Neues aus der Uni

„Wissenschaft ist selten eindeutig“

In der Rubrik „Neues aus der Uni“ stellt G+G-Digital Institute und Lehrstühle vor. Dieses Mal mit drei Fragen an Prof. Joerg Meerpohl, Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin (IfEM) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Herr Professor Meerpohl, was ist derzeit Ihre wichtigste wissenschaftliche Fragestellung?

Joerg Meerpohl: Zuletzt haben wir uns intensiv mit der Evidenz zu Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 beschäftigt. Im Rahmen des vom Bundesforschungsministeriums geförderten Netzwerks Universitätsmedizin koordiniere ich das Projekt CEOsys (COVID-19-Evidenz-Oekosystem) mit mehr als 20 nationalen und internationalen Partnern. Wir sichten und bewerten die internationale Studienlage zu relevanten klinischen Fragen, aber auch zu Fragen der öffentlichen Gesundheit. Die zusammengefasste/synthetisierte Evidenz dient als Grundlage für die zeitnahe Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien für Deutschland. Hierbei verfolgt CEOsys einen innovativen Ansatz: Unser Evidenz-Ökosystem zu COVID-19 erlaubt durch seinen ganzheitlichen Ansatz eine bessere Verzahnung von Arbeitsschritten. Durch die enge Kooperation von Methodiker*innen und klinischen Fachexpert*innen können wir rasch relevante Fragestellungen standardisiert und mit hoher Qualität bearbeiten und die Ergebnisse für die Leitlinienentwicklung zur Verfügung stellen. Wir legen auch viel Wert darauf, die Ergebnisse zielgruppengerecht aufzuarbeiten und aktiv zu verbreiten, als Grundlage für individuelle, aber auch politische Entscheidungen in der Pandemie. Über CEOsys hinaus arbeitet unser Team natürlich auch an zahlreichen weiteren Fragestellungen.

Porträt von Prof. Joerg Meerpohl, Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin (IfEM) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Zur Person

Prof. Dr. med. Joerg Meerpohl studierte und promovierte im Fach Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er arbeitete zunächst als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und ab 2011 als Stellvertretender Direktor für das Deutsche Cochrane Zentrum/Cochrane Deutschland. 2015 wurde er zum Co-Direktor von Cochrane Deutschland ernannt. Seit November 2018 leitet Meerpohl das Institut für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg und ist Direktor sowie Wissenschaftlicher Vorstand der gemeinnützigen Cochrane Deutschland Stiftung.

Wie fördern Sie die Kooperation wissenschaftlicher Disziplinen und die Netzwerkbildung?

Meerpohl: Das Team des IfEM ist sehr multi-disziplinär und setzt sich unter anderem zusammen aus Mitarbeiter*innen aus den Bereichen Medizin, Ernährungswissenschaften, Physiotherapie, Pharmazie, Gesundheitswissenschaften und Gesundheitspädagogik, Biologie und Sportwissenschaft. Dies ist sinnvoll und notwendig, weil die Nutzung von Evidenz, die wir mit unserer Arbeit letztlich unterstützen wollen, in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung eine immer wichtigere Rolle spielt.

Das CEOsys-Projekt ist ein gutes Beispiel für multi- und interdisziplinäres Arbeiten. Hier sind auch IT-Spezialisten und Kommunikationswissenschaftler Teil des großen Konsortiums. Neben dem IfEM leite ich auch die Cochrane Deutschland Stiftung, die Teil der internationalen Cochrane-Organisation, eines globalen, unabhängigen Forschungsnetzwerks, ist. Cochrane ist ein wichtiger Anknüpfungspunkt für unser internationales Netzwerk, das neben Kooperationen auf nationaler Ebene eine zentrale Rolle in unserer Arbeit einnimmt.

Ist die Politik gut beraten, wenn sie auf die Wissenschaft hört?

Meerpohl: Kurze Antwort: Ja. Es ist aber auch klar, dass Wissenschaft selten eindeutig ist und sich ihre Erkenntnisse weiterentwickeln; auch sind Forschungsergebnisse häufig mit Unsicherheit behaftet. Dies muss bei politischen Überlegungen berücksichtigt werden. Zusätzlich gehen in politische Entscheidungen ethische und normative Überlegungen ein. Auch Akzeptanz, Umsetzbarkeit oder Kosten spielen selbstverständlich eine Rolle.

 

Diese Rubrik finden Sie auch in der Wissenschaftsbeilage der G+G. Hier geht es zur aktuellen G+G-Wissenschaft.

Silke Heller-Jung führte das Interview. Sie hat in Frechen bei Köln ein Redaktionsbüro für Gesundheitsthemen.
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