Interview

„Wir sind Fürsprecher der Patienten“

Vom Krankenbett bis zum Wiedereinstieg in den Beruf begleitet Schlaganfall-Lotsin Kerstin Ohms Patienten und ihre Familien – damit diese den Weg zur passenden Versorgung finden. Dabei nutzt sie die Ressourcen des Gesundheitssystems ganz gezielt und vernetzt sie.

Frau Ohms, worin sehen Sie als Lotsin Ihre Hauptaufgabe?

Kerstin Ohms: Wir sehen unsere Aufgabe darin, Patientinnen und Patienten in komplexen Versorgungslagen auf dem Weg zurück in den Alltag zu unterstützen und Rückfälle zu vermeiden. In mehreren Gesprächen ermitteln wir die Bedarfe und Bedürfnisse, um die Versorgung individuell anzupassen und zu steuern. Wir sichern den Zugang zu Leistungen und Hilfen, um die Lebensqualität und -zufriedenheit der Patienten zu erhöhen. Dabei nutzen wir die Ressourcen ganz gezielt und helfen, dass sich die Patienten und ihre Angehörigen im Dschungel des Gesundheitssystems zurechtfinden. Wir koordinieren die Leistungen und Hilfen entlang des Versorgungspfades multiprofessionell und sektorenübergreifend.

Porträt von Kerstin Ohms, Schlaganfall-Lotsin

Zur Person

Kerstin Ohms arbeitet an der Universitätsklinik für Neurologie, Evangelisches Klinikum Bethel, Universität Bielefeld, als Lotsin im Projekt STROKE OWL der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe.

Wie kommt der Kontakt zu den Patienten zustande?

Ohms: Ist die Diagnose gesichert, stellen wir bereits auf der Stroke Unit den Kontakt zu den Patienten her. Entschließt sich der Patient, die Unterstützung der Lotsen in Anspruch zu nehmen, findet ein erstes Gespräch mit ihm und gegebenenfalls seinen Angehörigen in der Klinik statt. Dabei hilft, dass Schlaganfall-Lotsen aus einer Berufstätigkeit kommen, in der sie Patientenkontakt hatten. Ich bin Physiotherapeutin und habe im neurologischen Bereich gearbeitet, habe mich im Gesundheitsmanagement weitergebildet, eine Case-Management-Weiterbildung sowie verschiedene weitere Fortbildungen durchlaufen.

Wie zeitaufwendig ist der Kontakt zum einzelnen Patienten?

Ohms: Jeder Patient bekommt die Zeit, die er braucht. Das ist individuell ganz unterschiedlich. Am Krankenbett dauert ein Gespräch etwa 20 Minuten bis zu einer Stunde. Für jeden Patienten ist ein Besuch in der Rehaklinik vorgesehen, wo wir auch Kontakt zum Pflegepersonal, zum Sozialdienst und den Ärztinnen und Ärzten aufnehmen. Dafür wenden wir vor Ort im Durchschnitt etwa ein bis zwei Stunden auf. Im Anschluss an die Reha besuchen wir die Patienten im häuslichen Umfeld, was zwischen einer und drei Stunden dauern kann. Später haben wir regelmäßig telefonisch Kontakt und sind wochentags immer erreichbar. Dazu kommt die Arbeit im Hintergrund, die Netzwerkarbeit, Dokumentation und die Koordinierung der gesundheitlichen Versorgung. Insgesamt begleiten wir die Patientinnen und Patienten ein Jahr lang.

Wen beziehen Sie in die Lotsenarbeit ein?

Ohms: Das richtet sich nach dem Bedarf. In der Akutphase beziehen wir das ganze interdisziplinäre Behandlungsteam ein. In der Rehaphase kommen zu den Behandlern und dem Sozialdienst unter anderem die Sanitätshäuser sowie die Kranken- und Pflegekasse. Anschließend nehmen wir Kontakt zu Haus- und Fachärzten auf. Zum Versorgungsnetz gehören auch Heilmittelerbringer, Neuropsychologen, Apotheken, Rentenversicherung, Ämter, familiale Pflege, Pflegedienste, Selbsthilfegruppen, Integrationsfachdienst und viele andere.

Welche Rückmeldung bekommen Sie?

Ohms: Sowohl die Patienten als auch die Leistungserbringer sehen die Schlaganfall-Lotsen als wichtig an. Die Patienten und ihre Familien sind dankbar, jemanden zu haben, der ihnen die Versorgungsmöglichkeiten aufzeigt. Ohne professionelle Unterstützung durch uns wären sie oft nicht weitergekommen. Die Gefahr von Brüchen an den Übergängen der Versorgung ist groß. Wir sind Fürsprecher der Patienten. Nicht jeder hat die Energie, sich passende Angebote zu suchen und sich auch mal durchzuboxen. Es ist schön zu sehen, was wir für die Schlaganfall-Patienten erreichen können und dass ihr Alltag wieder funktioniert. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Arbeit fortführen dürfen: Wir tun nicht nur dem einzelnen Menschen etwas Gutes, sondern nützen auch dem Gesundheitssystem.

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: EvKB