Krank am Pflegebett
Zur Arbeit gehen, obwohl der Kopf dröhnt oder die Gelenke schmerzen? Das ist für viele Beschäftigte in den Gesundheitsberufen an der Tagesordnung. Was dagegen hilft, beschreibt Dr. Silke Heller-Jung.
Präsentismus
lautet der Fachbegriff dafür, wenn Berufstätige trotz akuter Gesundheitsbeschwerden ihren Dienst versehen. Das Phänomen ist in Deutschland weit verbreitet. Aus dem Jahresbericht 2020 des vom Deutschen Gewerkschaftsbund publizierten „Index Gute Arbeit“ etwa geht hervor, dass rund 40 Prozent der befragten abhängig Beschäftigten in den zurückliegenden zwölf Monaten eine Woche oder länger gearbeitet haben, obwohl sie sich „richtig krank“ fühlten.
Besonders ausgeprägt ist dieses Verhalten in der Pflege – so das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von Führungskräften in stationären Pflegeeinrichtungen, ambulanten Pflegediensten und Krankenhäusern, die im Sommer dieses Jahres im Auftrag der AOK durchgeführt wurde. Danach hat jede zweite befragte Führungskraft in den vergangenen zwölf Monaten auf die eine oder andere Weise ihre Gesundheitsprobleme den beruflichen Erfordernissen untergeordnet, indem sie trotz Krankheitsgefühl arbeitete (36,2 Prozent), ihre Genesung auf das Wochenende vertagte (38,2 Prozent) oder Urlaub nahm, um sich auszukurieren (10,4 Prozent). Mehr als ein Fünftel (22,8 Prozent) schlug sogar den Rat ihres Arztes in den Wind und erschien krank am Arbeitsplatz.
Pflichtbewusst und kollegial.
Vor allem weibliche Führungskräfte in der Pflege neigen offenbar zum Präsentismus: Knapp 40 Prozent der befragten Frauen haben im vergangenen Jahr gearbeitet, obwohl sie sich „richtig krank“ fühlten; bei ihren männlichen Kollegen waren es weniger als 30 Prozent. Etwa jede vierte Frau (25,7 Prozent) und etwa jeder sechste Mann (16,2 Prozent) ging arbeiten, obwohl ein Arzt davon abgeraten hatte. Auffallend häufig schleppten sich Pflegekräfte in verantwortlichen Positionen im Osten Deutschlands krank zur Arbeit. Hier versahen rund 45 Prozent der Befragten in den zurückliegenden zwölf Monaten trotz akuter Gesundheitsbeschwerden ihren Dienst. Im Norden der Bundesrepublik waren es rund 38 Prozent, in der Mitte knapp 35 und im Süden etwa 30.
Falsche Tapferkeit.
Die Motive für Präsentismus in der Pflege sind vielfältig: Fast die Hälfte (44,4 Prozent) der Befragten führte Pflichtbewusstsein, Verantwortungsgefühl oder den Wunsch, ein Vorbild zu sein, als Grund an. Eine wichtige Rolle spielt auch der Personalmangel: Jede vierte Frau (26,4 Prozent) und jeder sechste Mann (15,7 Prozent) erschien deshalb krank zum Dienst. Etwa jede sechste Führungskraft (16,1 Prozent) nannte eine hohe Arbeitsbelastung, etwa jede zehnte (11,7 Prozent) das Fehlen einer Vertretung als Grund.
• AOK-Bundesverband: Pflege.Kräfte.Stärken.
• AOK-Bundesverband: Präsentismus und seine Folgen
Wer trotz gesundheitlicher Probleme auf eine Krankmeldung verzichtet, riskiert nicht nur eine Verschlimmerung oder Chronifizierung seiner Beschwerden, sondern stellt an seinem Arbeitsplatz oft auch ein Ansteckungsrisiko für andere dar. Da Erkrankte zudem häufig in ihrer Arbeits- und Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind, ist falsche „Tapferkeit“ auch für den Arbeitgeber, die Kollegen und die zu Pflegenden nicht hilfreich.
Eine wertschätzende Unternehmenskultur, Betriebliche Gesundheitsförderung und gezielte Fort- und Weiterbildungsangebote, die die persönliche Entwicklung stärken, haben sich zur Vorbeugung von Präsentismus bewährt. Die AOK hat deshalb die Initiative „Pflege.Kräfte.Stärken.“ auf den Weg gebracht, um Pflegekräfte in ihrem beruflichen Alltag gezielt zu unterstützen. Sie soll mit einer Vielzahl von digitalen und hybriden Angeboten dazu beitragen, die Pflegearbeit gesundheitsgerechter zu gestalten, erklärt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Denn: „Als größte Pflegekasse in Deutschland sehen wir uns in einer besonderen Verantwortung für die Menschen, die in der Pflege arbeiten.“