Einwurf

Nachhaltigkeit als Standard

Corona besiegen wir nur weltweit oder gar nicht, meint Gerd Müller. Der Bundesentwicklungsminister fordert, an den Ursachen anzusetzen und Nachhaltigkeit zum neuen globalen Standard zu machen.

Porträt von Gerd Müller, Bundesentwicklungsminister

Die Corona-Krise hat uns sehr deutlich gezeigt,

dass wir in einem globalen Dorf leben. Von einem Wildtier­markt in Wuhan hat sich das Virus innerhalb we­niger Wochen über den gesamten Globus ausgebrei­tet. Wie viele Menschen freue ich mich, dass jetzt geimpft wird. Aber es reicht nicht, Corona nur in Europa einzudämmen. Sonst kommt das Virus zurück, vielleicht noch gefährlicher. Deswegen brauchen auch die ärmsten Länder Zugang zu Impfstoffen. Bislang finden nur 0,5 Prozent der Impfungen in den ärmsten Ländern statt. Die reichen Länder haben sich zwei Drittel der Impfdosen gesichert, obwohl sie nur 16 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Impfstoffe sind ein globales Gut, das allen zur Verfügung stehen muss. Nur eine weltweite Impfkampagne ist der Weg aus der Krise. Es ist deshalb ein wichtiger Schritt, dass jetzt Impfungen in Afrika starten. Wir nutzen dazu die bewährten Strukturen der globalen Impfallianz Gavi, die schon sehr erfolgreich Polio und andere Infektionskrankheiten bekämpft hat.

Aber wir müssen auch an morgen denken, die Viren mutieren. Die Pandemie ist ein Weckruf, umzudenken und Strukturen für kommende Herausforderungen zu schaffen. Wir müssen die Impfstoffproduktion erweitern: schneller und mehr produzieren. Das heißt auch Produktionskapazitäten in Entwicklungsländern aufzubauen – durch Lizenzproduktion und Technologietransfers.

Und wir müssen über die Humanmedizin hinaus schauen, um uns vor künftigen Gefahren zu schützen und an den Ursachen ansetzen, anstatt nur die Symptome zu bekämpfen. So bitter es klingt: Das Auftreten einer Pandemie war nur eine Frage der Zeit. Denn Covid-19 ist auch eine Folge unseres ausbeuterischen Umgangs mit der Natur. Drei Viertel aller beim Menschen neu auftretenden In­fektionskrankheiten stammen ursprünglich von Tieren. Wo Wälder brennen und Wildtiere ausgerottet werden, zerstört der Mensch das bisherige natürliche Gleichgewicht. Viren verlieren ihren Wirt und springen leichter auf den Menschen über. Die für die Tiere harmlosen Viren können beim Menschen schwere Infektionskrankheiten auslösen. Jedes Jahr sterben an diesen Zoonosen bereits 2,7 Millionen Menschen.

Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.

Die Naturzerstörung schreitet derzeit in brutaler Geschwindigkeit voran: Jede Minute werden 15 Fußballfelder Wald abgeholzt – auch für unsere Produkte. Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Um uns vor künftigen Infektionskrank­heiten zu schützen, brauchen wir daher einen Dreiklang aus Gesundheit von Mensch und Tier sowie intakter Umwelt. Mit diesem One-Health-Ansatz können wir das Risiko künftiger Pandemien deutlich verringern. Denn Covid-19 wird nicht die letzte Pandemie sein. Virologen schätzen, dass 40 weitere Viren ein Pandemie-Po­tenzial wie Sars-CoV-2 haben.

Dazu gehört erstens, die Weltgesundheitsorganisation zu einem Weltpandemiezen­trum auszubauen – mit einem besseren Monitoring von Neuinfektionen, einem Frühwarnsystem und besseren Maßnahmen zur Bekämpfung von Pandemien. Dazu gehören zweitens bessere Lebensmittelkontrollen und Veterinärdienste und eine nachhaltige Landwirtschaft, die nicht weiter in ursprüngliche Natur vordringt und das Tierwohl fördert. Vor allem gehört dazu, unsere Wälder und die Artenvielfalt viel entschlossener zu schützen. Die deutsche Entwicklungs­politik geht voran und unterstützt weltweit 500 Naturschutzgebiete mit einer Gesamtfläche viermal so groß wie Deutschland. Zusammen mit Umweltschutzorganisationen haben wir auch eine weltweite Allianz gegründet, um die 50 gefährlichsten Wildtiermärkte zu schließen. Und wir fördern den nachhaltigen Anbau von Palmöl und Soja, bei dem der Regenwald intakt bleibt.

Covid-19 ist ein Weckruf: Wir müssen umden­ken. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Wir können nicht zurück zur alten Normalität. Deswegen muss Nachhaltigkeit der neue globale Standard werden. Machen Sie mit!

Gerd Müller ist seit Ende 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Bildnachweis: Thomas Imo/photothek.net