Kim
Kommentar

Entschlossen impfen

Das deutsche Krisenmanagement beim Impfen hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Durch den Föderalismus zogen die Länder nicht an einem Strang, beklagt Kim Björn Becker.

Niemand hat gesagt,

dass es einfach sein würde. Dass es ein Leichtes wäre, große Teile der Bevölkerung gegen ein neues Virus zu impfen, und das so schnell und so gerecht wie nur irgend möglich. Doch unabhängig davon, dass die Corona-Pandemie Verantwortliche in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft überall auf der Welt vor völlig neue Probleme stellt, erweist sich das deutsche Krisenmanagement beim Impfen als unentschlossen.

Die Idee, die Bevölkerung in unterschiedliche Priorisierungsgruppen einzuteilen, war richtig. Auch die Umsetzung erschien auf dem Papier wohldurchdacht. Doch als die Ständige Impfkommission aus guten Gründen entschied, den Impfstoff von Astra-Zeneca nicht für Seniorinnen und Senioren freizugeben, geriet das Gefüge durcheinander. Nichts passte mehr zusammen. Anstatt planvoll vorzugehen, mussten die Bundesländer improvisieren – und in den Impfzentren der Republik entstand die bizarre Situation, dass massenhaft Impftermine ausfielen, obwohl fast die gesamte Bevölkerung auf einen Termin wartete. Vielerorts gelang es nicht, innerhalb kürzester Zeit die jüngeren Mitglieder mit herausgehobener Priorität zu identifizieren. Darüber hinaus wurde das Vakzin des Herstellers Astra-Zeneca ohne Grund als zweitklassig abgestempelt.

Bund und Länder haben zu lange gezögert.

In dieser unübersichtlichen Lage haben Bund und Länder zu lange gezögert, um das Richtige zu tun: die Impfzentren für weitere Gruppen zu öffnen. Als sie sich dazu endlich durchrangen, war wertvolle Zeit verloren. Doch selbst diese Lösung war halbherzig. Richtig wäre es gewesen, den Impfstoff für alle zur Verfügung zu stellen, die ihn haben wollen. So vergingen wertvolle Wochen, in denen die Impfzentren weit unter ihren Möglichkeiten blieben.

Es wäre viel gewonnen, wenn die Länder bei der Umsetzung der Maßnahmen an einem Strang zögen, sich beim Impfen besser koordinierten und frühzeitig auf mögliche Fehlentwicklungen reagierten. Dass jedes Bundesland selbst entscheidet, wie es die jeweils gültige Verordnung auslegt, stiftet Verwirrung. Auch ist es kaum vermittelbar, dass jedes Land selbst überlegt, wie viele Dosen es für Zweitimpfungen zurücklegt.

Als das Grundgesetz entstand, gab es gute Gründe, die Macht eines Zentralstaats zu brechen. Der Föderalismus gilt seitdem als wirksame Medizin gegen das Virus der Autokratie. Dem Coronavirus hat er nicht viel entgegenzusetzen.

Kim Björn Becker ist gesundheitspolitischer Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Bildnachweis: FAZ/Helmut Fricke