren Konsum – gemessen an der gekauften Menge der Produkte – festzustellen und mit den soziodemografischen Merkmalen der Käufer zu verknüpfen. Die GfK erhob die Daten im Zeitraum von November 2018 bis Oktober 2019. Die Basis der Untersuchung zur Erfassung der Einkaufsmenge der Privathaushalte in Deutschland bildet das GfK-Haushaltspanel mit einer Bruttostichprobe von 30.000 deutschen Haushalten.
Die Studie erfasst dabei erstmals die Verkaufshäufigkeiten der Cerealien aus verschiedenen Teilmärkten innerhalb des Haushaltspanels und splittet diese nach verschiedenen soziodemografischen Variablen wie Alter, Familienstand, Haushaltseinkommen, oder Bildung auf. Damit bietet die Studie auch Erklärungen, inwieweit das Kaufverhalten von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht abhängt. Ziel war es, die wichtigsten, aktuell im Handel verfügbaren Einzelartikel und ihren Zuckergehalt zu erfassen. Diese gut 1.400 Produkte decken zusammen etwa 99 Prozent der Frühstückscerealien ab, die in Deutschland im Zeitraum November 2018 bis Oktober 2019 verkauft wurden. Für die Studie wurden aktuell erhältliche Produkte in verschiedenen Märkten des Einzelhandels erfasst. Mittels Internetrecherche wurden jene Produkte ergänzt, die in den Läden zum Stichtag nicht verfügbar waren. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf der Verkaufshäufigkeit und dem Zuckergehalt von Kindercerealien.
Kindercerealien sind Zuckerbomben.
Ob Supermarkt, Discounter, Drogeriemarkt oder Bioladen – wer vor dem Regal mit Frühstückscerealien steht, dem bietet sich eine enorme Produktvielfalt dar. Die Studie unterteilt diese Produkte in vier Gruppen mit Teilmärkten (siehe Kasten: „Frühstückcerealien: Produktgruppen in der Studie zum Zuckergehalt“). Zu den „traditionellen Cerealien“ zählen dabei gezuckerte und ungezuckerte Cornflakes, die sich nicht explizit an Kinder richten, weiterhin gepuffte Getreidekörner sowie Kindercerealien, die sich durch ihre Verpackungsgestaltung an Kinder wenden. In der Gruppe der „Müslis“ finden sich die Teilmärkte Basismüsli, Bircher- und Früchtemüsli, Schokomüsli, Knuspermüsli pur und Knuspermüslis in den Geschmacksrichtungen Frucht, Nuss und Schoko. Die dritte Gruppe „Porridge und Frühstücksbreie“ umfasst die Teilmärkte Getreideflocken und Flocken mit Zusätzen wie etwa Milchpulver. Die vierte Gruppe bilden „Frühstückscerealien für Kleinkinder“, die in der Regel im Babyregal zu finden sind. Von der Studie ausgeschlossen wurden alle Babybreie, ob mit oder ohne Milchpulverzusatz.
Betrachtet man die Gesamtmenge aller in Deutschland verkauften Frühstückscerealien, so haben 73 Prozent einen Zuckergehalt, der oberhalb der von der WHO empfohlenen Grenze von 15 Gramm je 100 Gramm liegt. Bei Produkten, die sich durch Verpackungsgestaltung und Marketing gezielt an Kinder wenden, sieht es noch schlechter aus: Im Teilmarkt der Kindercerealien entsprechen 99 Prozent der verkauften Menge nicht der WHO-Empfehlung (siehe Grafik: „Kinder-Produkte enthalten viel Zucker“). Fast ein Viertel der Kindercerealien hat sogar einen Zuckergehalt, der mindestens doppelt so hoch ist. Auf die besonders süßen Kinderprodukte entfallen bei Familien 39 Prozent der gekauften Cerealien. Bei diesen Kindercerealien decken die zehn süßesten Produkte zugleich 42 Prozent der gesamten Zuckermenge ab, die den untersuchten Artikeln dieses Verkaufssegments zugesetzt wird. Einen besonders hohen Zuckergehalt haben dabei Kelloggs Smacks, Kelloggs Frosties und die Nougat-Bits von Edeka und Netto.
Traditionelle Cerealien enthalten viel Zucker: So entsprechen nur 17 Prozent der verkauften Menge in dieser Produktgruppe der WHO-Empfehlung zum Zuckerzusatz von maximal 15 Gramm pro 100 Gramm. Spitzenreiter beim Zuckergehalt sind die Kindercerealien: 99 Prozent der verkauften Menge entsprechen nicht der WHO-Empfehlung.
Quelle: AOK-Cerealienstudie 2020
Die Industrie baut aus ökonomischen Gründen den billigsten verfügbaren Inhaltsstoff in die Produkte ein, das ist in diesem Fall Zucker. Der Einsatz von Zucker in den Cerealien dient also der Gewinnoptimierung. Eine Beispielrechnung: 100 g „Kellogs Frosties“ kosten 0,60 Euro. Der Einsatz des darin enthaltenen Zuckers von 37 g kostet gerade einmal 1 Cent.
Bildung und Einkommen beeinflussen den Einkauf.
Erstmals untersucht die Studie den Zusammenhang zwischen dem Kauf zuckerreicher Cerealien und soziodemografischen Merkmalen wie Alter, Familienstand, Einkommen, Bildung und sozialem Status. Der Blick auf das Pro-Kopf-Nettoeinkommen zeigt: Je höher das Einkommen, desto öfter fällt die Entscheidung für Frühstückscerealien mit einem geringeren Zuckergehalt. In der niedrigsten Einkommensgruppe mit monatlich weniger als 500 Euro Pro-Kopf-Nettoeinkommen entsprechen nur 17 Prozent der gekauften Cerealien dem Richtwert der WHO. In der höchsten Gehaltsgruppe mit mehr als 2.500 Euro netto im Monat haben dagegen 36 Prozent der gekauften Produkte einen Zuckerzusatz unter 15 Gramm pro 100 Gramm Cerealien.
In ihrer Studie hat die GfK die Merkmale Bildung und Einkommen der Befragten zusammengefasst und in fünf verschiedene soziale Schichten übertragen. In der gut situierten Mittel- und Oberschicht entscheiden sich die Befragten demnach bei rund der Hälfte der Produkte (48 Prozent) für stark zuckerhaltige Varianten mit mehr als 20 Gramm zugesetztem Zucker. In der untersten sozialen Schicht sind es hingegen fast zwei Drittel der gekauften Produkte (65 Prozent), die einen Zuckergehalt von über 20 Prozent haben. In diesen Haushalten mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung beträgt der Anteil der Kinderprodukte unter den gekauften Cerealien nahezu die Hälfte (47 Prozent). Steigen Einkommen und Bildung, nimmt der Anteil der besonders süßen Kindercerealien messbar ab. Käufer aus der Schicht mit hohem Einkommen und hoher Bildung entscheiden sich nur bei einem Viertel der von ihnen gekauften Produkte für Kindercerealien. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass gesundheitsrelevante Informationen beispielsweise zum Zuckerverzehr und seinen schädlichen Wirkungen in bildungsfernen Schichten noch nicht ausreichend ankommen.
Familien bevorzugen stärker Gezuckertes.
In Deutschland kaufen 61 Prozent aller Haushalte Frühstückscerealien, darunter sind rund die Hälfte Familien mit Kindern. Familienhaushalte konsumieren überproportional viel dieser Getreideprodukte: Obwohl der Anteil der Familienhaushalte mit Kindern in Deutschland nur bei 22 Prozent liegt, entfallen auf diesen Haushaltstyp 45 Prozent der verkauften Frühstückscerealien. Zudem greifen Familien überdurchschnittlich oft zu den süßeren Varianten: Bei ihnen überschreiten 78 Prozent der gekauften Produkte den Zuckergehalt von 15 Gramm (siehe Grafik: „Familien mit Kindern kaufen süßere Produkte“). Bei Käufern ohne Kinder im Haushalt ist dieser Anteil gerade einmal halb so groß. Knuspermüslis, denen ebenfalls besonders viel Zucker zugesetzt wird, sind sowohl bei Familien (25 Prozent der gekauften Menge) als auch bei Käufern ohne Kinder (26 Prozent der gekauften Menge) sehr beliebt. Zuckerarme Basismüslis machen bei Familien lediglich drei Prozent der Gesamtmenge an Cerealien aus, klassische Bircher- und Früchtemüslis kommen immerhin auf elf Prozent – wohingegen sich Käufer ohne Kinder noch häufiger, nämlich in 26 Prozent der Fälle, für ein Früchte- oder Birchermüsli entscheiden.
Der Familienstand beeinflusst den Konsum: 78 Prozent der von Haushalten mit Kindern gekauften Frühstückscerealien entsprechen nicht der WHO-Empfehlung zum Zuckerzusatz. In Haushalten ohne Kinder liegt dieser Anteil lediglich bei 68 Prozent. Laut WHO sollte der Zuckeranteil 15 Gramm pro 100 Gramm Cerealien nicht überschreiten.
Quelle: AOK-Cerealienstudie 2020
Die Konsumgewohnheiten hängen auch stark vom Alter der befragten Käufer ab. Während sich von den jüngeren Haushalten unter 30 Jahren nur 22 Prozent für schwächer gesüßte Frühstücks-Getreideprodukte entscheiden, wie sie die WHO empfiehlt, sind es bei den über 50-Jährigen 30 Prozent, bei den über 60-Jährigen 38 Prozent und bei den über 70-Jährigen sogar 40 Prozent. Fast ein Viertel (23 Prozent) der Produkte, die unter 30-Jährige kaufen, entfällt dagegen auf Frühstückscerealien mit einem Zuckergehalt von 25 bis 35 Gramm pro 100 Gramm. Die über 70-jährigen Käufer decken nur elf Prozent ihres Bedarfs mit diesen besonders süßen Produkten.
Süß macht Kasse.
Vergleicht man die einzelnen Cerealien anhand des Zuckerzusatzes, ergibt sich ein unrühmliches Ranking. Denn unter den 15 Einzelprodukten der Spitzengruppe findet sich kein einziges mit weniger als 35 Gramm zugesetztem Zucker pro 100 Gramm. Unter diesen 15 Produkten sind vier aus dem Hause Kelloggs. Doch auch die großen Handelskonzerne wie Penny, Netto, Kaufland oder Aldi sind mit ihren Eigenmarken vertreten. Dass es anders geht, zeigen die 15 Einzelartikel mit dem niedrigsten Zuckerzusatz, darunter Basis- und Beerenmüslis sowie Cornflakes: Sie enthalten alle weniger als ein Gramm zugesetzten Zucker pro 100 Gramm. Das Rosengarten Bio Beeren-Müsli auf Platz 1 dieses Rankings kommt mit nur 0,2 Gramm aus. Die nachfolgenden ungesüßten Bio Cornflakes von DM und die Enerbio Cornflakes von Rossmann mit jeweils 0,3 Gramm Zucker auf den Plätzen zwei und drei liegen ebenso wie Platz 15 noch deutlich unter einem Gramm.
Die zehn mengenmäßig am meisten verkauften traditionellen Cerealien – also Cornflakes, gepuffte Cerealien und Kindercerealien – decken zusammen rund 30 Prozent des gesamten Marktes an Frühstückscerealien ab. In dieser Gruppe haben neun Produkte einen Zuckergehalt von über 21 Gramm. Ordnet man diese zehn Bestseller nach ihrem Zuckerzusatz, liegen die Nougat Bits von Edeka und Netto mit jeweils 35 Gramm Zucker auf 100 Gramm ganz vorne. Ein Lichtblick: Die Aldi Cornflakes mit gerade einmal 4,5 Prozent Zucker befinden sich ebenfalls unter den zehn meistverkauften Produkten.
Nationale Reduktionsstrategie.
Ende Dezember 2018 wurde die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten vom Kabinett verabschiedet. Auf dieser Basis hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit Verbänden der Lebensmittelindustrie Zielvereinbarungen geschlossen, in denen sich die Verbände auf freiwillige Maßnahmen verpflichtet haben. Im Bereich der Frühstückscerealien hat sich der Verband freiwillig verpflichtet, den Zuckergehalt der an Kinder gerichteten Produkte, gewichtet nach ihrem Absatz, um durchschnittlich mindestens 20 Prozent zu reduzieren – bezogen auf den Zeitraum 2012 bis 2025.
Ein Produkt, das im Jahr 2012 einen Zuckeranteil von 35 Prozent hatte, darf demnach bis zum Jahr 2025, also 13 Jahre später, nur noch höchstens 28 Prozent Zucker enthalten – immer noch fast doppelt so viel, wie die WHO für Frühstückscerealien empfiehlt.
Wie viel Zucker ist drin? Eine Farb-Kennzeichnung würde einen Vergleich der Frühstückscerealien erleichtern.
Eine erste Sichtung der am 1. April 2020 veröffentlichten Monitoring-Ergebnisse des Max-Rubner-Instituts zeigte, dass auch hier bei den Frühstückscerealien konkreter Handlungsbedarf abgeleitet werden kann. Die Zuckergehalte befinden sich insgesamt weiterhin auf einem hohen Niveau. Spitzenreiter bei den Kindercerealien ist sogar ein Produkt mit 48 Gramm Zucker pro 100 Gramm.
Die Politik muss handeln.
Die AOK setzt sich dafür ein, den Zuckerkonsum in Deutschland auf das von der WHO empfohlene Maß zu senken. Denn 41,5 Millionen der Erwachsenen hierzulande sind übergewichtig und über 16,5 Millionen adipös. Industrie und Regierung haben lange die freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller und eine stärkere Eigenverantwortung der Verbraucher hochgehalten. Dieser Weg ist gescheitert. Die vorliegende Studie belegt: Die Rahmenbedingungen müssen geändert werden. Eine intransparente Kennzeichnung, irreführende Werbeversprechen und psychologisch ausgefeilte Marketingkonzepte haben dazu beitragen, dass eben doch vor allem stark gezuckerte Produkte im Einkaufswagen landen.
Insbesondere Werbung für Kinderlebensmittel findet heute immer noch im TV, aber zunehmend stark auch im Internet statt. Besonders gerne platzieren die Hersteller ihre Botschaften dabei in sozialen Netzwerken. Eine Untersuchung der Universität Hamburg kam für die TV-Werbung auf eine Zahl von rund 15.000 Fernsehspots, denen Kinder jährlich ausgesetzt sind. Im Online-Bereich kommen jährlich bis zu 7.800 Werbeanzeigen dazu. Experten fordern deshalb, an Kinder gerichtetes Marketing für ungesunde Lebensmittel zu verbieten. Verschiedene EU-Länder haben bereits vorgemacht, wie es geht: In Großbritannien und Irland ist Werbung für besonders zuckerhaltige Lebensmittel nicht erlaubt, in Norwegen und Schweden ist sogar jegliche Werbung verboten, die sich an Kinder richtet.
• AOK-Cerealienstudie: Süß, süßer, Frühstück sowie Einzelprodukte gerankt nach Zuckergehalt, PDFs zum Download
• Die App „AOK Gesund Einkaufen“ unterstützt mit einem Würfelzucker-Rechner und einem Zuckerscanner Verbraucher bei einer gesunden Ernährung. Download bei GooglePlay und im AppStore
• Weltgesundheitsorganisation: Sugars intake for adults and children. Guideline. 2015. Download
• Weltgesundheitsorganisation: WHO Regional Office for Europe nutrient profile model (2015). Download
Damit beim Einkauf die gesunde Wahl, wie von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner selbst gefordert, zur leichten Wahl wird, hat sie nach langem Widerstand der Einführung des Nutri-Scores in Deutschland zugestimmt. Einige Hersteller und Handelsketten wollen ihn auf freiwilliger Basis bei ihren Produkten verwenden.
Die Kennzeichnung, die sich an den Ampelfarben orientiert, ermöglicht es, Produkte des gleichen Segments miteinander zu vergleichen. National verpflichtend ist der Nutri-Score allerdings nicht, das verbietet das EU-Recht. Und eine EU-weite Verpflichtung scheiterte vor allem am Widerstand der großen Lebensmittelkonzerne. Die Bundesregierung sollte sich deshalb im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 für den Nutri-Score einsetzen – als europaweit einheitliches und verbindliches Kennzeichnungssystem.
Intelligente Wege nutzen.
Geschmack lässt sich bekanntermaßen anpassen. So kann der Zuckergehalt eines Produktes um 10 Prozent gesenkt werden, ohne dass wesentliche Unterschiede geschmeckt werden. Damit ließe sich ein intelligentes Vorgehen zur Zuckerreduktion umsetzen, das die Geschmacksempfindung der Menschen berücksichtigt. Der Zuckergehalt in Kindercerealien liegt im Durchschnitt bei 27 Gramm pro 100 Gramm. Würde nun beginnend am 1. Juli 2020 der Zuckergehalt beispielsweise in den Kindercerealien um jährlich 10 Prozent gesenkt werden, dann liegt der Gehalt am 30. Juni 2025 bei 15,9 Gramm pro 100 Gramm. Mit verbindlichen Zielen kann die Entstehung von Krankheiten vermieden und die Gesundheit der Bürger gestärkt werden.
Lesen Sie auch die Debatte in dieser Ausgabe:
Kinder vor Werbung schützen: Wer in jungen Jahren übergewichtig ist, bleibt dies meist auch. Barbara Bitzer fordert deshalb ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel.